Die „Zeit“: Russlandbashing und Propaganda

Doppelmoral vom Feinsten Kriegsverbrechen: "Kein Gas für Blut". Die "Zeit" agitiert gegen Nordstream 2 und lobt US-Gas als Alternative. Doch die USA haben noch viel mehr Kriegsverbrechen begangen

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Saudischer Luftangriff auf Hajjah, Jemen, 7. Mai 2015. Eine Familie wurde fast ausgelöscht, es gab 13 Tote, nur zwei Jungen überlebten verletzt

Die Seite 1 der „Zeit“ darf fast jede Woche für Artikel herhalten, die sich leicht als simpel gestrickte Propaganda erkennen lassen. Ein bevorzugtes Ziel: Russland.

Die „Zeit“ beteiligt sich hier (und das ja keineswegs nur auf Seite 1) an der Dauer-Medienkampagne gegen Russland, wie sie die Mainstreammedien (Konzernmedien) mit sich immer noch weiter steigernder Intensität betreiben. Irgendwelche Unterschiede und Differenzierungen sind dabei schon längst untergegangen.

Diese Woche also wieder ein solcher Artikel, „Nicht von Putin“, von Jochen Bittner.

(im Internet leider mit Bezahlschranke: https://www.zeit.de/2020/40/putin-energieversorgung-verbraucher-marktmacht).

Eine herausstechende Eigenschaft diesen ganzen Russland-Bashings in den Medien ist die Personalisierung: Putin, Putin, Putin. Insoweit ist auch dieser Artikel von Bittner keine Ausnahme.

Worum geht es hier? Es geht um unsere Energieversorgung, letztendlich will Bittner hier ganz konkret Nordstream 2 niederschreiben. Die Verbraucher sollten sich also jetzt individuell gegen Gas aus Russland entscheiden können, so Bittners Idee.

Nun könnte man ja darüber diskutieren, ob es wünschenswert oder auch nur vertretbar ist, Energie von Ländern zu kaufen, die massiv die Menschenrechte verletzen – und was gäbe es hier Schlimmeres, als in einem anderen Land Krieg zu führen dort mit Luftangriffen auf zivile Ziele unschuldige Menschen zu töten und ein ganzes Land in Schutt und Asche zu legen?

Man könnte nun zu dem moralisch sicher richtigen Entschluss kommen, dass man das nicht will – aber doch bald merken, dass wir diese Wahl leider nicht haben, da die ergiebigsten Energiequellen nun einmal von wenig erfreulichen Regimen verwaltet werden.

Aber genau darum geht es Bittner in diesem Artikel eben nicht, wenn er sich (mal wieder) Russland herausgreift und – auch hier die typische westliche Doppelmoral zelebrierend – eben genau diese Grundsatzfrage gar nicht stellt, weil es ja nur darum gehen soll, gegen Russland (mal wieder personifiziert durch Putin) zu agitieren.

Dazu muss natürlich nun ein möglichst negatives Bild von Russland gezeichnet werden. Das ist ja nun nichts Neues bei der „Zeit“. Also, was ist überhaupt neu hier?

Bittner schreibt:

„Das Regime von Wladimir Putin bekommt Geld [für das Gas], mit dem es Bomben baut, die auf Syrien herabfallen, was Hunderttausende Menschen in die Flucht treibt, was wiederum Europas Demokratien unter Hitze setzt.“

In der Tat ist es verabscheuungswürdig, wenn ein Staat in einem anderen Land Krieg führt und Bomben auf zivile Ziele abwirft. Damit es richtig knackig wird, nennt Bittner weiter unten die schlimmsten Varianten, „Bombardierung von Kindern und Krankenhäusern“.

Ja nun, ist Russland hier etwas Besonderes? Bestimmt nicht. Im Vergleich zu Russland haben die USA in den letzten Jahren wesentlich mehr „Kinder und Krankenhäuser“ bombardiert oder ihren Verbündeten die Bombardierung erst möglich gemacht, und das nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak, in Afghanistan, in Libyen, im Jemen.

Und, möchte Bittner uns nun dazu überreden, auch die USA als Energielieferanten zu boykottieren? Ganz im Gegenteil, er nennt sie sogar als eine der für ihn offenbar erstrebenswerten Alternativen zu Russland.

Die Bombardierung von „Kinder und Krankenhäusern“ ist ihm also letztendlich vollkommen egal. Sie ist nur nützliches Mittel zum Zweck, wenn es ihm um Russland-Bashing geht. Wenn die USA das ebenso tun, und auch noch in einem viel größeren Umfang, spielt das plötzlich keine Rolle.

Und was Syrien angeht, stellt Bittner zudem noch die Dinge völlig auf den Kopf: Der Krieg in und um Syrien begann 2011 mit dem massiven Eingreifen des Westens und seiner Verbündeten vom Golf in den syrischen Konflikt, vor allem durch Unterstützung von bewaffneten „Rebellen“. Die ersten russischen Luftangriffe in Syrien gab es am 30. September 2015. (1)

Am 9. Juli 2015 erklärte das UNHCR, dass sich mittlerweile mehr als 4 Millionen aus Syrien geflüchtete Menschen in den Nachbarstaaten Syriens aufhielten und dass es 7,6 Millionen Binnenflüchtlinge gab. Zudem hatten bis dahin bereits mehr als 270.000 Syrer Asylanträge in Europa gestellt. (2)

Die Krise der syrischen Flüchtlinge war also längst eingetreten, als Russland seine ersten Luftangriffe in Syrien flog. Und die große Flüchtlingswelle traf Europa im Herbst 2015. Die russischen Luftangriffe können damit schon rein chronologisch nichts zu tun haben. Genau das aber will Bittner uns mit der oben zitierten Formulierung weismachen. Das ist üble Demagogie. Die Schuld an der syrischen Flüchtlingskrise trifft vor allem den Westen selbst.

Wenn Bittner nun weiter erklärt, „Deutsche Gaskunden finanzieren also nicht nur russische Kriegsverbrechen mit, sondern auch die migrationspolitische Spaltung ihrer Republik“, greift er seine verlogene Behauptung nicht nur wieder auf, sondern versucht hier auch noch moralischen Druck auf deutsche Gaskunden aufzubauen.

Nur: wenn sie nicht bei Russland kaufen sollten, dann wohl bei den USA erst recht nicht! Und genau das sagt Bittner eben nicht, im Gegenteil.

Interessant ist auch die Tatsache, dass wir etwa 40 % unseres Erdöls ebenfalls aus Russland beziehen, (3), das erwähnt Bittner interessanterweise mit keinem Wort. Warum nicht? Offenbar interessiert es hier nicht, weil vor allem gegen russische Gaslieferungen über Nordstream 2 agitiert werden soll.

Als Argument gegen Gaslieferungen aus den USA (die er offensichtlich favorisiert, denn andere Lieferanten könnten eine durch den Verzicht auf Nordstream 2 entstehende Versorgungslücke kaum schließen) nennt Bittner nur Bedenken wegen der mit dem amerikanischen Fracking verbundenen Umweltschäden („US-Flüssiggas, dessen Gewinnung mit Naturzerstörung einhergehe“).

Doch ist das für ihn nicht so wichtig, und Weiteres soll einem so nicht in den Kopf kommen, und folglich „fragt man sich nur, wie dieselben Verbraucher nicht noch größere Skrupel gegenüber russischem Gas haben können“ – eben wegen der von Bittner so sehr hervorgehobenen russischen Kriegsverbrechen.

So schließt er seinen Artikel reichlich dramatisch: „‚Kein Blut für Öl‘ hieß es einmal auf Deutschlands Straßen. ‚Kein Gas für Blut‘ sollte heute in seinen Wohnzimmern gelten.“ Gut gebrüllt, Löwe? Nein, eher als Löwe gestartet und als Bettvorleger gelandet, Herr Bittner.

Denn wenn "Kein Gas für Blut" für russisches Gas gelten sollte, dann muss es für amerikanisches Gas erst recht gelten. Je nach den angelegten Maßstäben hat der amerikanische sog. „Krieg gegen den Terror“ seit 2001 zwischen 1,5 und 4 Millionen Menschen im Nahen und Mittleren Osten das Leben gekostet (4) – da müsste Russland noch mindestens ein Jahrhundert in Syrien weiterbomben und dabei sogar noch kräftig zulegen, nur um diese Zahlen einzuholen. Aber auch in hundert Jahren wären die USA, wenn sie so weitermachen wie bisher, immer noch weit voraus.

Fazit: Gerade auch unter Berücksichtigung von „Kein Gas für Blut“ wäre also zu unser aller Lebzeiten russisches Gas eindeutig dem amerikanischen vorzuziehen. (5)

(1) https://ria.ru/20151001/1294805926.html

(2) https://www.unhcr.org/559d67d46.html

(3) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2473/umfrage/rohoelimport-hauptlieferanten-von-deutschland/

(4) https://watson.brown.edu/costsofwar/figures/2019/direct-war-death-toll-2001-801000

(5) Zu Bittners Beziehungen zu den USA: https://de.wikipedia.org/wiki/Jochen_Bittner. – Das Problem ist nicht neu: https://web.archive.org/web/20140322074849/http://www.heise.de/tp/artikel/41/41289/1.html.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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