Krieg? Was für ein Spaß!

Tucholsky zu "Kriegstüchtig" Jetzt sollen wir also "kriegstüchtig" werden. Kriegspropaganda auf allen Kanälen, militärische Themen in Dauerschleife. Nicht nur die Ukraine soll mit Taurus noch "kriegstüchtiger" werden, sondern auch wir alle, in unseren Köpfen. Echt?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Sind Kriegführen und Waffen wirklich normale Bestandteile unseres Lebens, so zwischen Zähneputzen, Weg zur Arbeit, Büroroutine, Ärger mit den Kollegen, Feierabendbier, Gute-Nacht-Geschichte für die Kinder? Wäre da nicht noch etwas Platz für Taurus und Kampfjets? In deinem Leben und vor allem in deinem Kopf?

Wenn es nach Pistorius, Kiesewetter, Strack-Zimmermann, Baerbock und Co. geht ja wohl. Wir sollen "kriegstüchtig" werden und werden deshalb stundenlang nicht nur mit Kriegspropaganda, sondern auch mit Waffenpropaganda überschüttet. Jetzt also der Taurus auf allen Kanälen und mit allen technischen Details. Wir sollen also alle Taurus-Kenner werden, ob wir das wollen oder nicht. Nur dass er Tod und Zerstörung bringt, ist nicht unbedingt das hervorstechende Thema.

Über Waffenbegeisterung fängt man die Leute ein. Wenigstens viele. Vor allem wohl technikbegeisterte Jungen und Männer. So pflanzt man das Interesse für Waffen in die Köpfe und damit auch die Vorstellung, dass Waffen fast so "normal" sind wie Traktoren, Autos, Lokomotiven.

Das ekelhafteste Beispiel dafür lieferte das ZDF in seinen Nachrichten für Kinder "logo" mit einem Animationsfilm: https://www.youtube.com/watch?v=kgsVFZXnkAE . Und noch einmal war der Taurus Thema für die Kinder: https://www.youtube.com/watch?v=mx4Co29VnWk&t=485s&pp=ygUPemRmIGxvZ28gdGF1cnVz (ab Min 3:20).

Der "Tag der Bundeswehr" dient seit 2015 genau diesem Zweck: https://de.wikipedia.org/wiki/Tag_der_Bundeswehr

Auch die Bundeswehr informiert darüber: https://www.bundeswehr.de/de/organisation/weitere-bmvg-dienststellen/territoriales-fuehrungskommando-der-bundeswehr/aktuelles/tag-der-bundeswehr-2024-5712842 .

Kinder auf Panzern!

Eingebetteter Medieninhalt

Eingebetteter Medieninhalt

Echt geil, so ein Dingo mit Geschütz oben drauf, stell dir vor, du fährst mit sowas durch ein Dorf in Russland oder in Libyen und hälst voll auf alles drauf, was sich bewegt, echt geil, ey. "Dingo" beim "Tag der Bundeswehr" auf dem Flugplatz Laupheim, 2015

Eingebetteter Medieninhalt

Postkarte als Souvenir vom Besuch der britischen Kriegsflotte in London, 1909

Kurt Tucholsky schrieb genau zu diesem Thema in der "Weltbühne" vom 21. Juni 1927. In der Ausgabe bei "Volk und Welt", Berlin 1957, im Band "Deutschland, Deutschland unter anderen" auf S. 73-76.Wir finden den Text auch komplett online, hier: http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1927/Kopenhagener+krabbeln+auf+ein+Kriegsschiff und hier: https://www.textlog.de/tucholsky/glossen-essays/kopenhagener-krabbeln-auf-ein-kriegsschiff

Hier etwas gekürzt (am Anfang und bei den Mädchen, die auf dem Schiff vor den Matrosen posieren):

Kopenhagener krabbeln auf ein Kriegsschiff

Die hohe Mauer an Lange Linie war gesteckt voll, und alle sahen zu den englischen Kriegsschiffen hinüber, die sich da ins Wasser gestellt hatten: hintereinander und nebeneinander, es war wohl ein ganzes Geschwader. [...]

Die Mädchen gingen auf den Planken des Kriegsschiffes wie in einem Dampfbad. Sie badeten in der wohligen Atmosphäre von Männerbegehren – ihre Gelenke wurden biegsamer, ihr Fleisch weicher, ihre Nasenflügel schlugen Wellen . . . Wenn sie an den blauen Riffen der Matrosen vorbeisegelten und es auf den Männerfelsen lebendig wurde, wurden sie noch einmal so dick. [...]

Sie lustwandelten, die lieben Kopenhagenerinnen, unter den englischen Matrosen [...] – so wandelten die Mädchen unter den Matrosen, und die Matrosen sahens gern und ließens sichs wohl sein und waren frisch rasiert und hatten wohl abends Landurlaub. Skal –!

Die Knaben aber aus Kopenhagen, die da aufs Schiff geklettert waren, hatten andres im Kopf. Hallo, ein Kriegsschiff!

Schon von weitem war aufgefallen, daß die Winker, die da auf den Gefechtstürmen umherstanden, winkten und winkten, sie kugelten sich fast ihre schwarz-weißen Arme aus den Gelenken . . . Das waren die Herren Knaben, die an ihnen herumspielten, das durften sie, kein englischer Offizier, kein Matrose verbot ihnen etwas, jeder ließ sie machen. Und sie zogen Fahnen auf und ab, sie senkten die Strickleitern und holten sie wieder empor, versuchten, die Kanonenrohre abzubrechen – sie hatten so viel zu tun! Das ganze Kriegsschiff war ein einziges Spielzeug für sie – sie hampelten darauf umher und hätten es am liebsten auseinandergelegt und wieder zusammengesetzt, den Kapitän inklusive. Aber der Kapitän war nicht zu sehen, und so unterblieb das, leider.

Einen sah ich, der drehte ununterbrochen am Winkerapparat (1), er sah nicht einmal hin, was er da zusammenwinkte – er drehte nur. Er hatte sich vor der kleinen Maschine hingekniet, sein Kopf war ganz rot vor Anstrengung, und in diesem Badeschwamm von Jungengehirn war nur der eine einzige Gedanke: Wenn ich hier unten drehe, dann dreht sich das da oben, und jetzt bin ich der Kapitän, und ich winke dem bösen Feind . . .

So entsteht die Lust am Krieg.

Kriegsschiffe spazieren fahren lassen –: das ist eine der besten Kriegsreklamen, die es gibt. Hat man schon je erlebt, daß ein richtiger Junge vor einem so herrlich blinkenden Apparat nach der sittlichen Idee des Ganzen fragt? Das tun nicht einmal Erwachsene, Professoren, Kriegsberichterstatter, Redakteure . . . warum sollten es die Knaben tun? Sie wissen nur: es ist groß und bunt und stahlgrau, und wennman unten dran dreht, dann bewegt sich oben etwas – und wofür das Ganze gemacht wird, ist ihnen vollkommen gleichgültig, wenn es sie nur unterhält, wenn es ihnen nur gefällt – »Nehm Se Kriech! det hebt Ihnen!«

Und das bleibt fürs Leben; Kindereindrücke haften. Und weil niemand dieser Generation (was so leicht wäre) in der Schule den Krieg so zeigt, wie er wirklich ist, so springt der Funke, den die Matrosen in den lustwandelnden Mädchen erzeugt haben, gewandelt auf die Knaben über, beide kommen auf ihre Kosten, beide bejahenden Handlanger des Kaufmanns, weil er bemalt ist wie ein Papagei, weil er ein Mann ist, hol mich dieser und jener, und eben, weil er da ist.

Da lagen die Kriegsschiffe des Geschwaders im blauen Hafen von Kopenhagen, und die Besucher brachten ihre Neugier mit und nahmen sich etwas andres von Bord mit: Lust am Mann und Lust an der Apparatur. Das genügt, wie sich gezeigt hat, für vier Jahre, und wenn sie noch so blutig sind.

So möge auch Gott mit unsrer herrlichen Flotte sein, die die Republik an der Gösch (2) besuchen kann. Denn so fahren die Flotten aller Länder in der Welt umher, Achtung um sich verbreitend und Reklame für den jeweiligen Heldentod:

Hier bei uns werden Sie am komfortabelsten getötet! Glückliches Dänemark! Bleibe Zuschauer – sieh dir den Wahnwitz der andern an, du brauchst ihn nicht mitzumachen, bleib Zuschauer, fare well!

(1) Gerät zum Auf- und Abziehen der Signalflaggen

(2) Bugfahne am Schiff.

Auch interessant, was Tucholsky einem kleinen skandinavischen Land wie Dänemark vor fast hundert Jahren geraten hat: "Glückliches Dänemark! Bleibe Zuschauer – sieh dir den Wahnwitz der andern an, du brauchst ihn nicht mitzumachen, bleib Zuschauer, fare well! Nun, Schweden ist gerade in die NATO eingetreten, und Dänemark führt gerade die Wehrpflicht für Frauen ein. Man will halt jetzt nicht nur Zuschauer bleiben, sondern mitmachen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden