Zwei Frauen schauen am Rande eines Parks in Südkorea ihren etwa zwölfjährigen Kindern beim freudigen Herumalbern zu, da sagt die eine: „Wenn man etwas zurücklässt, entsteht Platz für Neues.“ Mit diesen nüchternen Worten erklärt sie, weshalb sie mit ihrer Familie bald nach Kanada auswandern wird – wobei der Tonfall gleichermaßen dem bald Vergangenen wie dem Künftigen zugewandt ist. Ihre Tochter Na Young, die in Kanada der Assimilation wegen den Vornamen Nora tragen soll, spielt derweil mit ihrem Schulfreund Hae Sung, der von der Auswanderung noch nichts weiß. Einige Tage später trennen sich ihre Wege nach dem gemeinsamen Heimgang von der Schule an einer Gabelung scheinbar für immer. Doch wie Past Lives im Fol
im Folgenden einfühlsam schildert, ist dies nur die erste Etappe in ihrer Geschichte.Past Lives scheint sich zunächst gut in die Reihe sehenswerter Filmen über asiatisch-amerikanische Migrationsgeschichten einzuordnen. Man denke etwa an Lee Isaac Chungs großartiges Familiendrama Minari (2020) oder Lulu Wangs berührende Tragikomödie The Farewell (2019), aber in gewisser Hinsicht auch an den unverhofften Multiverse-Hit Everything Everywhere all at Once (2022) und die Netflix-Serie Beef (2023). Sie alle erzählen von der spezifischen Kluft zwischen den Denk- und Lebensweisen in der zurückgelassenen und der gegenwärtigen Heimat. Und insbesondere treten dabei die noch als Kinder Emigrierten in den Fokus, die damit zu kämpfen haben, elterlichen wie gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden und zugleich die empfundene kulturelle Dualität ins ohnehin schon schwierige Erwachsenwerden zu integrieren.Wie all diese Produktionen ist auch Past Lives vor realen biografischen Hintergründen entstanden: Drehbuchautorin und Regisseurin Celine Song wanderte als Zwölfjährige mit ihrer Familie von Südkorea nach Kanada aus. Und doch wagt ihr so sorgsam komponierter Film ein Abschweifen von dieser persönlichen Migrationserfahrung in universelle Bereiche des menschlichen Empfindens.So setzt Past Lives nach der Ankunft der Familie in Toronto zu einem Zeitsprung an: Es sind zwölf Jahre vergangen, Na Young ist zur Mittzwanzigerin Nora (Greta Lee) herangewachsen und soeben freudestrahlend in New York angekommen, wo sie dem Ziel nachgeht, Theaterautorin zu werden, und ein Aufbaustudium absolviert. Beim abendlichen Gescrolle auf Facebook (es sind die Anfänge der 2010er) denkt sie erstmals seit Jahren an Hae Sung zurück, schreibt ihm, woraufhin sie bald regelmäßig skypen. Was vage beginnt, festigt sich: Hae Sung (Teo Yoo) gesteht Nora, sie vermisst und immer wieder an sie gedacht zu haben. Doch er lebt weiterhin in Seoul, ohne Aussicht darauf, sie bald besuchen zu können, und auch sie muss sich ihrem Leben in New York widmen. Die Leitung zwischen ihren Videochats bricht wiederholt ab, die Frustrationen nehmen beidseitig zu, und als es Hae Sung im Sommer nach China verschlägt und Nora einen Platz in einer Künstlerresidenz ergattert, stehen sie nach der unerwarteten Kreuzung ihrer Wege schon wieder vor einer Gabelung.Dies alles setzt Celine Song mit Sanftheit und Klarheit in Szene, das erneute Auseinanderdriften der beiden Freunde erscheint natürlich und tragisch zugleich. Sie greift einen sehr temporeichen Lebensabschnitt auf, in dem die Optionen noch reichlich und viele Wege beschreitbar scheinen – was es umso schwieriger für Hae Sung und Nora macht, auf ihrer nicht-physischen Wiederbegegnung aufzubauen. Song hat Figuren mit komplexen Innenleben geschaffen, die diese selbst immer wieder zu überraschen scheinen – aus jeder Interaktion zwischen ihnen dringt eine Authentizität, die diesen Film auf unaufdringliche, aber intensive Weise ausmacht.Eine Dreiecksgeschichte?Mit Feingefühl setzt Past Lives schließlich auch zur weiteren Ausdifferenzierung seiner Liebesgeschichte an und bringt die Figur Arthur (großartig: John Magaro) ins Spiel und in Noras Leben. Das letzte Drittel des Films nimmt Bezug auf die bedeutsame Eröffnungsszene: Weitere zwölf Jahre sind vergangen und Nora, Arthur und Hae Sung sitzen in den frühen Morgenstunden in einer Bar in New York. Sie werden von Fremden betrachtet, die sich fragen, in welcher Beziehung die drei wohl zueinander stehen. Ein Liebesdreieck, könnte man raten, aber es ist keines im dramatisch-herkömmlichen Sinne.Sie sind, so viel sei verraten, miteinander in diesem wie auch in einigen Leben zuvor verbunden, wenn es nach der im Film mehrfach von den dreien thematisierten koreanischen Vorstellung des „in-yeon“ geht. Dieses Konzept besagt in etwa, dass jeder noch so flüchtig wie bedeutsam erscheinenden Begegnung zwischen zwei Menschen in der Gegenwart unzählige Begegnungen in vergangenen Leben vorausgegangen sind. Was Nora an einer Stelle im Film als lediglich zu Flirtzwecken geeigneten Humbug abtut, wird ihr im weiteren Verlauf schließlich zum Trost.Letzten Endes bezieht sich „in-yeon“ aber nur auf eine mögliche Bedeutungsebene des Filmtitels. Denn Past Lives ist vor allem ein Film über die sich trotz einer glücklichen Gegenwart einstellende Wehmut nach dem ursprünglich vielleicht angedachten, aber nicht beschrittenen Weg. Eine Wehmut, die Menschen mit Migrationserfahrung vielleicht vertrauter ist, aber die Celine Songs so anmutiger Film fühlbar für alle werden lässt, die jemals ein Stück Leben und Liebe schweren Herzens hinter sich gelassen haben.Eingebetteter Medieninhalt