Feige Jäger in der Nacht: Wie die CSU mit der Hatz auf den Wolf Politik macht
Wolf Die Diskussion, die die sich erholende Wolfspopulation auslöst, spaltet die Gesellschaft und ist mittlerweile politisch: Bauernverband und CSU nutzen die Hatz auf den Wolf für ihre Zwecke. Ein Schäfer aus Brandenburg hält dagegen
Des einen Freund, ist des anderen Feind: Der Wolf hält Einzug in deutschen Wäldern
Foto: Andreas Pein/laif
Oma Schischke war wohl einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. „Die ist mit blutendem Knöchel nach Hause gerobbt“, sagt Knut Kucznik. Was ist passiert? Sein Hund Olli hatte die alte Dame angeknurrt, doch die war weitergelaufen – bis Olli zubiss. „Die Blutspur reichte bis zu ihrer Tür!“ Olli war ein Šarplaninac: Das ist eine mazedonische Hunderasse, die eingesetzt wird, um Herden vor gefräßigen Angreifern zu schützen.
Kucznik hatte Olli von der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe geschenkt bekommen. Deren Überzeugung: Wenn Hunde wie er den Hirten unter die Arme greifen beim Schutz der Tiere, staut sich bei denen nicht so viel Hass an auf den Wolf – und die friedliche Koexistenz zwischen Mensch und Raubtier wird m
edliche Koexistenz zwischen Mensch und Raubtier wird möglich. Nach der Oma-Schischke-Episode hat das bei Kucznik mit dem Zusammenleben dann auch endlich geklappt. Also zwischen Mensch und Wolf.Knut Kucznik ist Schäfer und steht auf seiner Weide in Altlandsberg. Um ihn herum: die Weite des platten Landes. 750 Schafe besitzt er. Noch nie wurde eines davon gerissen. Dabei sind hier, in Brandenburg, 47 Wolfsrudel heimisch: So viele wie nirgendwo in der Republik. Was macht Kucznik besser als andere Viehhalter, die am liebsten mit der Flinte in der Hand auf die Jagd gingen? Und warum verbreitet der Wolf so viel Angst und Schrecken, obwohl er für den Menschen so gut wie ungefährlich ist?In der DDR gab es keine WölfeSeit Renaissancezeiten wurde der Wolf in Deutschland gejagt. Im 19. Jahrhundert war er nahezu ausgestorben. Zwar versuchte er immer wieder, von Osteuropa über Polen herüber zu kommen. Doch die DDR war im Weg. Nicht wegen der Mauer oder den Zäunen. Sondern weil er dort gejagt wurde. Seit 1984 war der Wolf im Osten ganzjährig zum Abschuss freigegeben. Nur wenige Tiere verirrten sich deswegen auf das Gebiet der DDR. Und wenn doch, bekam ihnen das nicht gut.Nach der Wiedervereinigung änderten sich die Dinge. In der Bundesrepublik galt seit 1992 die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) der Europäischen Union. Dort wird der Wolf als „streng geschützte Art“ aufgelistet. Auf einmal war Deutschland, von Ost bis West, keine No-Go-Area mehr. Und so wurden 1998 in der Muskauer Heide das erste Mal wieder zwei Wölfe gesehen. Zwei Jahre später zog das erste Paar in Sachsen Welpen groß. Danach ging alles ganz schnell. Ehemalige Militärgelände der Russen und verlassene Truppenübungsplätze waren das perfekte Habitat, um sich ungestört zu vermehren.Heute geht der Bauernverband davon aus, dass 2.000 Exemplare in den deutschen Wäldern ihr Unwesen treiben, Schafe, Rinder und Pferde reißen und den Nutzviehbetreibern das Leben vergällen. Deswegen lud der Verband Ende April zum Wolfsgipfel nach Berlin. Motto: „Quo Vadis Isegrim?“ Dort sprach auch der als Wolf-Hardliner bekannte Biologe Hans-Dieter Pfannenstiel, der 30 Jahre lang Zoologie an der FU Berlin lehrte.Steffi Lemke weigert sichPfannenstiel trägt einen wolfsgrauen Bart und wuschige Augenbrauen und zeigt eine Power-Point-Präsentation, in der sich gefräßige Wölfe genüsslich über Wildbret hermachen. 3.965 Nutztiere seien 2020 in Deutschland gerissen worden, sagt Pfannenstiel, 37 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Was er nicht sagt: 2021 sank die Zahl wieder auf unter 3.500. Und was ist mit der Tatsache, dass ganz oben auf dem Wolfsspeiseplan nicht Nutztiere, sondern Rehe stehen? 97 Prozent der Risse sind wild lebende Huftiere. Trotzdem wünscht Pfannenstiel sich eine „planmäßige Bejagung des Wolfes“. Damit das möglich wird, müsste allerdings vorher dessen Schutzstatus gelockert werden. In Bürokratendeutsch gesprochen: Der deutsche Wolf müsste von „Anhang IV“ in „Anhang V“ der europäischen FFH-Richtline rutschen, wo die weniger geschützten Arten aufgelistet sind. Das ginge nur auf EU-Ebene.97 Prozent der Tiere, die Wölfe in Deutschland reißen, leben in freier Natur. Markus Söder weiß das wohl nicht. Oder warum hat er vor kurzem Almbauern gegen den bösen Isegrim aufgebracht, während sein Umweltminister im Stau stand?Dass in Baden-Württemberg nur drei und im Saarland überhaupt keine Wölfe sesshaft sind, ist dem Bauernverband egal. Er fordert, dass die Bundesregierung in Brüssel den „günstigen Erhaltungszustand“ des Wolfes vermeldet. Denn nur dann könnte er in Deutschland gejagt werden. So wie Gemsen oder Hirsche. Doch das wird mit der grünen Bundesumweltministerin nicht zu machen sein. Noch im Februar hatte Steffi Lemke mit ihren elf EU-Kollegen dem Parlament eine Absage erteilt, als dieses den Schutzstatus von Grauwölfen schwächen wollte. Lemke ist auch nicht zum Wolfsgipfel gefahren. Das war eine Botschaft an den Bauernverband.Placeholder image-3Knut Kucznik hat sich die Reise ins nahegelegene Berlin ebenfalls gespart. „Dafür ist mir meine Zeit zu schade“, sagt er. Die Bauern würden immer „das Alte predigen“: Wölfe jagen, um die Herde zu schützen. Dabei gebe doch bessere Wege. Kucznik hält ein Messgerät gegen den Elektrozaun, hinter dem sich eine seiner Schafsherden tummelt: 4.600 Volt Spannung werden angezeigt. Mindestens 2.500 Volt müssten „da druff“ sein, sagt der Schäfer, sonst bekäme er das Lamm nicht vom Staat ersetzt, sollte doch mal eines davon gerissen werden. Doch nicht alle sind von dieser Präventionsmaßnahme überzeugt.Auf dem Wolfsgipfel sagte die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber über ihr Bundesland: „Wenn wir alles umzäunen würden, bräuchten wir 57.405 Kilometer Zaun, ein Kostenpunkt von einer halben Milliarde Euro.“ Weil im Oktober in Bayern Landtagswahl ist, kocht ihre CSU das Thema wieder hoch. Seit dem 1. Mai gilt eine neue „Wolfsverordnung“ im Freistaat, die es ermöglicht, schneller zu schießen. Und zwar, wenn sich ein Wolf mehrfach Menschen auf unter 30 Meter nähert oder über mehrere Tage in einem Umkreis von weniger als 200 Metern von geschlossenen Ortschaften, Gebäuden oder Stallungen gesehen wird. Das klingt sehr danach, als ob das Raubtier auch für Menschen gefährlich sei. Dabei hat selbst einer wie Knut Kucznik noch nie einen Wolf auf seinen Wieden beobachtet. Der sei schließlich ein „feiger Jäger in der Nacht“, sagt er, „der haut ab, wenn er dich sieht!“ Morgens stößt der Schäfer nur manchmal auf Pfotenspuren im sandigen Brandenburger Boden. Dann weiß er, dass in der Dunkelheit um seine Herden geschlichen wurde.Innerartlicher StressIn Bayern, wo die CSU gerade die Stimmung anheizt, gibt es viel weniger Wölfe als im Nordosten, nämlich insgesamt nur vier oder fünf Rudel. Ministerpräsident Markus Söder macht trotzdem Front gegen Isegrim. Als er vor kurzem vor geplagten Almbauern auftrat, stand sein Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) noch im Stau. Also ergriff Söder das Wort. Als Glauber mit Verspätung ankam, war der Ton der Veranstaltung bereits gesetzt: Schießen, egal, was die „Großstadtökologen“ sagen. Da regnete es Applaus.Placeholder image-1Doch weil die bayerische Wolfsverordnung gegen deutsches und EU-Recht verstoße, hat der Bund Naturschutz bereits Klage angekündigt. Damit ist er nicht allein. Knapp hinter Berlins Stadtgrenze hat Anja Kayser, 51, ihr Büro. Sie ist eine wirkliche Großstadtökologin und beim Landesamt für Umwelt in Brandenburg (LfU) für das Wolfsmonitoring zuständig. Wie viele Wölfe sind in der Region unterwegs? Kayser arbeitet dafür mit Fotofallen und geht Sichtungen nach, die ihr von der Bevölkerung gemeldet werden. Eine oft vorgetragene Sorge des Bauernverbands kann sie schnell widerlegen. Dass die Population immer weiter „exponentiell“ ansteige, sei unmöglich. „Es gibt nur Wachstum, solange neue Gebiete besiedelt werden können“, sagt die Biologin. Sobald sich in einem Revier zu viele Wölfe befänden, gebe es automatisch einen „Plateaueffekt“, weil der Kampf um Territorium und Nahrung dafür sorge, dass sich die Tiere weniger vermehren. „Innerartlicher Stress“ nennt sich dieses Phänomen, das zu weniger Nachwuchs führt.Außerdem bewirken mehr Wölfe auf weniger Platz eine stärkere Verbreitung von Krankheiten wie Räude. „Kranke und gestresste Tiere vermehren sich viel weniger“, so Kayser. Dass deutsche Weiden bald überrannt werden von sich ungebremst fortpflanzenden Wölfen, das ist von der Evolution offensichtlich nicht vorgesehen. Vor den Tieren aber, die schon hier sind, kann man sich schützen.10.000 Tiere in RumänienKnut Kucznik steigt über den Elektrozaun, jetzt steht er mitten auf einer seiner Weiden. 32 schneeweiße Pyrenäenberghunde beschützen seine Schafe heute, jeweils zwei pro Herde. Sie reichen einem bis zur Hüfte und fletschen die spitzen Zähne, wenn man einen Schritt zu viel auf sie zu macht. Aber im Gegensatz zu Olli, dem Šarplaninac, greifen sie Menschen nicht an. Mit anderen Worten: Oma Schischke kann jetzt wieder sicher durch Altlandsberg spazieren.Placeholder image-2Trotzdem tut Hans-Dieter Pfannenstiel Herdenschutzhunde pauschal als „sehr aggressiv“ und „kein Allheilmittel“ ab. In Berlin berichtete er von Filmaufnahmen, wo ein Teil des Wolfsrudels die Hunde ablenke, während die anderen „sich über die Schafe hermachen.“ Solche cleveren Wölfe, die Hunde austricksen und Zäune überwinden, würde selbst Kucznik gerne abschießen. Deswegen wünscht er sich einen leichteren Zugang für Schäfer zum Jagdschein. Das Beispiel Rumänien zeigt jedoch, dass die Idee des Herdenschutzhundes gut funktionieren kann.In den baltischen Republiken ist der Wolf nicht so geschützt wie in Deutschland. Gerade erst hat Lettland die zulässige Jagdmenge auf 300 Tiere pro Jahr erhöht. Der Zoologe Pfannenstiehl findet sowas „wunderbar“Dort dürfte es mehr als 10.000 Wölfe geben. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, sie abzuschießen. Anja Kayer vom LfU erklärt das damit, dass in Rumänien der Wolf nie ausgestorben war und es deswegen ein viel längeres Erfahrungswissen im richtigen Umgang mit Herdenschutzhunden gebe. In Ländern wie Italien und Spanien sei das genauso. Der Wolfsgipfel aber wollte von effektiven Schutzmaßnahmen nichts wissen. Stattdessen stand die „Entnahme“ im Fokus, ein Euphemismus für die Jagd.Zoologe Pfannenstiel sieht die baltischen Republiken als Vorbild für Deutschland. Dort stünde der Wolf in „Anhang V“ der FFH-Richtlinie, Institute würden je nach regionalen Gegebenheiten Bejagungsquoten festlegen. „Das funktioniert seit Jahrzehnten wunderbar“, sagt er. Tatsächlich hat der Staatliche Forstdienst in Lettland vor kurzem erst die zulässige Jagdmenge für 2023 von 280 auf 300 Wölfe erhöht, weil die Zahl der gerissenen Nutztiere zugenommen hatte.Warnungen vor dem „großen Prädator“, der sich an Weidetieren bediene wie an einem „All-You-Can-Eat-Buffet"Wird in Deutschland die Angst vor dem Wolf künstlich aufgebauscht? Beim Gipfel konnte man den Eindruck gewinnen, als die Präsidentin des Pferdesportverband Hannover vor dem „großen Prädator“ warnte, der sich an Weidetieren bediene wie an einem „All-You-Can-Eat-Buffet.“ In Deutschland gibt es 1,25 Millionen Pferde. 2021 wurden 18 davon mutmaßlich Opfer von Wölfen.Knut Kucznik sitzt in seinem Pick-up und fährt von Herde zu Herde, um nach seinen Schafen zu gucken. Er versteht nicht, was es bringen sollte, ein paar mehr Wölfe abzuknallen. Im Moment müssen Landesbehörden für jeden einzelnen „Problemwolf“ eine Genehmigung erteilen, bevor er getötet werden darf. Was würde passieren, wenn die Jagd eröffnet wäre auf die Tiere, die nachts um Kuczniks Herden schleichen? „Das würde nur funktionieren, wenn sie gleich alle Wölfe totschießen würden“, sagt Kucznik. Denn sonst kämen ständig neue Tiere aus dem Osten nach, die noch nicht gelernt haben, dass bei ihm wegen der Hunde und Zäune nicht viel zu holen ist.Am Rande seiner Weide tauscht Kucznik die Batterie einer kleinen Photovoltaikanlage aus. Sieben Stück hat er davon, Wert jeweils 2.500 Euro. Den Strom benutzt er für die Elektrozäune. Wenn der Bauernverband, „statt Wölfe tot zu schießen“, sich dafür einsetzen würde, dass jeder Hirte so ein Gerät bekommt, dann wäre Kucznik auch zum Wolfsgipfel gefahren. Aber so ist er lieber hier bei seinen Schafen geblieben. Und den Hunden. Und Oma Schischke.