Schule und Meinungseinfalt

In 44 Jahren nichts gelernt In Mecklenburg-VP bekam eine 16jährige Polizeibesuch in der Schule, weil sie einen AfD-nahen Schlumpffilm repostet und im Post Deutschland als "Heimat" bezeichnet hat. Das weckt ungute Erinnerungen an einen Fall aus Regensburg im Jahr 1980

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Wie bieder sieht doch dieser um 1600 von El Greco gemalte Kardinal aus! Tatsächlich war dieser Herr der Chef der spanischen Inquisition.

In Ribnitz-Damgarten in Mecklenburg-Vorpommern bekam eine 16jährige auf Anzeige des Schulleiters hin Polizeibesuch in der Schule und eine sog. "Gefährderansprache" für zwei Posts auf Tiktok, bei denen die Polizei selbst dann keinerlei strafrechtliche Relevanz feststellte. In den Medien ist darüber ausgiebig berichtet worden, das soll hier nicht noch einmal wiederholt werden.

Worum ging es letztlich? Um Meinungsäußerungen der Schülerin, die, wie festgestellt, strafrechtlich irrelevant sind, aber jemandem nicht gepasst haben (dem Direktor der Schule).

Diese Meinungsäußerungen sind halt "rechts" oder gelten so (nun ja, wenn es "rechts" und damit "böse" ist, Deutschland als "Heimat" zu bezeichnen). Darf man als Schulleiter deswegen die Polizei holen? Im "besten Deutschland aller Zeiten" (Steinmeier) offenbar schon. Im, nun ja, zweitbesten Deutschland aller Zeiten hätte ein IM "Lehrerzimmer" vielleicht sogar eine Belobigung von - nein, nicht von Stasi-Erich, der doch "alle Menschen liebte", so wichtig ist so ein Herr Schuldirektor doch nicht -, aber vielleicht von dessen Stellvertreter Gerhard Neiber bekommen.

In dem ganzen Getue von "Vielfalt" und "bunt", mit dem wir nun schon seit Monaten überschüttet werden, geht dabei eines allerdings völlig unter: "Vielfalt" und "Buntheit" schließen nun einmal und im Sinn einer Demokratie vor allem auch Vielfalt und Buntheit unterschiedlicher politischer Meinungen mit ein, solange sie nicht Gewalt zum Erreichen politischer Ziele predigen, also von ganz weit links bis hin zu ganz weit rechts. Ganz unabhängig vom eigenen Standpunkt und ganz unabhängig davon, welche Standpunkte und Positionen man selbst für gut, für akzeptabel oder auch für inakzeptabel hält.

Voltaire soll gesagt haben: "Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen." Da war er also schon viel weiter und viel "demokratischer" als mittlerweile 80 % des politischen Meinungsspektrums und 90 % der veröffentlichten Meinung in Deutschland, gewisse Schulleiter eingeschlossen. Leider.

Von "Vielfalt" und "Buntheit" hören wir ständig in Verbindung mit "Demokratie". Nun, eine "Demokratie" wäre durchaus denkbar in einem Land mit einer homogenen, also nicht "bunten" Bevölkerung; warum auch immer sie in diesem Land nicht bunt ist, etwa weil das Land kleiner ist oder abgelegen, nehme man z. B. Island, Dänemark oder Norwegen im Jahr 1990. Aber ein Land ohne "Vielfalt" und "Buntheit" bei den politischen Standpunkten kann nie eine Demokratie sein.

Und da würde, um bei Parteifarben zu bleiben, nun einmal auch das Blau der AfD dazugehören. Ganz unabhängig davon, ob man diese Partei und ihre Standpunkte nun mag oder nicht. Eine Demoktatie muss das aushalten, nur eine Nicht-Demokratie verweigert sich dem.

Meinungsvielfalt statt Meinungseinfalt also. Umso bedenklicher, wenn die Schule, die ja die Schülerinnen und Schüler auf ein Leben in einer Demokratie vorbereiten soll, per ordre de Mufti zu einem Ort der Meinungseinfalt statt der Meinungsvielfalt gemacht werden soll.

Und in diesem Zusammenhang sollte man sich doch an einen Fall erinnern, der sich vor fast 44 Jahren am anderen Ende Deutschlands, in Regensburg, abgespielt hat. Dort war es 1980 eine offensichtlich CSU-affine Schulleitung, die Meinungseinfalt statt Meinungsvielfalt an ihrer Schule sicherstellen wollte und damit seinerzeit aber - und damals zur Freude des größten Teils der Republik - grandios Schiffbruch erlitt.

Im Jahr 1980 standen Bundestagswahlen an, und Franz Josef Strauß kandidierte für die CDU/CSU um das Amt des Bundeskanzlers. Strauß war eine Persönlichkeit, die über Jahrzehnte heftigst polarisiert hatte, Bewunderern standen erbitterte Gegner gegenüber. Und natürlich war für die - vor allem linken - Gegner ein Franz Josef Strauß als Bundeskanzler ein Rotes Tuch, den als Kanzler es auf jeden Fall zu verhindern galt.

Eine der gegen Strauß gerichteten Kampagnen hatte den prägnanten Titel "Stoppt Strauß!", und mit diesem Slogan gab es auch Buttons zum Anstecken. Und mit so einem Button ging die damals 18jährige Christine Schanderl in die Schule, das Albertus-Magnus-Gymnasium in Regensburg. Monatelang fiel sie damit nicht einmal auf, bis dann doch ihr Ethiklehrer diese Plakette an ihr bemerkte und monierte. Und dann ging es rund, denn sie weigerte sich, diesen Button abzulegen, es ging bis zum Rauswurf aus der Schule.

Der Fall erregte damals bundesweit Aufsehen (und ganz überwiegend Sympathie für diese Schülerin). Die Medien berichteten ausführlich, zumal die Geschichte mit diesem Rauswurf ja keineswegs endete. Der ausführliche Artikel der "Zeit" vom 24. Oktober 1980 mit dem passenden Titel "Eine Posse wird zum Politikum" vom 24. Oktober 1980 ist noch im Netz abrufbar: https://www.zeit.de/1980/44/eine-posse-wird-zum-politikum .

Dieser Ethiklehrer

"nahm Anstoß, nahm das Mädchen mit zum Direktor, und von da an nahmen die Dinge ihren Lauf. Die Schülerin weigerte sich beharrlich, ihre Plakette abzunehmen, und wurde daraufhin innerhalb eines Vierteljahres einem Trommelfeuer sich steigernder Disziplinarmaßnahmen ausgesetzt: verschärfter Verweis, Ausschluß vom Unterricht für zunächst zwei Wochen, danach Androhung der Entlassung von der Schule und schließlich – mit Ukas vom 17. Juli 1980 – die Relegation, 'sofort vollziehbar'.

Das Albertus-Magnus-Gymnasium gründete alle seine Maßnahmen auf die bayerische 'Allgemeine Schulordnung', eine vom Kultusministerium erlassene Verwaltungsvorschrift. Sie verbietet 'politische Werbung durch Wort, Schrift, Bild oder Emblem' im Schulbereich. Die Schülerin meinte, sie sei an das Verbot nicht gebunden. Ihr Grundrecht auf freie politische Meinungsäußerung auch in der Schule könne – wenn überhaupt – nur durch ein parlamentarisch beschlossenes Gesetz, keineswegs aber durch ein bloßes Behörden-Dekret eingeschränkt werden.

Bei solcher Ausgangslage mußte der Fall der Christine Schanderl zwangsläufig den Rahmen eines bajuwarischen Schulspektakels sprengen und einen politischen Grundsatzstreit auslösen. Denn in der Tat gelten die Verfassungsgrundrechte unmittelbar; das Grundrecht der Meinungsfreiheit findet seine Schranken nur 'in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze... und in dem Recht der persöhnlichen Ehre'."

Wir lesen dann weiter, dass die damalige bayerische "Allgemeine Schulordnung" die Latte für einen Hinauswurf sehr hoch gehängt hatte, zumal ein solcher Hinauswurf zur Folge gehabt hätte, dass sie auch an keinem anderen bayerischen Gymnasium mehr hätte aufgenommen werden dürfen, aber

"Hier nun sollte die 'Stoppt Strauß'-Plakette als Entlassungsgrund reichen. Auch der Schuldirektor war sich darüber klar, daß darauf die Relegation allein schwerlich zu stützen wäre. Dies um so mehr, als er einräumen mußte, Christine Schanderl habe mit ihrer Plakette durchaus nicht den Schulfrieden gestört. Denn noch in dem Brief, mit dem er ihr eine Woche vor dem wirklichen Hinauswurf die 'sofortige Vollziehbarkeit' der Entlassungs-Androhung verkündete (verstehe, wer will, wie man eine bereits vollzogene Androhung noch einmal für sofort vollziehbar erklären kann), hatte er geschrieben, ein weiteres 'Gewährenlassen' werde womöglich dazu führen,'daß Ihr Verhalten Nachahmung finden und so die Ordnung des Schulbetriebes empfindlich gestört werden könnte'.

Der Disziplinarausschuß des Albertus-Magnus-Gymnasiums begündete die endgültige Entlassungs-Verfügung denn auch nicht in erster Linie mit dem Plaketten-Tragen, sondern mit der beharrlichen Weigerung der Schülerin, die Plakette abzunehmen, obgleich sie wiederholt durch vorausgegangene mildere Strafmaßnahmen dazu ermuntert worden war."

Nun, allen Widerständen zum Trotz, Christine Schanderl zog gegen den eisern in CSU-Hand befindlichen Freistaat Bayern vor Gericht und gewann in zwei Instanzen. Die "Zeit":

"Die schlimmste Panne, die dem Rektor im Albertus-Magnus-Gymnasium passierte, weil einer Schülerin politisches Engagement unter dem Vorwand parteipolitischer Neutralität ausgetrieben werden sollte, konnte im Prozeß über die Entlassung der Christine Schanderl selbst die Landesanwaltschaft (so heißen in Bayern Staatsanwälte, die das 'öffentliche Interesse' in Bürgerrechtsprozessen vertreten) nicht mehr so recht ausbügeln. Sie trug vor, die Schülerin hätte sich auch rechtswidrigen Anordnungen ihrer Obrigkeit vorläufig fügen müssen, gleichgültig, ob sie ihr nun einleuchteten oder nicht. Das sei in Paragraph 11 des Soldatengesetzes vorgeschrieben. Zwar ist Christine Schanderl kein Soldat, sondern – erwachsene – Schülerin am Albertus-Magnus-Gymnasium. Doch macht das einen Unterschied?"

Das hört sich schon sehr albern an. Christine Schanderl gewann erst vor dem Verwaltungsgericht und dann in nächster Instanz auch vor dem Bayerischen Verfassungsgericht. Dieses stellte fest, "Schanderl habe das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch in der Schule ausüben dürfen, weil das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht durch eine Allgemeine Schulordnung, sondern nur durch ein Gesetz eingeschränkt werden dürfe. Der Landtag muss also das Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen neu beschließen und die Schulordnung ändern."

So berichtete der "Münchner Merkur" in einem Artikel von 2015, in dem er den späteren Lebensweg von Christine Schanderl nachzeichnete: https://www.merkur.de/bayern/franz-josef-strauss-christine-schanderl-wurde-durch-stoppt-strauss-plaketten-bekannt-zr-5480119.html . Die junge Frau konnte an einem anderen Gymnasium Abitur machen (mit Auszeichnung). Durch ihre Erfahrung geprägt, studierte sie Jura und wurde eine erfolgreiche Anwältin. Die für die CSU "ein Stachel im breitgehockten Hinterteil" blieb, so der "Merkur".

Was hat unser Schuldirektor aus MeckPom aus so einer Geschichte gelernt? Offensichtlich überhaupt nichts. Und das ist ja eigentlich schade.

Jetzt mag man sich darüber streiten, ob nun der Fall aus Regensburg 1980 oder der aus Ribnitz-Damgarten 2024 schlimmer einzuschätzen ist. Für beides gibt es Argumente.

Der Regensburger Fall ist schlimmer, weil er ja schließlich bis zum Rauswurf der Schülerin geführt hat. Das war in Ribnitz nicht der Fall. Das stimmt, auch wenn das für die Regensburger Schule damals erst das letzte Mittel war, nachdem alles andere nichts genützt hatte.

Der Fall aus Ribnitz ist schlimmer, denn in Regensburg ging es immer nur um die Meinung, die die Schülerin IN DER SCHULE durch das Tragen der Plakette herausgestellt hatte. Argumentiert wurde mit der Störung des Schulfriedens. Wo Christine Schanderl diese Plakette außerhalb der Schule getragen hat, war für die Schulleitung dabei völlig uninteressant. Die Tiktok-Posts von Loretta B. in Ribnitz-Damgarten sind nun aber Teil des PRIVATEN, und nicht des Schullebens. Eine Schülerin wegen Meinungsbekundungen im privaten Bereich zu verfolgen, darauf wäre im Regensburg des Jahres 1980 noch niemand gekommen.

So mag der frühere Fall in seinen Konsequenzen für die betroffene Schülerin gravierender gewesen sein, der aktuelle Fall aber zeigt eine völlig neue Qualität der Gesinnungsschnüffelei: eben auch im privaten Bereich, bei Dingen, die strafrechtlich völlig unbedenklich sind. 1980 war es noch für alle Beteiligten völlig klar: "Das Grundrecht der Meinungsfreiheit findet seine Schranken nur 'in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze... und in dem Recht der persönlichen Ehre'." Hier hat die "Zeit" aus Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes zitiert.

Heute pfeift man offensichtlich immer mehr darauf. Und diese neue Qualität der Gesinnungsschnüffelei zeigt dieser Fall aus Mecklenburg-Vorpommern vorbildhaft auf. Damit ist er kein Einzelfall und wird das leider auch nicht bleiben.

Vielleicht hielt der Herr Direktor ein dreifaches Polizeiaufgebot ja für ein geeignetes Mittel, um die ihm anvertrauten Schülerinnen und Schüler zu guten Duckmäusern zu erziehen. Möge ihm das nicht gelingen. Und vielleicht wird ja aus Loretta B. einmal auch eine erfolgreiche Anwältin und "ein Stachel im breitgehockten Hinterteil" der SPD. Zu wünschen wäre das allen Beteiligten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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