Radfahren in Berlin - wo lang eigentlich?

Haupt- oder Nebenstraßen Am Beispiel Neuköllns lässt sich zeigen, dass RadfahrerInnen auf beides gehören: Nebenroute und Hauptverkehrsstraße. Aber auch wie wenig das bisher verstanden wurde.

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Neukölln muss ja gerade für fast jedes Thema als Beispiel und Labor hinhalten. Geradzu idealtypisch ließen sich hier verschiedene Trends der Stadtentwicklung ablesen – positiv wie negativ. Dies kann getrost im besonderen Maße auch über den Verkehr (besser: die Verkehrspolitik) gesagt werden: Idealtypisch ist dabei die bisherige Ignoranz der Politik irgendetwas gegen das Auto in der Innenstadt zu machen. Im stark verdichteten Innenstadtgebiet im Norden Neuköllns gibt es weder Parkraumbewirtschaftung noch eine Fahrradinfrastruktur, die diesen Namen verdient. Die Feinstaub- und Stickstoffdioxidbelastung ist extrem hoch und die Hauptverkehrsstraßen lebensgefährlich.

Besonders idealtypisch das Gebaren des sozialdemokratischen Verkehrsstadtrats Thomas Blesing (SPD). In völliger Verkennung der Mobilitätsbedürfnisse von StadtbewohnerInnen schickt er die RadfahrerInnen auf die abstrusesten Umwege über die Nebenstraßen, denn so heißt es unverblümt an vielerlei Stelle: die Hauptstraßen sind Tabu. Oberstes Mantra ist: kein Parkplatz darf verloren gehen.

Ein SPD Bezirksverordneter fiel mit der Bemerkung auf, das Problem in Nord-Neukölln seien eben die engen Straße, daher sei es schwer dort etwas für Radfahrende zu tun. Diese Haltung ist wiederum idealtypisch für den Vorortpendler, der keine Vorstellung hat, wie schön das Bewegen mit dem Rad und zu Fuß durch die verdichtete Stadt sein kann. Und wie viele Probleme dies noch nebenbei löst wie Lärm- und Feinstaubbelastung.

Aber nun zum eigentlichen Thema, wo gehören Radfahrer hin: Nebenstraße oder Hauptstraße? Die Antwort ist natürlich beides, denn RadfahrerInnen wollen überall hin, wo AutofahrerInnen auch hin wollten, zu Geschäften, Ärzten, Gastronomie, oder sie wollen einfach nur die schnelle Durchfahrung und da sind städtebaulich häufig eben die großen Straßen (aber natürlich auch nicht immer) die besten Verbindungen. Daher ist Fahrradinfrastruktur auf den Hauptstraßen ein absolutes Muss.

Dies wiederum spricht nicht gegen das Nebenroutensystem als solches. Denn manch einer möchte eben entspannt fahren, hat Angst auf der großen Straße, kann sich Umwege erlauben und ist vielleicht nicht so geübt mit dem Rad im Straßenverkehr. Gerade für Familien, die mit Kindern auf dem Rad unterwegs sind, könnten Nebenrouten attraktive Möglichkeiten sein, sich sicher durch die Stadt zu bewegen – trotz etwaiger Umwege.

Allerdings spricht vieles gegen ein Nebenroutensystem, wie es derzeit in Berlin umgesetzt wird. Das besteht bisher vor allem aus zwei Maßnahmen: Asphaltierung und eventuell noch Beschilderung! Bisherige Erfahrungen gerade auch in Neukölln (wer es kennt: Ilsestraße, Braunschweiger Straße, etc.) zeigen jedoch einen unerwünschten Nebeneffekt: die Nebenrouten sind attraktiv als Schleichwege für AutofahrerInnen, die durch die Asphaltierung gar nicht mehr so schleichen müssen. Zum Leidwesen der AnwohnerInnen, aber vor allem auch der ungeübten RadfahrerInnen.

Denn gerade die Nebenstraße bieten häufig nicht genug Platz für sichere Überholmanöver, es gibt keine Fahrradinfrastruktur, die Orientierung und Sicherheit bietet und so werden genau die davon abgehalten, die Nebenroute zu nutzen, für die es das richtige wäre: die RadfahrerInnen, die Angst vor Autos haben. Und von denen gibt es ganz schön viele. Daher muss ein Umdenken stattfinden. Asphaltierungen sind unheimlich teuer, können aber sinnvoller Bestandteil des Ausbaus von Nebenroutennetzen sein. Dies sollte jedoch im Rahmen der Radverkehrsförderung nur im Rahmen von begleitenden Maßnahmen der Verkehrsberuhigung geschehen, damit diese tatsächlich den gewünschten Effekt erzielt. Dazu gehören intelligente bauliche oder verkehrliche Lösungen wie Diagonalsperren an Kreuzungen, Einrichtung von Fahrrad- und Spielstraßen, Einbahnstraßensystemen etc.

In diesem Sinne steht Neukölln tatsächlich idealtypisch für die alte Betonmentalität der 60er Jahre, die besser früher als später aufgebrochen wird - für lebenswerte Kieze mit verkehrsberuhigten Nebenrouten UND guter Fahrradinfrastruktur an allen Hauptstraßen!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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