Steinmeier kritisiert die Bundesregierung - für ihre Kommunikation

Politische Denkfehler Sie habe "Entscheidungen nicht ausreichend kommuniziert [...] Die Regierung muss ein Interesse daran haben, das zu verbessern", so Steinmeier. Entlarvend: Es geht immer nur um schlechte "Kommunikation", nie um die Politik als solche

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Beim Pferdehändler. "Enthüllung der Schönheit". Echt jetzt?

Aus "The illustrated horse management", erschienen 1864, S. 376

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung kritisierte Bundespräsident Walter Steinmeier vor einigen Tagen die Bundesregierung. Die Medien haben darüber berichtet:

»Wenn die Glaubwürdigkeit einer Regierung sinkt, hängt das auch damit zusammen, dass Entscheidungen nicht ausreichend kommuniziert oder akzeptiert worden sind oder von internem Streit, der nach außen dringt, überlagert werden«, sagte Steinmeier im Interview mit der »Süddeutschen Zeitung«. »Die Regierung muss ein Interesse daran haben, das zu verbessern«, fügte er hinzu.

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundespraesident-frank-walter-steinmeier-kritisiert-bundesregierung-entscheidungen-nicht-ausreichend-kommuniziert-a-4b740d66-92ae-4fb0-aef1-72fd6a613ac4 .

Worum geht es? Steinmeier wirft der Regierung vor, ihre Kommunikation sei schlecht, also ihre "Performance" in der Öffentlichkeit, die "Show", die sie den Bürgern liefert, die Propaganda.

Vorwürfe dieser Art finden wir häufig, oder Politiker, die ins Kreuzfeuer der Kritik geraten sind, üben sich dann mit ähnlichen Sprüchen in scheinbarer "Selbstkritik", um so mit "Vorwärtsverteidigung" mögliche härtere Kritik abzufedern. Da heißt es dann auch gerne, "Wir müssen die Menschen besser mitnehmen", oder "Wir müssen die Menschen da abholen, wo sie stehen."

Was dann immer heißt, wir machen doch eine gute Arbeit, wir haben es euch bisher nur noch nicht gut genug kommuniziert, bis ihr es endlich auch versteht. Nein, liebe Politiker(innen), genau darum geht es nicht.

Auch Steinmeiers (scheinbare) Kritik enthält ja die gleichzeitige Annahme bzw. sie setzt als selbstverständlich voraus, dass die angeblich mangelhaft kommunizierte Politik, in Steinmeiers Satz die "Entscheidungen", als solche doch gut und richtig ist. Die "Entscheidungen" werden nicht hinterfragt, sie sollen auch von niemandem hinterfragt werden.

Nein, lieber Herr Steinmeier (und all die anderen, die ihr nach diesem Muster argumentiert), es geht nicht darum, dass die "Entscheidungen nicht ausreichend kommuniziert" werden, sondern schlichtweg darum, dass die Entscheidungen entweder per se schlecht sind oder zumindest, dass eine große und stabile Mehrheit sie ablehnt. In einer echten Demokratie wäre das dann das KO für eine solche Entscheidung.

Aber bei uns ist das anders. Da geht es darum, falsche Entscheidungen oder solche, die die Mehrheit nicht will, dieser Mehrheit durch permanente oder geschickte Propaganda solange anzupreisen, bis der Widerstand dagegen erlischt. Tut mir leid, so etwas nennt man Manipulation.

Steinmeiers Kritik liest sich also so: Liebe Bundesregierung, ihr trefft den Nerv der Leute nicht, lernt endlich, sie richtig zu bearbeiten!

Worauf laufen derartige Manipulationen hinaus? Mir kommen dazu ein paar Vergleiche aus dem Alltagsleben in den Sinn:

A) Person 1 bequasselt Person 2 stundenlang immer mit denselben Forderungen und Wünschen, bis Person 2 plattgequatscht ist und den Mund hält und Person 1 machen lässt oder ihr das gibt, was sie will.

B) Person 1 greift zu dem Mittel, Person 2 dabei anzugreifen, wenn A) noch nicht gefruchtet hat, und erklärt, dass Person 2, wenn sie nicht nachgibt, dumm, altmodisch, borniert, frauenfeindlich, rassistisch, Nazi oder sonst etwas Negatives ist.

C) Wenn B) noch nicht fruchtet, werden Person 2 konkrete Nachteile angedroht: Ich erzähle allen, was für ein Rassist du bist; ich hau dir eine aufs Maul; ich zersteche dir die Autoreifen etc.

Die politische Kommunikation in diesem Land erlebt mittlerweile alle drei Varianten. Es gibt aber noch zwei weitere, quasi für Fortgeschrittene:

D) Person 1 ist so geschickt, dass sie Person 2 vollkommen verunsichert, dass diese ihrem eigenen Bauchgefühl und ihrem eigenen Verstand nicht mehr traut und dann Entscheidungen trifft, die diesen zuwiderlaufen. Da sich aber eigenes Bauchgefühl und eigener Verstand nur schwer unterdrücken lassen, wird sich Person 2 bei diesen Entscheidungen selten gut fühlen und selten wirklich davon überzeugt sein, tatsächlich gut entschieden zu haben. Diese Variante D) ist ohne Zweifel nur "Manipulation" zu nennen.

E) Noch bessere Manipulation, bei der es tatsächlich gelingt, Verstand und Bauchgefühl des Anderen auszuschalten.

Wer hat nun solche "Qualitäten", Menschen besonders gut zu manipulieren?

Der Autoverkäufer, der es schafft, einem Kunden eine Rostlaube als Neuwagen für teuer zu verkaufen, obwohl der Kunde doch die vielen Rostbeulen gesehen hat? Oder in früheren Zeiten den Pferdehändler, der die halbtote Schindmähre als preisträchtiges Rennpferd verkaufen konnte? Oder den Makler, der Ihnen die verschimmelte Bruchbude als "Villa" verkaufen will? Der Politiker, der es schafft, den Bürgern eine schlechte oder für sie nachteilige Entscheidung zu "kommunizieren"? Das bleibt sich wohl gleich. Solche Auto- oder Pferdeverkäufer und Makler lieben wir doch alle, oder?

Oder der Callcenter-Mitarbeiter, der Sie anruft, um Ihnen per Kaltaquise ein Gewinnspiel, einen neuen Handyvertrag, einen Wechsel des Stromanbieters (das sind so die Hits) zu verkaufen, und der neben sich einen Leitfaden liegen hat, mit präparierten Antworten auf alles, was der Angerufene an Einwänden bringen könnte? Solche Leute und solche Anrufe lieben wir doch alle, oder? Warum sollten wir irgendwelche Politiker, die uns "mitnehmen" wollen oder dort "abholen, wo wir stehen", auch nur ein kleines bißchen mehr lieben und ihnen mehr glauben als den Callcenter-Typen?

Es geht nie um gute oder schlechte Kommunikation, es geht um gute oder schlechte Politik.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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