Als vergangene Woche der Koalitionsvertrag vorgestellt wurde, geisterte eine lustige Anekdote durch das politische Berlin: Die FDP habe den Begriff „feministische Außenpolitik“ nicht im Koalitionsvertrag haben wollen, aber „feminist foreign policy“ (FFP) sei für sie ein akzeptabler Kompromiss gewesen. Klar, das klingt auch viel mehr nach Sillicon-Valley. Gegen Anglizismen hat auch Kristina Lunz nichts einzuwenden: Die 32-Jährige ist Gründerin des „Centre for Feminist Foreign Policy“, mit Sitz in Berlin. Dem Freitag hat sie verraten, wie sie es geschafft hat, dass FFP in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde.
Frau Lunz, wie doll mussten Sie lobbyieren, damit „feminist foreign policy“ im Koalitionsvertrag landet?
Kristina Lunz: Ich wünschte natürlich, dass wir diesen Passus komplett unserer Arbeit zuschreiben könnten. Weiß nicht, ob dem so ist. Aber zumindest hatten wir zur Bundestagswahl unser „Manifest für eine feministische Außenpolitik“ herausgebracht: Darin wurde auf 80 Seiten erklärt, was FFP für Deutschland bedeuten könnte.
Und, was könnte es bedeuten?
Dass die grundlegenden Paradigmen und Narrative in der Außen- und Sicherheitspolitik hinterfragt werden. Zum Beispiel, dass „mehr Militär“ immer gleich „mehr Macht“ heißt. Wir richten unseren Fokus auf Demilitarisierung und Frieden, stellen Rüstungsexporte infrage, wollen dass unsere Außenpolitik dekolonialisiert wird. Kurz vor der Bundestagswahl hatten wir auch einen Policy-Brief veröffentlicht, in dem wir gefordert haben, dass Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag ratifiziert.
Stattdessen halten wir an der nuklearen Teilhabe fest: In Büchel sind nach wie vor US-amerikanische Atomwaffen stationiert.
Ja, aber immerhin hat sich Deutschland im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, als „Beobachter“ an der nächsten Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags teilzunehmen – was ziemlich riesig ist! Bis jetzt hat das nur ein anderer Nato-Staat zugesagt: nämlich Norwegen. Die Nato hatte ihre Mitglieder aktiv dazu aufgerufen, da nicht mitzumachen und den Vertrag nicht zu unterschreiben.
Zur Person
Kristina Lunz, geboren 1989, ist die Mitbegründerin des „Centre for Feminist Foreign Policy“ (CFFP), welches sich aktiv für eine „feministische Außenpolitik“ einsetzt. 2016 erhielt sie als Teil der Initiative #ausnahmslos den Clara-Zetkin-Frauenpreis. Ihr Buch Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch wird im Februar 2022 im Econ-Verlag (400 S., 23 €) erscheinen
Jetzt verstehe ich aber immer noch nicht so wirklich, was FFP bedeutet.
Wenn Sie so wollen, kehren wir uns von den „großen Denkern“ der Außenpolitik ab. Also von diesem angeblich „realistischen“ Verständnis, wonach alle Staaten in Anarchie zueinander stehen, weil es keine supranationale Regierung gibt.
Das habe ich auch im Politik-Studium so gelernt.
Problematisch, oder?
Aber mit wem mussten Sie reden, damit FFP in den Koalitionsvertrag aufgenommen wird? Bei Instagram posieren Sie mit Annalena Baerbock. Sind Sie zu der hingegangen und haben gesagt: Mensch Annalena, wir brauchen diesen Passus – und sie hat dann zugesagt?
Ach, das wäre schön. So möchte ich mir das auch vorstellen. Das Bild mit Annalena Baerbock ist schon älter, das ist während des Wahlkampfes entstanden. Aber Sie wollten ja wissen, wie das abläuft: Also das Centre for Feminist Foreign Policy gibt es seit drei Jahren in Berlin. Und in der Zeit haben wir schon viele Veranstaltungen gemacht, zu denen dann auch unsere „stake holder“ gekommen sind. Viele „closed-door-events“… Sorry für die ganzen Anglizismen!
Nennen Sie doch mal Namen.
Bei unserer großen Launch-Party im September 2018 war Gyde Jensen von der FDP da. Ich habe Insta-Live-Veranstaltungen mit der Grünen Agnieszka Brugger gemacht. Michelle Müntefering sitzt in unserem Beirat. Das ist aber alles öffentlich.
Es gibt zwei Arten, das Konzept „feministische Außenpolitik“ zu deuten. Entweder: Die Regierung treibt Projekte in Ländern voran, in denen Frauen schlechter gestellt sind, baut Schulen und unterstützt Organisationen, die sich für Gleichberechtigung einsetzen. Oder: Man geht aktiv gegen misogyne Regime vor, mir würde der Iran einfallen – dann wird man aber zum außenpolitischen Hardliner.
Ich würde dem widersprechen, dass das die zwei Auslegungen sind. Gehen wir mal zurück in der Geschichte: 1915 wurde in Den Haag der Grundstein für feministische Außenpolitik gelegt. Da sind 1.200 Feministinnen für die dritte Friedenskonferenz – und die erste Frauen-Friedenskonferenz! – zusammengekommen, um das Ende des Ersten Weltkriegs und eine Demokratisierung der Außenpolitik zu fordern. Außerdem noch das Frauenwahlrecht und die Abschaffung des militärisch-industriellen Komplexes. Und die haben dann gesagt: Liebe Staatsoberhäupter, so sollte das Miteinander im innerstaatlichen Geflecht nicht funktionieren! Mit diesen Machtgebärden und der ganzen Aufrüstung.
Die schwedische Regierung betreibt seit 2014 „feministische Außenpolitik“. Als eine Delegation ebendieser Regierung 2017 in den Iran fuhr, wurde sie dafür angegriffen, den Hijab zu tragen. Das sei anti-feministisch, hieß es, ein Zeichen für die Unterdrückung der Frau.
Ich habe ein Problem damit, wenn man ein Konzept wie FFP auf die Frage herunterbricht: „Hijab tragen oder nicht?“ Aber naja. In diesem konkreten Fall könnte man vorher eine Art „Check-In“ machen und die feministischen Akteure vor Ort fragen: Passt auf, Leute, was wäre euch am liebsten, wenn wir zum Staatsbesuch zu euch kommen? Würde es euch helfen, wenn wir solidarisch sind und den Hijab tragen? Oder sollen wir uns dem widersetzen?
„Feministischen Visionen treffen auf Jahrzehnte alte Strukturen“
Schweden ist auch ein wichtiger Waffenexporteur und liefert seine Kriegsprodukte in 56 Länder – darunter Pakistan, der Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate. Widerspricht das nicht den Zielen feministischer Außenpolitik?
Absolut! Wir haben schon seit zwei Jahren oder so dazu einen Artikel auf unserer Website, der sich mit der Frage beschäftigt: „Wie feministisch ist die schwedische Außenpolitik eigentlich?“ Übrigens sitzt auch die ehemalige schwedische Außenministerin, Margot Wallström, bei uns im Beirat. Die hatte ja 2014 das Konzept „feministische Außenpolitik“ überhaupt erst erfunden und wurde da damals sehr für ausgelacht. Jetzt ist Margot keine Außenministerin mehr. Aber ich habe seitdem oft mit ihr geredet und sie sagt immer: „Du, wenn ich mir das aussuchen könnte, würde es nirgendwo auf der Welt mehr Waffenhandel geben!“ Aber auch Leute wie sie, mit feministischen Visionen, treffen natürlich auf Jahrzehnte alte Strukturen. Die kann man nicht von heute auf morgen umwerfen – auch wenn wir uns das wünschen.
Aber die Forderungen von FFP selbst sind doch schon schwach…
… bei uns nicht!
Okay, aber bei der schwedischen Regierung. Auf deren Internetseiten ist immer von „Frauen und Mädchen“ die Rede. Trans Menschen oder andere kommen da gar nicht vor.
Das ist ein Punkt, den wir auch ständig kritisieren. Aber solche Widersprüche gibt es nicht nur in Schweden. Wir gucken uns zum Beispiel Frankreich an: Seit 2019 sagt die Regierung dort, sie würde eine „feministische Diplomatie“ verfolgen. Und ja, die haben auch ein paar coole Sachen gemacht. Zum Beispiel haben die dieses Jahr das „Generation Equality Forum“ mit Mexiko ausgetragen und haben auch viel Geld für Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben. Aber Frankreich ist gleichzeitig eine der fünf anerkannten Nuklearmächte weltweit. Und es findet im Land keine Debatte darüber statt, wie das zusammenpasst mit den feministischen Zielen. Atomwaffen sind ja der perverseste Ausdruck patriarchaler Gewalt.
Man könnte auch sagen: FFP ist ein bequemes Mittel, um den eigenen Interessen einen „progressiven“ Anstrich zu geben. Wie damals in Afghanistan, wo der Westen die Situation für Frauen verbessert hat, aber eigentlich nur wegen der Rohstoffe dort war.
Nee, das hatte nichts mit feministischer Außenpolitik zu tun. Das ist eher „embedded feminism“: Da wurde Feminismus als Vorwand genommen, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Afghanistan ist ein wirklich gutes Beispiel dafür, wie es nicht funktioniert. Als letztes Jahr die Friedensverhandlungen in Doha losgingen, haben Akteure aus der feministischen Zivilgesellschaft in Afghanistan zahlreiche Vorschläge gemacht, wie die Verhandlungen ablaufen sollten. Die wurden aber über Jahre ignoriert. Erst als im August die Situation in Afghanistan eskalierte, wollten auf einmal alle mit Organisationen wie „Woman Human Rights Defenders“ sprechen. Immer erst, wenn die Kacke am Dampfen ist.
Welche Hoffnungen haben Sie angesichts der neuen Regierung?
Ich habe den Koalitionsvertrag mit einem wahnsinnig positiven Gefühl gelesen. Nehmen Sie die Streichung von Paragraf 219a StGB: Wir haben vor drei Wochen noch ein Briefing rausgebracht, wie Deutschlands Gesetzeslage beim Thema Schwangerschaftsabbruch im kompletten Widerspruch steht mit seinen internationalen Menschenrechtsverpflichtungen. Zum Beispiel mit der „Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women“. Das ist die Frauenrechtskonvention der UNO von 1979. Klar, viel ist auch noch schwammig im Koalitionsvertrag. Zum Beispiel die Verpflichtung zu strengerer Rüstungskontrolle. Greenpeace hat gezeigt, wie ein effektives Rüstungskontrollgesetz aussehen könnte. Müssen wir schauen, wie sich Deutschland da entwickelt. Aber der Ton des Vertrags stimmt.
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