"Zeitweiliger Grexit"?

Griechenland Immer wieder bringt Schäuble den "zeitweiligen Grexit" in die öffentliche Diskussion - auf nationaler und europäischer Ebene. Was ist davon zu halten?

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Schäuble und sein Wirtschaftsverständnis

Schäuble bringt immer wieder den Vorschlag eines zeitweiligen Grexits auf den Tisch. Unterstützt wird er dabei von seinen Fachberatern Hans Werner Sinn und Ludger Schuknecht; beide Wirtschaftswissenschaftler ordoliberaler Prägung.
Die Ordoliberalen gehen davon aus, dass sich die angestrebte freie Konkurrenz nicht naturwüchsig entfaltet; sondern der Staat muss sie organisieren, muss den rechtlichen, technischen, sozialen, moralischen und kulturellen Rahmen für das Walten des Markts schaffen – und für die Einhaltung der Regeln sorgen. Angela Merkel, Schäubles Chefin, hat diese Konzeption auf die Politik übertragen – und wie folgt auf den Punkt gebracht: "marktkonforme Demokratie" ist das Ziel . Volksentscheide (griechisches Referendum) und konzeptionelles Versagen, wie die Austeritätspolitik, werden hartnäckig ignoriert. Die Einhaltung der (marktkonformen) Regeln steht über der ökonomischen Vernunft und dem Willen des Volkes.

Der Widerstand aus dem wirtschaftlichen Lager formiert sich.

Einige Beispiele
1. Die Volkswirte der Bank of America/Merill Lynch dazu: "Der Austritt aus dem Währungsraum kann jetzt offiziell als Drohung gegen diejenigen verwendet werden, die sich nicht dem deutschen Weg entsprechend verhalten" – und: "Wenn die Idee eines Ausstiegs schlecht war, ist ein zeitweiser Ausstieg noch schlimmer".
Sie begründen ihre Ablehnung vor allem damit, dass die Risikoaufschläge von Staatsanleihen wieder steigen könnten, soweit Anleger künftig verstärkt mit einem Euro-Ausstieg schwacher Länder rechneten.
2. "Ein 'Grexit auf Zeit' ist nicht empfehlenswert", so Nicolaus Heinen von der Deutschen Bank.
"Erstens würde das starke Euro-Bargeld in Griechenland in einer Art Zweiwährungssystem weiterhin dominieren - eine (dann folgende) chaotische Bargeldwirtschaft wie in Kuba oder im Libanon würde die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Griechenland weiter schwächen." Und Zweitens würde es weitere politische Konflikte über das Wiedereintrittsdatum in den Euro-Raum geben. "Drittens dürften die Spannungen zwischen Griechenland und Resteuropa zunehmen, wenn Griechenland wie ein Schuljunge vor die Tür geschickt wird - auf dass es Besserung zeige."
3. Chefvolkswirt der Berenberg Bank Holger Schmieding : "Grexit auf Zeit ist Grexit", da Griechenland sich erneut für den Euro qualifizieren müsste und angesichts der Vorgeschichte wohl außerordentlich streng geprüft werden würde, sei die genannte Frist von fünf Jahren nahezu unbedeutend. "In der Praxis hieße das wohl Grexit - mit der Chance in fünf Jahren mal wieder einen Aufnahmeantrag zu stellen".

Druck von politischer Seite

1. Die Bundestags-Fraktionschefs der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, kritisierten den "Grexit auf Zeit“ scharf. Schäuble sabotiere einen Kompromiss mit Griechenland – mit dem Vorschlag (beim Treffen der Euro-Finanzminister) eine mindestens fünfjährige "Auszeit" Griechenlands aus der Eurozone anzustreben, falls Griechenland sich nicht an (die eigentlich unerfüllbaren; Zusatz E.B.) Forderungen der Eurogruppe hält.
"Schäubles Vorgehen ist nicht nur inakzeptabel, sondern verfassungswidrig", so Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter; denn Schäuble hätte einen solchen Vorschlag zuvor dem Deutschen Bundestag zur Diskussion stellen müssen. Und: sollte der Vorschlag eines zeitweiligen Grexits aufrechterhalten werden, wollen die beiden Grünen sich mit einer Klage an das Bundesverfassungsgericht wenden.

2. Axel Troost, stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE und finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE am 15.7.2015: "Ich halte es für politisch unverantwortlich, in dieser Situation erneut einen freiwilligen, lange unvorbereiteten Grexit als Alternative oder Plan B zu propagieren. (gemeint ist Schäubles "zeitweiliger Grexit"-Vorschlag, E.B.) Der griechische Ministerpräsident hat zu Recht darauf hingewiesen, die Vereinbarung sei auf Druck starker Staaten auf Griechenland zurückzuführen. Diese Art und Weise der Druckausübung "ehrt nicht die Tradition Europas". Nun muss Syriza zusehen, aus der Situation das Beste zu machen. Denn Syriza hat alles versucht und jede Alternative ohne Syriza käme nur unter Beteiligung gruseligster Kräfte zustande. Noch in diesem Jahr werde es eine Diskussion über die Umstrukturierung des Schuldenberges sowie ein Investitionsprogramm von 35 Milliarden Euro geben. Diese Maßnahmen könnten "einen Grexit endgültig abwenden und die Voraussetzungen für Wachstum" in Griechenland schaffen."

3. Frankreichs Sozialisten appellierten an Gabriel er solle sich bei der Kanzlerin für Athen stark machen, so der Chef der französischen Parti socialiste, Jean-Christophe Cambadélis.
Darüber hinaus regte er einen Appell der europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten an, um schnell eine tragfähige und dauerhafte Vereinbarung mit Griechenland zu erreichen!

Was müssen die Grexit-Befürworter aus Griechenland bedenken?

• Die neue Währung (Drachme) würde im Vergleich zu anderen Währungen massiv an Wert verlieren. Alle Importe würden sich erheblich verteuern. Für die griechischen Bürger wäre das ein Inflationsschock; denn das Land importiert rund die Hälfte seiner Lebensmittel und etwa vier Fünftel seiner Energie. Auch Medikamente würden noch teurer.
Auch wenn das starke Euro-Bargeld in Griechenland in einer Art Zweiwährungssystem weiterhin dominieren würde, ist, w.w.o. schon ausgeführt, eine chaotische Bargeldwirtschaft die unausbleiblich Folge, die die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Griechenland weiter schwächen würde.
• Die Exporte Griechenlands würden günstiger werden; aber das Problem ist: Griechenland hat keine wirklich funktionierende Exportindustrie.
• Griechenland müsste sich auf eine weitere Pleitewelle gefasst machen; da die Schuldenlast sich erheblich vergrößern würde, weil die Firmen sie ja aus ihren vergleichsweise billigen Drachmen bezahlen müssten.
• Der Ansturm der Griechen auf Banken wird einen Banken-Run auslösen, da viele Griechen befürchten durch die Abwertung ihr Kapital zu verlieren. Die panikartigen Abhebungen führen wiederum zu einer internationalen Bankenkrise, die sich auf europäische Gläubiger des Landes ausbreiten würde - und Investoren würden Kapital aus EU-Anlagen abziehen.
• Die Banken reagieren natürlich mit sinkender Kreditvergabe – und dies bewirkt eine sinkende Investitionstätigkeit der Unternehmen. Daraus folgt steigende Arbeitslosigkeit und weiter rückgehendem Konsum der Bevölkerung . Die Binnennachfrage würde also weiter einbrechen - mit verheerenden Folgen: zunehmende Armut, Elend, Hoffnungslosigkeit, verstärkte Auswanderung vor allem der jüngeren Menschen.

Die Folgen für die anderen Eurozonen-Länder?

• Der Euro würde durch den Kapitalabzug enorm abwerten, vermutlich zugunsten von Schweizer Franken, US-Dollar und dem japanischen Yen. Der Kapital-Abzug wird durch eine höhere Verschuldung der EU-Staaten begleitet. Deutschland würde schätzungsweise ein Verlust von etwa 70-80 Mrd. € entstehen; der gesamten Union ca.160 Mrd. €.• Investoren sind dann an Staatsfinanzierungen nicht mehr interessiert; dies betrifft dann vor allem Länder wie Italien, Portugal, Irland und Spanien. Um eine drohendende Staatspleite zu verhindern müssten diese Länder Anträge auf weitere Hilfsmaßnahmen stellen….. Ein 2., 3., 4. „Griechenland“ wären weitere absehbare Folgen.

Gibt es Hoffnung?

Ich denke schon! Die w.o.g.Bankenvertreter, die französischen Sozialisten, die Grünen, Die Linke, profilierte Wirtschaftswissenschaftler ( wie z.B. P. Krugman, Paul de Grawe, J. Sachs,J. Stiglitz, Heiner Flassbeck, Gustav Horn, Piketty, die IWF-Volkswirtin Nicoletta Batini und Peter Bofinger), mutige Journalisten (wie z.B. Harald Schumann, Georg Dietz, Jakob Augstein und Stephan Hebel), aber auch Philosophen (wie z.B. Christoph Quarch) müssen weiter Aufklärung betreiben und Überzeugungsarbeit leisten – und so den Boden bereiten für eine Änderung, die dann vermutlich auch von breiten Teilen der Bevölkerung getragen wird. Es geht schließlich um nichts weniger als um einen Paradigmenwechsel: statt ordoliberale Wirtschaft und Austerität, Keynesianismus und Prosperität.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Erich Becker

Buch- und Theater-Autor

Erich Becker

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