Für einen kurzen Moment hätte man es für eine schicksalhafte Kompensation für durchlebte Ungerechtigkeit halten können: Ende des 19. Jahrhunderts werden in Osage County im US-Bundesstaat Oklahoma, dem Reservatsgebiet der indigenen Osage Nation, Ölvorkommen entdeckt. Ein Statut sprach den Mitgliedern der Osage die Mineralienrechte zu und innerhalb weniger Jahre avancierten diese damit zur Volksgruppe mit dem höchsten Wohlstand pro Kopf – weltweit.
Killers of the Flower Moon, Martin Scorseses Adaption des gleichnamigen Sachbuchs von David Grann, fängt die Flüchtigkeit dieses Glücks in einer euphorisch-meditativen Zeitlupensequenz ein: Einige Osa ge-Männer tanzen um eine sprudelnde Ölquelle herum und lassen ihre Haut vom „
re Haut vom „schwarzen Gold“ benetzen. Darauf folgen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die die Osage der 20er Jahre in adretten Gewändern und von weißen Bediensteten umgeben zeigen – eine augenfällige Umkehr damals (wie heute) vorherrschender sozialer Hierarchien.Eingebetteter MedieninhaltVon ebendieser zeigt sich auch der Anfang der 1920er ins Osage County ziehende Ernest (Leonardo DiCaprio), ein orientierungsloser, simpel gestrickter Kriegsveteran, zunächst erstaunt. Empfangen wird er von seinem Onkel William King Hale (Robert De Niro), einem ortsansässigen Geschäftsmann, der rege Kontakte zu den Osage pflegt. Großtuerisch nimmt William Ernest unter seine Fittiche und klärt ihn auf: Die Osage seien das „edelste und wunderbarste Volk auf Gottes Erde“. Ernest solle sich mit ihrer Geschichte auseinandersetzen – und eine Ehe mit einer „Vollblut“-Osage erwägen. Nur kränklich, äußerst kränklich sei dieses Volk leider.Was es mit dieser „Kränklichkeit“ auf sich hat, zeigt im weiteren Verlauf eine schonungslose Aneinanderreihung von Todesfällen: wohlbetuchte Indigene, die nach Vergiftungen zusammenbrechen oder gar am helllichten Tag mit Kopfschüssen hingerichtet werden. Ermittlungen, so schließt eine weibliche Stimme aus dem Off, die die Namen der Opfer aufzählt, zieht keiner dieser Todesfälle nach sich. Die Stimme gehört Mollie (Lily Gladstone), einer ledigen Osage, die mit ihrer betagten Mutter Lizzie (Tantoo Cardinal) zusammenlebt und drei weitere Schwestern im Erwachsenenalter hat. Am Bahnhof fällt die ernste, introvertierte Frau dem sich mittlerweile als Fahrer verdingenden Ernest ins Auge.In der romantischen Anbahnung zwischen Ernest und Mollie scheint Killers of the Flower Moon zaghaft die Richtung in eine Liebesgeschichte einzuschlagen, doch bleibt diese stets von Zweifeln an Ernests wahren Absichten überschattet, für das Publikum wie für Mollie. Zu undurchsichtig scheint der mit saloppem Charme, aber auch spürbarer Beschränktheit auftretende Ernest, zu naheliegend der Gedanke, dass er nur von Mollies Wohlstand profitieren will. Er gewinnt sie schließlich für sich, als er unumwunden zugibt, Geld zu lieben, und zugleich eine starke Anziehung zwischen den beiden spürbar wird.Zwei reale FigurenUrsprünglich hätte die Beziehung zwischen Ernest und Mollie – beide reale Figuren im Kontext der Osage-Morde – keine zentrale Rolle in Killers of the Flower Moon einnehmen sollen. Scorsese hat sie gemeinsam mit Drehbuchautor Eric Roth erst in späteren Fassungen des Skripts in den Vordergrund gerückt, nachdem die Gemeinschaft der Osage in Oklahoma konsultiert wurde und sich abzeichnete, dass ein von Beginn an von weißen Ermittlern erzählender True-Crime-Western dem Thema und dem Schmerz der Osage nicht angemessen sei. Scorsese bemüht sich in Killers of the Flower Moon darum, einerseits ein an die „Wildwest“-Zeit anschließendes, aufschlussreiches Stück US-Geschichte zu erfassen, mit Historizität ausstrahlenden Fotonachstellungen, Schwarz-Weiß-Sequenzen, Texttafeln und Verweisen auf weitere historische Ereignisse. Andererseits will er mit seinem Fokus auf Ernest, Mollie und William zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der besonderen Kaltblütigkeit dieses Mordkomplotts vordringen.Denn Mollie, inzwischen mit Ernest verheiratet und Mutter zweier Kinder, erlebt mit, wie ihre Schwestern und ihre Mutter der Reihe nach ums Leben kommen, während ihre Diabetes sie trotz Insulinverabreichung zunehmend schwächt. Hinter Mollies Rücken laufen die Fäden bei dem sich als Freund und Helfer der Osage ausgebenden William zusammen. Mit bemerkenswerter Beiläufigkeit gibt er Morde in Auftrag, kassiert Lebensversicherungen und ist darauf bedacht, Mollie – und damit eigentlich Ernest – zur alleinigen Erbin ihres Familienvermögens zu machen. Ernest ist Mitwisser und schließlich, wenngleich zögerlich, auch Täter. Seinen Gefühlen für Mollie zum Trotz übernimmt er den ihn umgebenden Habitus einer völligen Ruchlosigkeit gegenüber indigenem Leben: Es sind doch bloß Indianer, sie haben sich ihren Wohlstand nicht einmal erarbeitet.Ernests Rückgratlosigkeit bleibt in gleichem Maße unbegreiflich wie die letzte Kraft, mit der es Mollie schließlich gelingt, die Aufklärung der Morde herbeizuführen. Erst im letzten Drittel des knapp dreieinhalbstündigen Epos wird tatsächlich ermittelt – von Tom White (Jesse Plemons), einem geradlinigen Agenten des FBI-Vorläufers Bureau of Investigation. Killers of the Flower Moon verkommt dennoch nicht zur „White Saviour“-Erzählung, sondern hebt bis zuletzt hervor, wie schockierend lang dieser Akt des Anstands auf sich warten ließ und dass am Ende lediglich ein paar Täter überführt wurden, während das Schicksal der Betroffenen unbeachtet blieb. Es ist eine bittere wie ungeheuer erhellende Geschichte, die Martin Scorsese hier mit Behutsamkeit und einem ungewöhnlichen Figurenfokus nachzeichnet.Placeholder infobox-1