Die Zerstörung der Nordstream-Pipelines?

Noch immer ungeklärt Wer hat am 26. September 2022 die vier Sprengungen an den Nord-Stream-Pipelines verübt? Journalistische und parlamentarische Anfragen dazu werden abgeschmettert: "Geheimhaltung" ist offensichtlich angesagt!

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Verschwiegen und vergessen?

Das Ereignis liegt schon fast zwei Jahre zurück - und immer noch liegen diese Ereignisse, vor allem in Deutschland, noch im Dunkeln.

Journalistische und parlamentarische Anfragen werden zurückgewiesen. So antwortete das Bundeswirtschaftsministerium bereits drei Wochen nach dem Anschlag auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Sahra Wagenknecht, es sei „nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können“. Und: "Die erbetenen Informationen berühren somit derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt und das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss.“

Ein Blick in/auf die USA ist weit aufschlussreicher bzw. hilfreicher bei der Beantwortung meiner Leitfrage.

Erstens: Am 7. Februar 2022 sagte der amerikanische Präsident Joe Biden auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz: „If Russia invades the Ukraine, then there will be no longer a Nord Stream 2. We will bring an end to it.“ (Falls Russland in die Ukraine einmarschiert, wird es keine Nordstream 2 mehr geben.) Und auf die Zusatzfrage eines Reporters: “But how will you do that exactly, since. The project is in Germany´s control” (Aber wie wollen Sie das genau machen, das Projekt unterliegt der Kontrolle Deutschlands?) entgegnete der US-Präsident: “I promise you, we will be able to do it.” (Ich verspreche Ihnen, wir werden imstande sein es zu tun.)

Zweitens: Außenminister Blinken äußerte sich am 30. September 2022 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner kanadischen Amtskollegin in Washington u.a. zu den Anschlägen auf die Nordstream Pipelines wie folgt:

„And we’re now the leading supplier of LNG to Europe to help compensate for any gas or oil that it’s losing as a result of Russia’s aggression against Ukraine. And ultimately this is also a tremendous opportunity. It’s a tremendous opportunity to once and for all remove the dependence on Russian energy and thus to take away from Vladimir Putin the weaponization of energy as a means of advancing his imperial designs. That is very significant and that offers tremendous strategic opportunity for the years to come.

(Wir sind jetzt der führende Flüssiggas-Versorger für Europa, um Gas- und Öl-Defizite, wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine auszugleichen. Dies ist eine einzigartige Gelegenheit, für jetzt und alle Zukunft die Abhängigkeit von russischer Energie zu beenden und uns von Vladimir Putins Methode die Energy als Waffe zu missbrauchen, um daraus Vorteile für seine imperialen Pläne zu ziehen, zu befreien. Das ist sehr bedeutsam und eröffnet eine enorme strategische Gelegenheit für die kommenden Jahre.)

Drittens: Victoria Nuland, Unterstaatssekretärin der US-Regierung hatte Mitte Januar 2023 bei einer Anhörung im US-Kongress zum Anschlag gesagt: „Senator Cruz, genau wie Sie bin ich, und ich denke, auch die Regierung, sehr erfreut zu wissen, dass Nord Stream 2 jetzt, wie Sie gerne sagen, ein Stück Metall auf dem Meeresgrund ist.“

Viertens: Der polnische Ex-Außenminister und Europaabgeordneter Radosław Sikorski hält die USA für den Urheber der Anschläge auf die Nordstream-Pipelines: In Twitter zeigt er eine Luftaufnahme eines massiven Gaslecks an einer der Nord-Stream-Pipelines, die das Ausmaß der Zerstörung an der Erdgas-Pipeline erahnen lässt. Dazu schrieb er kurz und knapp: "Thank you, USA." (veröffentlicht in Twitter am 27.9.2022; und kurz danach - am 30. September 2022 - wieder gelöscht)

Fünftens: Der sehr kompetente amerikanische Oberst Black (näheres zu seiner Person kann bei Wikipedie nachgelesen werden) äußerte sich zu dem Vorgang wie folgt (Video: https://youtu.be/ALb2FPXFro4 ):

Black legt zunächst Wert auf die Feststellung, dass er in der Vergangenheit hundertfach sein Leben für die USA riskiert habe und ein wirklicher Patriot sei. Aber jetzt mache er sich ernsthafte Sorgen wegen der amerikanischen Außenpolitik.

Zu den Anschlägen auf die Pipelines sagt er, dass er die Anschläge unter drei Aspekten betrachte und beurteile, nämlich,

  1. wer ein Motiv gehabt habe,
  2. über die erforderlichen Mittel verfüge und
  3. die Gelegenheit gehabt hätte.

- Die Ukraine schließt Black aus, weil sie nicht über die Mittel verfüge,

- Polen hätte zwar vielleicht ein Motiv, aber wäre zu einer solchen Operation alleine nicht in der Lage.

- Kein Staat habe ein besseres Motiv gehabt als die USA, und kein Land verfüge über bessere Mittel und Gelegenheiten, einen solchen Anschlag durchzuführen als Amerika. Black zitiert die Aussagen des amerikanischen Präsidenten auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz, der schweigend neben ihm gestanden habe.

Er bewertet die Aussage des US-Präsidenten aus Sicht eines Staatsanwaltes als ein „party admission“, also quasi als Geständnis, für diesen Anschlag verantwortlich zu sein.

Zu Polen, das auch ein Motiv gehabt hätte, stellt er fest, dass kein NATO-Mitglied ohne vorherige Zustimmung der USA einen solchen Anschlag durchführen könne.

Die NATO sei ein Geschöpf der USA und selbst heute sei der Kommandeur des höchsten europäischen NATO-Kommandos immer noch ein amerikanischer General.

Er kommt zu dem Urteil: „My hunch is, the United States did it:“ (Mein Verdacht ist, die USA haben diesen Anschlag verübt.“)

Sie hatten das deutlichste Motiv, verfügten über die Mittel und die Gelegenheit. Dann erklärt er, dass Europa eigentlich kein Motiv gehabt hätte, Sanktionen gegen Russland zu verhängen und vor allen Dingen auch keine Veranlassung, sich von der russischen Energieversorgung selbst abzuschneiden, vor allem jetzt, wo der Winter vor der Tür stehe. Ein Ziel der USA sei gewesen, vorzubeugen, bzw. zu verhindern, dass die Regierungen einiger europäischer Länder, z.B. die tschechische Republik, Ungarn oder auch Deutschland wegen der zu erwartenden zunehmenden Unruhen, die Sanktionen gegen Russland vielleicht nicht mehr mitgetragen hätten und dem Druck der Bevölkerung, Nordstream 2 zu öffnen, eventuell nachgegeben hätten.

Sechstens: Auch der preisgekrönte amerikanische Investigativjournalist Seymour Hersh kommt zu dem Ergebnis, dass die US-Regierung für die Zerstörung der Nord Stream-Pipelines verantwortlich ist. Hersh hat am 8. Februar 2023 eine Recherche veröffentlicht, die minutiös schildert, wie der Anschlag auf die Gaspipeline geplant, vorbereitet und durchgeführt wurde.

(https://seymourhersh.substack.com/p/how-america-took-out-the-nord-stream)

Demnach hatte US-Sicherheitsberater Jack Sullivan zwei Monate vor Kriegsbeginn eine Taskforce aus Vertretern des Militärs, der CIA und der Regierung gebildet, die sich in einem Bürogebäude in Nähe des Weißen Hauses traf und Pläne zur Zerstörung der Pipeline ausarbeitete.

Im Juni 2022 befestigten dann Spezialtaucher der US-Marine jeweils zwei Sprengladungen an jeder der vier Röhren der Pipeline. Die Aktion fand im Rahmen des Nato-Manövers BALTOPS statt, damit der Einsatz der Taucher nicht auffiel. Logistisch wurden die US-Taucher von Norwegen unterstützt. Nach anfänglichem Zögern wurden die Bomben dann am 26. September auf Befehl des Weißen Hauses mithilfe eines Sonars ferngezündet. Zwei versagten, deshalb blieb eines der vier Rohre intakt.

Die Beteiligung von Norwegen

Zum Anteil von Norwegen äußerte sich Hersh in einem Interview (https://overton-magazin.de/dialog/der-elefant-im-raum/?fbclid=IwAR2xaNFdKDOOKcdBYC0Geyy69QFb37wiUZjeEOw_5vHWxRAHYH3bgfixPGc) Anfang April 2023 Wie folgt:

Der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre besuchte Mitte September 2022 die Vereinigten Staaten und traf dort US-Marineminister Carlos del Toro und die damalige Sprecherin des Weißen Hauses, Nancy Pelosi.

Seymour Hersh: Der zentrale Punkt, den alle übersehen, ist, dass Norwegen sehr wichtig war. Es waren norwegische Schiffe, norwegische Ausbildung, norwegische Beteiligung. (...)

Norwegen war immer unser Liebling. Sie waren unsere kleinen Schoßhündchen. Die norwegischen Geheimdienste waren mit uns schon an Operationen in Nordvietnam beteiligt, bevor der Krieg erklärt wurde. Norwegen war immer großartig. Sehr kompetente Seeleute. Sie haben die besten PT-Boote (Patrouillen-Torpedo-Boote) der Welt. Sie hatten die modernsten PT-Boote nach dem Zweiten Weltkrieg, und sie wurden von uns, der amerikanischen CIA und den amerikanischen Seals, für verdeckte Operationen in Nordvietnam eingesetzt.

Wir haben also eine lange Beziehung. Aber man darf nicht vergessen, dass die Grenze von Oslo bis zum Nordpol, wo sie auf Russland trifft, 1.400 Meilen lang ist. Und wir haben wahrscheinlich Hunderte von Milliarden in Norwegen investiert – in den letzten zehn Jahren sind es noch mehr geworden. (...) Und sie waren sehr wichtig. Ohne sie hätten wir diese Operation nicht durchführen können.(...)

Ich glaube, der Grund dafür, dass es so geheim geblieben ist (das o.g Treffen mit Carlos Toro und Nanci Pelosi , E.B.), liegt darin, dass nur wenige Leute davon wussten. Nur so kann man eine solche Operation durchführen. Wissen Sie, wie viele Taucher wir für vier Pipelines eingesetzt haben? Zwei. Zwei sehr gut ausgebildete Taucher der amerikanischen Marine. Nicht von den Seals, nicht von den Special Forces. Denn wenn man Special Forces einsetzt, hat man eine andere Berichtspflicht. Sie müssen dann dem Kongress Bericht erstatten. Aber die Navy, selbst wenn die CIA involviert ist, muss das nicht tun. Es handelt sich nur um einen Militäreinsatz. Der Kongress muss nichts davon erfahren. (...)

Die Norweger hatten die Boote und das Fachwissen. Sie kannten den Grund des Meeres. Sie kannten die Strömungen. Die Ostsee tauscht ihr Wasser jedes Jahr aus; es gibt eine enorme Strömung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Erich Becker

Buch- und Theater-Autor

Erich Becker

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