Die M5S und die Lega verdienen eine Chance

Avanti ITALIA und EUROPA! Die deutschen Leitmedien bieten ein trauriges, ignorantes und dümmliches Bild bezüglich der Einschätzung der derzeit möglichen Regierungskoalition in italien.

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Gewarnt wird

- vor dem „italienischen Himmelfahrtskommando“ (Spiegel online) oder der

- „Selbstverzwergung“ Italiens (Die Welt) oder den

-„Zumutungen aus Rom“ (FAZ).

Klassifiziert werden die Ereignisse als „irgendwo zwischen Horror und Tragikomödie“ (Tages-Anzeiger und SZ). Petra Gerster leitete in der" heute"-Sendung des ZDF ihren Beitrag zu Italien mit dem Satz ein, Italien habe derzeit 2300 Milliarden Schulden und die neuen Populisten, die in Rom an die Macht gekommen seien, wollten tatsächlich teure Reformen durchführen. Und Claus Kleber meinte wenig später im ZDF-heute-journal sogar, dass man die Italiener jetzt von Brüssel aus „an die Kandare“ nehmen müsse, wenn die Eurozone Bestand haben solle.

Die Parlamentswahlen in Italien am 24./25. Februar haben keinen eindeutigen Sieger hervorgebracht. Zwar erzielte der Sozialdemokrat Pier Luigi Bersani mit seinem Mitte-Links-Bündnis im Abgeordnetenhaus die Mehrheit – knapp vor dem Lager um Italiens ehemaligen Premier Silvio Berlusconi. Im Senat hingegen hat kein Wahlbündnis die Mehrheit. Italien droht also Unregierbarkeit. Gespräche zwischen dem Mitte-Links-Bündnis und dem eigentlichen Wahlseiger (also ohne Bündnisstimmen) M5S sind gescheitert. Aktuell bleibt also nur die Hoffnung auf ein Bündnis der M5S und der Lega.

Was sind die Gegebenheiten bzw. Voraussetzungen und Ziele für diese Ehe?

  1. Italien ist politisch in einem beklagenswerten Zustand; nicht wegen der M5S und der Lega, sondern wegen der bisher dominanten Parteien: jahrzehntelanger Filz, häufiger Regierungs- und ständiges Seitenwechseln, tief verankerter Mafiaeinfluss und letztlich ein vor allem ein durch Silvio Berlusconi komplett beschädigtes Land.
  2. Italien ist heruntergewirtschaftet, was vor allem auch der von der EU, unter dem Einfluss der neoliberalen Ideologie, verordneten Austeritätspolitik geschuldet ist. Italien befindet sich in seiner wohl schwersten Rezession seit 1945. Das Bruttoinlandsprodukt sinkt, allein im Jahr 2012 gingen mehr als 500.000 Arbeitsplätze verloren. Die Arbeitslosenrate unter den Jugendlichen liegt mittlerweile bei 37 Prozent
  3. Nur ein Ausbruch aus dieser Austeritätspolitik verspricht Besserung: Italien muss endlich eine extrem expansive Fiskalpolitik betreiben. Wenn in Italien eine Koalition aus der 5-Sterne Bewegung und der Lega Realität werden, dann könnte das das Ende des Euro in seiner gegenwärtigen Form sein: Die Pläne der möglichen Regierungskoalitionäre laufen darauf hinaus, dass Italien die für alle Euroländer verbindlichen staatlichen Defizitvorgaben sprengen wird! Und das ist gut so! Im Unterschied zur Logik der oft zitierten schwäbischen Hausfrau gilt volkswirschaftlich (!) bzw. makroökonomisch: nur durch mehr Schulden, mehr staatliche Investitionen sind mittelfristig ein wirtschaftlicher Aufschwung und damit auch ein Schuldenabbau möglich!

Die gegenwärtig vorgegebene 3-prozentige Begrenzung der jährlichen Staatsverschuldung ist kontraproduktiv! Nicht nur für Italien. Und nur Deutschland kann damit relativ gut leben, weil der vielgelobte – aber unsolidarische und europafeindliche – Exportüberschuss die rückläufige Binnennachfrage noch (!) kompensiert. Elementare Kenntnisse von makroökonomischen Zusammenhängen, wie gesagt, legen aber nahe, dass Italien endlich eine extrem expansive Fiskalpolitik betreiben muss, um den weiteren Niedergang der immer noch drittgrößten Industrienation in der Eurozone zu stoppen. Viele renomierte Wissenschaftler stützen diese keynesianische These, wie z.B. Paul Krugmann (US-Starökonomen und Nobelpreisträger), Joseph Stiglitz (ebenfalls Nobelpreisträger in Wirtschaftswissenschaften), Heiner Flassbeck, Paul de Grawe, J. Sachs, Peter Bofinger.....

Es scheint so, dass gegenwärtig nur diese benannte Parteienkonstellation in Italien mutig und willens ist, den Rettungskurs - in dem von mir angesprochenen Sinne - zu starten. Und das wäre, wenn er gelingt, auch ein Ansatz für eine Reform der EU!

Zu den beiden Parteien:

  • Die M5S ist durchaus ökologisch, wirtschaftlich kompetent und sozial ; denn die „fünf Sterne“ stehen für: 1. Umweltschutz, 2. universelles Recht auf sauberes Wasser, 3. technologischen Fortschritt, 4. öffentliche Breitbandkonnektivität und 5. nachhaltige Mobilität. Dabei tritt sie der heutigen Form des Kapitalismus, und der auf sie abgestimmten EU-Logik VIELFACH entgegen, ohne europafeindlich zu sein. Europakritisch ja, weil das heutige Europa weitgehend von Konzerninteressen dominiert wird – und noch nicht wirklich demokratisch strukturiert ist.
  • Die Lega mit dem Etikett "faschistisch" bzw. "rechtspopulistisch" zu dämonisieren , halte ich für nicht korrekt! "Sono un Populista", zu deutsch: "Ich bin ein Populist", so Salvini, der derzeitige Chef der Lega. Und er ergänzt : Wer auf der Seite "des Volkes" steht, wer dafür sorgt, dass aus der Meinung und den Interessen "des Volkes" Politik wird, der kann ja nicht wirklich etwas falsch machen. Ist das „rechts“, oder gar „faschistisch“? Im Kontrast zum neoliberalen Zeitgeist, der faktisch auf der Seite der Banken und Konzerne steht, ist das durchaus eine Alternative. Wenn jedoch aus diesem volksbezogenen Credo der Lega Fremdenfeindlichkeit entsteht, dann ist das couragiert zu bekämpfen. Und dazu trägt eine gesundende Wirtschaft entscheidend bei. “Das Sein prägt das Bewusstsein“ wusste schon Karl Marx; womit ich sagen will, dass „das Volk“, im Italienischen „Il Popolo“, toleranter und offener für Asylanten wird, wenn es ihnen selbst besser geht und sie in ökonomisch stabilen Verhältnissen leben. Hinzu kommt, dass in der Regierungsvereinbarung der beiden Parteien, VORGESEHEN ist, dass in der EU ein verpflichtender Automatismus zur europaweiten, gerechten Verteilung von Asylbewerbern eingerichtet werden soll. Durchaus vernünftig und nicht fremdenfeindlich!

Vergessen wir dabei auch nicht, dass sich der politische Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, stets verweigert hat, mit Silvio Berlusconi auch nur zu sprechen! Berlusconi, der Orgien mit minderjährigen Mädchen feierte und die Mafia bezahlt hat und nahezu alle Medien in Italien kontrolliert - und dass er zuletzt mit Matteo Renzi von der Demokratischen Partei (PD, die italienische SPD! ) koaliert hat!

Sicherlich muss, wie weiter oben schon angesprochen, auf ideologischer, philosophischer und religiöser Ebene jegliche Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Italien bekämpft werden. Es gibt sie, die Menschen, die im heutigen Italien die notwendige Autorität dazu besitzen! Die Lega und die M5S sind formbar, vom Volk und den Gegebenheiten beeinflussbar – also lernfähig! Positiv ist auch zu beachten, dass es bei Abstimmungen zu Gemeinsamkeiten mit dem Mitte-Links-Bündnis kommen kann, z.B. durch ein Investitionsprogramm vor allem für Bildung und Forschung, für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Maßnahmen zur steuerlichen Entlastung der Arbeiter bzw. der Mittelschicht und die Erhöhung der Steuern für Reiche.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Erich Becker

Buch- und Theater-Autor

Erich Becker

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