Corona - eine Krise des Gesundheitssystems?

Strategien gegen Corona In vielen Ländern Europas wurde das Gesundheitssystem seit Jahren im Sinne neoliberalistischter Logik kaputtgespart

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Die Coronakrise ist - auf der neoliberalistischen Logik basierend - , vor allem eine Krise des Gesundheitssystems - in vielen Ländern Europas! (1)

Ich zitiere Bernd Ulrich, der die entstandenen Probleme, die durch diese Pandemie offengelegt wurden, kürzlich brillant auf den Punkt brachte: "Unser Alltag muss deswegen so brutal runtergebremst werden, weil es in den Kliniken nicht genug Notfallbetten gibt, weil Ärzte eh schon zu viele Schichten fahren, weil das Pflegepersonal grotesk unterbezahlt und knapp ist, weil sich am Gesundheitssystem Aktionäre und Pharmakonzerne bereichern und weil es genug funktionierenden Lobbyismus gibt, der diesen Skandal verdeckt, zerredet und prolongiert. Bis jetzt. Im Grunde läuft es genauso wie bei der Finanzkrise: Einige wenige machen immense Gewinne, und wenn die Blase platzt, kommt die globale Gemeinschaft dafür auf. Nur wird das bei Corona noch um ein Vielfaches teurer als bei Lehman." (Bernd Ulrich in der Zeit am 20.März 2020)

Diese bedrohliche Gesundheitskrise führte dazu, dass viele von Corona betroffenen europäischen Länder glaubten, dass nur der harte "Lockdown" die richtige Strategie sei. Die Folgen sind: Abbau vieler Grundrechte (2) ; extreme, unangenehme Zustände beim Einkaufen; Kontaktverbote; Einsamkeit; Zunahme häuslicher Gewalt; kulturelle Verarmung; Gefährdung zahlreicher Existenzen ( sowohl Selbständige als auch Lohn- u. Gehaltsabhängige); das Hineinschlittern in nationale Wirtschaftskrisen, die wegen der Globalisierung aller Wahrscheinlichkeit nach auch zu einer Weltwirtschaftskrise führen. Staatliche bzw. europäische, ökonomische Krisenprogramme und wirtschaftliche Hilfen sind sicher grundsätzlich richtig; aber damit kann wohl nur die entstehende Not gemildert, aber nicht gänzlich verhindert werden. Es bleibt zu hoffen, dass daraus perspektivisch die richtigen politisch-ökonomischen Konsequenzen gezogen werden. Damit meine ich vor allem die Überwindung der neoliberalen Ideologie und Praxis; denn "Jeder ist sich selbst der Nächste" führt ins Chaos, wie an der Coronakrise aber auch an der Klimakatastrophe erfahrbar ist. Der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister hat hierzu gute Vorschläge. Der Schlüssel hierbei ist die Finanzierung der Kosten zur Bewältigung beider Krisenkomplexe durch einen europäischen "Transformationsfond", der über die EZB sinnvolle Investitionen tätigt, die auch die notwendigen Transformationen leisten. Stichworte dazu: Kreislaufwirtschaft; Sozialstaat wieder festigen; Maßnahmen, die die Klimakrise stoppen; Ökologisierung der Wirtschaft. (3)

Zum Lockdown gibt es allerdings eine Alternative, die das e.g. Katastrophenszenario erheblich abschwächen kann: Südkorea (4) und noch konsequenter Schweden wagten bzw. wagen es: statt einem pauschalen Lockdown, gezielt eingreifen und schützen!

Ich beziehe mich kurz auf Schweden - und benenne die Kernelemente:

- Ganz ohne Verbote geht es auch dort nicht, denn auf lokaler Ebene werden Besuchsverbote für Krankenhäuser und Seniorenheime erlassen.

- Die regional organisierten Gesundheitsbehörden bereiten sich verstärkt auf medizinische Notfälle vor. Weitestgehend autark von zentralen politischen Entscheidungen, wo lediglich die Grundstrategie vorgegeben wird.

- Die Regierung hat ein Versammlungsverbot ab 500 Personen erlassen; WELCHES AKTUELL WOHL AUF die Zahl 50 REDUZIERT WURDE.

- Natürlich gelten auch dort die bekannten Empfehlungen: Hände waschen, zuhause bleiben, wenn man sich krank fühlt, Kontakt zu Risikogruppen meiden, um diese zu schützen.

- Nur wenn die Menschen krank sind, gehen sie nicht zur Arbeit.

- Oberstufenschulen und Universitäten organisieren weitestgehend Fernunterricht.

- Kindergärten und Grundschulen bis zur neunten Klasse sind weiter offen.

- Das Gleiche gilt für Restaurants, Kneipen und Cafés, die ihre Gäste seit kurzem aber nur noch am Tisch bedienen dürfen.

- Die Skigebiete sind ebenfalls weiter geöffnet.

- Die Staatsgrenzen sind für Nicht-Europäer dicht, nicht aber für Bürger der EU und der Europäischen Freihandelszone.

- Durch Stockholm fahren weiter mit Pendlern ge- oder überfüllte Busse. (5)

Die Lockdown-Strategie (auch praktiziert in Deutschland) und die Herdenimmunitäts-Strategie, die tendenziell, nicht absolut, in Schweden gewählt wurde, sind also die Modelle, die zur Auswahl stehen.

Herdenimmunität meint, dass es Sinn macht, die Zahl der Infizierten relativ rasch zu erhöhen (!) - natürlich nur gesunde, nicht gesundheitlich vorbelastete Menschen betreffend – damit das so zwangsläufig gebildete Antivirenpotential sowohl individuell als auch kollektiv schützt.

Die Lockdown- oder „Flatten the Corve- Strategie" ist durchaus sehr fragwürdig, weil sie sehr langwierig ist und sehr wahrscheinlich nicht weniger schwerkranke oder gar sterbende coronainfizierte Menschen zur Folge hat. Das Infizierungspotential ist ähnlich hoch wie bei der Herdenimmunitäts-Strategie. Der Lockdown-Weg, also die Kurve so lange zu strecken bis 60 bis 70 Prozent der Deutschen infiziert sind und immun werden, würde mehrere Jahre dauern. Bei der Herdenimmunitäts-Strategie, die wesentlich schneller das notwendige Infizierungspotential erreicht, dagegen müssen nur die Risikogruppen, also alte Menschen und jene mit Vorerkrankungen besonders geschützt werden. Für alle anderen ist die Coronavirus-Epidemie - nachdem was die Praxis uns zeigt (nicht nur in Schweden) und auch die Fachleute sagen - ungefähr so schlimm wie die alljährliche Grippewelle.

Ich komme zu folgender Einschätzung: Die Herdenimmunitäts-Strategie - unter konsequenter Beachtung der notwendigen Schutzmaßnahmen (!) - ist besser als die Lockdown-Strategie! Sie ist sozial verträglicher, bekämpft den Virus wesentlich schneller und kann logischerweise nicht zu einer höheren Todesrate führen, als dies bei Lockdown zu erwarten ist. Aktuell gibt es zum Vergleich folgende Zahlen bezüglich der Coronatoten: in Italien 14681, in Deutschland 1234, in Schweden 358 (6) -womit auch von den Sterbezahlen die Wirksamkeit des schwedischen Modells bestätigt wird!

Und: auch eine höhere Belastung der Kliniken durch schwerkranke (!) Coronainfizierte - im Vergleich zu "Flatten the Corve" - ist nicht zu erwarten, da ja die wenigen (vielleicht 5 - 10%), stark gefährdeten Menschen besonders intensiv (!) geschützt werden - und deswegen überhaupt nicht oder nur in relativ geringer Zahl in die ohnenhin überlasteten und unterversorgten Krankenhäuser müssen. Das Hauptargument der Lockdowner ist also nicht wirklich belastbar!

Die Anwendung des schwedischen Modells auch bei uns, würde bedeuten, dass für die sehr große Mehrheit der Menschen in Deutschland Corona genauso gelebt und überlebt wird wie die jährliche Grippe.

Zur weiteren Unterstützung meiner These - vorsichtig und politisch zurückhaltend formuliert - hier ein Zitat des Epidemie-Experten Gerard Krause, Abteilungsleiter Epidemiologie am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (am 29.3.2020 im ZDF "heute journal"): "Man muss aufpassen, dass man aus Ohnmacht vor dieser Situation nicht überschießende Handlungen vornimmt, die möglicherweise mehr Schaden anrichten können als die Infektion selbst"!

- "Wir wissen, dass zum Beispiel Arbeitslosigkeit Krankheit und sogar erhöhte Sterblichkeit erzeugt. Sie kann Menschen auch in den Suizid treiben. Einschränkung der Bewegungsfreiheit hat vermutlich auch weitere negative Auswirkung auf die Gesundheit der Bevölkerung".

- "Ich bin der Meinung, dass wir den Schwerpunkt unserer Aufmerksamkeit und auch unserer Ressourcen auf den Schutz des Risikogruppen richten sollten und dass wir versuchen sollten, möglichst schnell diese sehr generalisierten Ausgangsbeschränkungen und Geschäftsschließungen zu lockern, so früh es geht. Wir sollten uns darauf einstellen, das frühzeitig und zugleich vorsichtig zu tun"

Weitere Wissenschaftler äußerten sich bereits in ähnlichem Sinne:

- Prof. Hockerts, Immunologe. (7)

- Professor Karin Mölling, ehemalige Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie an der Universität Zürich . (8)

- Professor Sucharit Bhakdi in einem Video und in einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel. (9)

Ich möchte noch – zu Schluss meiner Überlegungen – auf die dramatischen Bilder und Zahlen eingehen, die uns aus Italien geliefert werden, um so zu verdeutlichen, dass es dazu wissenschaftlich fundierte Erklärungen gibt, die auch dort nicht zwingend perspektivisch (!) ein Lockdown als unumgänglich rechtfertigen. Hierzu fand ich folgende Erklärungen, aus denen sich die notwendigen Maßnahmen herauslesen lassen:

Erstens: Norditalien ist bekanntermaßen extrem durch Luftverschmutzung belastet, was die Lungen der dort lebenden Menschen vorschädigt und dadurch empfänglicher für den Coronavirus macht. (10)

Zweitens: Italien hat ein extrem schlechtes, total unterfinanziertes Gesundheitssysten - und viele eingelieferte Patienten*innen ( natürlich auch Coronakranke) sterben nicht nur an fehlenden Betten, fehlendem Personal, fehlenden Beatmungsgeräten sondern auch an "Krankenhausviren". - Ein Bericht der italienischen Zeitung Corriere della Sera beschreibt, dass die italienischen Intensivstationen bereits unter der markanten Grippewelle von 2017/2018 kollabierten, Operationen verschieben sowie Krankenpfleger aus dem Urlaub zurückrufen mussten.(11)

Drittens: In Norditalien arbeiten in der Textilindustrie relativ viele chinesische, schlecht bezahlte und unmenschlich untergebrachte Arbeiter, die den Virus - nach ihrer Rückkehr vom chinesischen Neujahrsfest - nach Norditalien brachten. (7)

1) https://saveourservices.de/corona-krise-wie-deutsche-politikerinnen-den-gesundheitsnotstand-der-eu-versch%C3%A4rften)

2) (ttps://www.spiegel.de/…/corona-krise-und-buergerrechte-ren…; https://kontrast.at/orban-ungarn-notstand-corona/

3) (https://kontrast.at/video-interview-wirtschaftskrise-coron…/)

4) https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/wie-suedkorea-das-coronavirus-ohne-ausgangssperre-eindaemmt-li.79353

5) (https://www.saarbruecker-zeitung.de/nachrichten/politik/ausland/nur-wenige-einschraenkungen-der-sonderweg-von-schweden-in-der-corona-krise_aid-49811327)

6)https://www.worldometers.info/coronavirus/countries-where-coronavirus-has-spread/

7)(https://soundcloud.com/…/wir-kultivieren-mit-dieser-masnahm… und https://www.presse.online/2020/03/26/das-virus-macht-uns-nicht-krank-podcast-des-ra )

8) https://www.radioeins.de/…/corona-virus-kein-killervirus.ht…

9) https://www.youtube.com/watch…

https://swprs.org/offener-brief-von-professor-sucharit-bha…/

10)https://twitter.com/esa/status/1238480433047916545

11) /milano.corriere.it/…/milano-terapie-intensive-colla…

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Erich Becker

Buch- und Theater-Autor

Erich Becker

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