Die Ukraine wird jetzt schon als Beutegut westlicher Kapitalgiganten ins Visier genommen.

Krieg und Moral? Dazu trafen sich am 21.6./22.6. 2023 Tausende von Unternehmens- und Regierungsvertretern aus der ganzen Welt in London, um "die Rekonstruktion der Ukraine zu unterstützen"

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In diesem Kontext ist es wichtig – zum besseren Verständnis – militärische und politische Aspekte kurz anzusprechen.

Erstens:

Die Nato verzichtet derzeit auf die Aufnahme der Ukraine.

Bei der NATO-Konferenz, die am 11. und 12. Juli in Vilnius (Hauptstadt von Litauen) stattfand, wurde, wie zu erwarten, der derzeitige Eintritt der Ukraine abgelehnt; aber eine Integration nach dem Krieg in Aussicht gestellt. Dies verbunden mit dem Versprechen, die Ukraine weiterhin mit Waffenlieferungen zu unterstützen.- Nach 1991 haben die USA die NATO entgegen ihren mündlichen Zusicherungen massiv ausgeweitet, bis an die Grenzen von Russland. Erst kürzlich wurde Finnland mit einer über 1000 km langen Grenze zu Russland jüngstes NATO Mitglied. Die Mitgliedschaft der Ukraine (und von Georgien) war seit der Konferenz in Bukarest im Jahr 2008 geplant.

Zweitens:

Die bestimmenden Kräfte in den USA rieten aber, die Ukraine derzeit nicht in die Nato aufzunehmen

Das 1921 gegründete Council on Foreign Relations (CFR) steuert die Außenpolitik der USA.

Die Einschätzungen und Beschlüsse des CFR werden meist über das Magazin „Foreign Affairs“ kommuniziert. Der am 7. Juli 2023 erschienene Artikel mit dem Titel „Don’t Let Ukraine Join NATO – The Costs of Expanding the Alliance Outweigh the Benefits“ (Lasst die Ukraine nicht der NATO beitreten – Die Kosten der Bündniserweiterung überwiegen den Nutzen) gab die neue Marschrichtung vor, an die sich die Biden Regierung gehalten hat – und als logische Folge davon auch die deutsche Bundesregierung, die sich offensichtlich in einem Vasallenstatus zu den USA befindet.

https://www.foreignaffairs.com/ukraine/dont-let-ukraine-join-nato

Ich übersetze eine Passage aus diesem Artikel:

"Mit der Mitgliedschaft in der NATO verpflichten sich die Bündnispartner, füreinander zu kämpfen und zu sterben. Unter anderem aus diesem Grund haben die Mitglieder während der gesamten Zeit nach dem Kalten Krieg darauf hingearbeitet, die Ausweitung des Bündnisses auf Staaten zu vermeiden, die in naher Zukunft Gefahr liefen, angegriffen zu werden. Die Staats- und Regierungschefs der NATO sind sich auch seit langem darüber im Klaren, dass die Aufnahme der Ukraine die sehr reale Möglichkeit eines Krieges (einschließlich eines Atomkrieges) mit Russland beinhaltet. Die Gefahr eines solchen Konflikts und seiner verheerenden Folgen ist in der Tat der Hauptgrund dafür, dass die Vereinigten Staaten und andere NATO-Mitglieder sich bemüht haben, nicht noch tiefer in den Krieg in der Ukraine hineingezogen zu werden."

Drittens:

Wir sind nicht im 3. Weltkrieg; aber die NATO rüstet konsequent für einen weiteren Krieg.

In Vilnius wurden Selenskyj die Grenzen der Hilfsbereitschaft des Westens aufgezeigt: Er kann aber nach wie vor auf weitgehende militärische Unterstützung hoffen . Die westlichen Waffenlieferungen zielen darauf ab, der Ukraine zu helfen, ihre Verhandlungsposition gegenüber Russland zu verbessern: So die Begründung!

Ralfph Bosshard, ein exzellenter Fachmann, hierzu:

„Die Ukraine kann jetzt nicht viel mehr tun, als Russland noch möglichst viel Schaden zuzufügen. Mit dem Einsatz von ballistischen Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen demonstriert der Kreml auf der anderen Seite fast täglich, dass auch er in diesem üblen Spiel am längeren Hebel sitzt. In dieser Beziehung, aber auch nur in dieser, fallen die Interessen des Westens mit jenen der Ukraine zusammen. Wenn Selenskyj seine Verhandlungsposition stärken will, kann er es auf diplomatischem Weg versuchen, am ehesten mittels einer Charme-Offensive in Richtung China und der BRICS-Staaten generell. Diese werden ihn aber nur unterstützen, wenn sie die Ukraine im globalen Konkurrenzkampf nicht mehr auf der Seite des Westens sehen. In diesem Sinne braucht der Westen die Waffenlieferungen an die Ukraine womöglich bald mehr als diese selbst, wenn Selenskyj und sein Kabinett auf Kriegskurs gehalten werden sollen. Sollte dieser eine Kehrtwende vollziehen, steht der Westen auf der Verliererseite.“

https://globalbridge.ch/ukrainische-sommeroffensive-wenn-ueberheblichkeit-menschenleben-kostet

Viertens

Das völlige Versagen der deutschen Regierung: Statt Diplomatie Kriegsgeschrei

Die deutsche Politik müsste nicht auf diese, von Bosshard skizzierten, Möglichkeiten warten, sondern könnte sofort Friedens-Initiativen starten - in der nicht unrealistischen Erwartung, dass bei der US-Präsidentenwahl im kommenden Jahr auch von dort, aus Kostengründen, ein Rückzug aus der Kriegsbefeuerung erfolgt.

Hoffnung auf Vernunft machte Steinmeier in einer Rede am 18.06.2021, zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 (Auszüge)

“Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion war eine mörderische Barbarei.

So schwer es uns fallen mag: Daran müssen wir erinnern! Es werden am Ende 27 Millionen Tote sein, die die Völker der Sowjetunion zu beklagen haben. 27 Millionen Menschen hat das nationalsozialistische Deutschland getötet, ermordet, erschlagen, verhungern lassen, durch Zwangsarbeit zu Tode gebracht. 14 Millionen von ihnen waren Zivilisten.

Niemand hatte in diesem Krieg mehr Opfer zu beklagen als die Völker der damaligen Sowjetunion. Und doch sind diese Millionen nicht so tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt, wie ihr Leid – und unsere Verantwortung – es fordern.

Ja, dieser Krieg wirft einen langen Schatten, und in diesem Schatten stehen wir bis heute.

Doch die Verbrechen, die von Deutschen in diesem Krieg begangen wurden, lasten auf uns. Auf den Nachkommen der Opfer ebenso wie auf uns, der heutigen Generation. Bis heute. Es lastet auf uns, dass es unsere Väter, Großväter, Urgroßväter sind, die diesen Krieg geführt haben, die an diesen Verbrechen beteiligt waren. Es lastet auf uns, dass zu viele Täter, die schwerste Schuld auf sich geladen hatten, nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Es lastet auf uns, dass wir den Opfern im Osten unseres Kontinents viel zu lange Anerkennung, auch Anerkennung durch Erinnerung, verwehrt haben.”

Steinmeier ist ein gnadenloser Opportunist und Wendehals, der sich völlig von diesen Aussagen entfernt und mittlerweile sogar den Einsatz von die Streumunition befürwortet.

https://www.nachdenkseiten.de/?p=101032#more-101032

Bundespräsident und Bundesregierung liegen auf einer Linie; das heißt, nicht Diplomatie sondern Ausweitung des Krieges werden favorisiert.

Scholz hat bereits in seiner Regierungserklärung am 27.2.2022 verdeutlicht, dass sich Deutschland am Krieg beteiligt – nicht direkt militärisch – aber „indirekt“ (Waffenlieferungen usw.)

https://www.zdf.de/nachrichten/video/scholz-bundestag-sondersitzung-statement-ukraine-

Daran hat sich bisher nichts Wesentliches geändert.

Füntens:

Erfolgversprechende diplomatische Ansätze bzw. Lösungsvorschläge gibt es, die aber vom Westen bisher ignoriert werden

Die Künstliche Intelligenz ChatGPT hat kürzlich einige inhaltliche Vorschläge zu einer potenziellen Friedensvereinbarung gemacht- abgedruckt in der Berliner Zeitung (ich zitiere die Artikel 2 und 3):

„Artikel 2: Demilitarisierte Zone

2.1 Beide Seiten vereinbaren die Einrichtung einer demilitarisierten Zone entlang der aktuellen Konfliktlinie, die von internationalen Friedenstruppen überwacht wird.

2.2 Die genauen Grenzen der demilitarisierten Zone werden durch eine gemeinsame Kommission festgelegt, die aus Vertretern beider Seiten und neutralen Experten besteht.

Artikel 3: Autonomie für die Regionen Donezk und Luhansk

3.1 Die Ukraine gewährt den Regionen Donezk und Luhansk einen besonderen Autonomiestatus innerhalb ihrer Grenzen, der den Menschen in diesen Regionen erweiterte kulturelle, politische und wirtschaftliche Rechte garantiert.

3.2 Die Ukraine verpflichtet sich, die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in diesen Regionen zu schützen und zu respektieren.“

https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/chatgpt-ukrainekrieg-loesen-die-ki-an-schrieb-briefe-an-wladimir-putin-und-wolodymyr-selenskyj-li.336643

Sechstens:

Statt Diplomatie Raubtierkapitalismus

  • Der westliche Militärisch-Industrielle-Komplex(MIK) bereit sich auf einen langen Konflikt mit Russland vor: Aufrüsten, aufrüsten, aufrüsten ist dabei die Devise. Vor allem, weil nach dem Stellvertreterkrieg in der Ukraine die Waffenarsenale vieler Mitgliedsstaaten bereits heftige Lücken aufweisen. Die nächsten Jahre wird die Rüstungsindustrie boomen wie nie.

Wieweit der MIK durch die Poltik von dem neuen (?) amerikanischen Präsidenten 2024 gezähmt wird, bleibt abzuwarten. Eisenhower hatte schon 1961 dieses Problem benannt!

https://avalon.law.yale.edu/20th_century/eisenhower001.asp

  • Während der Krieg tobt, werden die Forderungen des Westens nach "Strukturreformen" in der Ukraine immer lauter. Und: Das Land öffnet sich für Investoren, die nach dem Krieg aktiv werden.

Dazu trafen sich am 21.6./22.6. 2023 Tausende von Unternehmens- und Regierungsvertretern aus der ganzen Welt in London, um "die Rekonstruktion der Ukraine zu unterstützen", "Ukrainische Wiederaufbaukonferenz" genannt.

Regie führte, wie nicht anders zu erwarten, der amerikanische Außenminister Blinken.

Rückblick

Letztes Jahr beauftragte die ukrainische Regierung BlackRock, die größte Vermögensverwaltungsgesellschaft der Welt, mit der Koordination des gesamten "Wiederaufbauprozesses der Nachkriegszeit". Die Vereinbarung beauftragt das Unternehmen "beratende Unterstützung bei der Gestaltung eines Investitionsrahmens [zu] leisten, mit dem Ziel, Möglichkeiten für öffentliche und private Investoren zu schaffen, sich am künftigen Wiederaufbau und der Erholung der ukrainischen Wirtschaft zu beteiligen".

„Lawrence D. Fink, genannt Larry, ist der unbestrittene Herrscher des Geldes. Seine Vermögensverwaltung BlackRock, die der US-Amerikaner vor 35 Jahren gegründet hat, legt im Auftrag seiner Kunden inzwischen mehr als neun Billionen Euro an – mehr als doppelt so viel wie das deutsche Sozialprodukt.

Fink gehört zur Geldelite der Welt. Seine Worte bewegen die Märkte. BlackRock ist in mehr als 17.000 Unternehmen investiert, darunter in allen 40 Dax-Konzernen. Das Unternehmen beherrscht wichtige Segmente des Fondsmarktes und betreibt das wohl effektivste Finanzmarkt-IT-System namens Aladdin.“

(Gabor Steingart, in: The Pioneer Briefing am 16.7.2023)

BlackRock und J.P. Morgen, die mittlerweile auch im Boot ist, werden einen Entwicklungsfonds für die Ukraine betreuen und steuern.

Thomas Fazi, italienischer Schriftsteller, Journalist und preisgekrönter Filmemacher, dazu:

„Mit dem Zweck, private Projekt-Investitionen im Wert von Hunderten von Milliarden Dollar in Sektoren wie Technologie, natürliche Ressourcen, Landwirtschaft und Gesundheit zu tätigen. BlackRock und J.P. Morgan stellen ihre Dienste kostenfrei zur Verfügung. Aber, wie die Financial Times anmerkte, "die Arbeit wird ihnen einen frühzeitigen Einblick in mögliche Investitionen in dem Land geben". Die Möglichkeiten sind groß, insbesondere im Agrarsektor: Die Ukraine verfügt über ein Viertel des weltweiten Tschernozem ("Schwarzerde"), eines außerordentlich fruchtbaren Bodens, und war vor dem Krieg der weltweit größte Produzent von Sonnenblumenmehl, -öl und -samen und einer der größten Exporteure von Mais und Weizen.

In gewisser Hinsicht ist der Krieg eindeutig vorteilhaft für die Wirtschaft: Je größer die Zerstörung, desto größer die Chancen für den Wiederaufbau. In Davos sagte Larry Fink, CEO von BlackRock: Er hoffe, dass die Initiative das Land zu einem "Leuchtturm des Kapitalismus" machen werde. David Solomon, CEO von Goldman Sachs, äußerte sich ebenfalls optimistisch über die Nachkriegszukunft der Ukraine: "Es steht außer Frage, dass es beim Wiederaufbau gute wirtschaftliche Anreize für echte Rendite und echte Investitionen geben wird.

500 internationale Unternehmen aus 42 Ländern haben bereits den Ukraine Business Compact unterzeichnet, um das enorme Potenzial des Landes zu nutzen oder sich ein Stück des ukrainischen Kuchens zu sichern.“

https://makroskop.eu/24-2023/die-kapitalisten-kreisen-uber-der-ukraine/

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Geschrieben von

Erich Becker

Buch- und Theater-Autor

Erich Becker

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