Bleiben Sie gesund.

Corona und Sprache Das Virus hat nicht zuletzt unsere Alltagssprache infiziert. Ein Kommentar.

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Dass das Coronavirus auch unsere Sprache verändert hat, ist mittlerweile Commonsense: Wir nutzen wie selbstverständlich neues Vokabular (Inzidenz, Gentherapeutikum, Long-Covid) und nutzen zunehmend Kriegsmetaphorik („Angriff der Mutanten“, das Virus ist der „Feind“, „Ausgangssperre“ uvm.). Die Beispiele sind zahlreich. Aber es haben sich auch unsere Alltagsfloskeln geändert.

Das höflich distanzierte „Mit freundlichen Grüßen“ wurde abgelöst: „Bleiben Sie gesund“.

Dieser sicherlich verbindend und gut gemeinte Wunsch begegnet einem allerorts als neue Grußformel. Mal gut gelaunt und optimistisch, mal ernsthaft und besorgt: am Bahnsteig, im Bus, im Kindergarten, beim Blumenladen, bei ebayKleinanzeigen, im Emailabspann. Er verfolgt mich, er dröhnt in meinen Ohren als gebrüllter Imperativ, als bevormundende Drohung: „BLEIBEN SIE GESUND!!!“

Denn wehe! Wehe, wenn nicht…!

Wehe, man wird krank, welch Unheil könnte man dann über alle bringen. Gesundsein wurde zum obersten Ziel erklärt. Aber was ist, wenn ich gar nicht gesund bin oder sein will? Darf ich bitte selber entscheiden, ob ich krank oder gesund sein möchte? Ich fühle mich bevormundet davon, als wissen fremde Menschen oder Lautsprecheransagen, dass das genau das ist, was ich benötige: Gesundbleiben. Dabei wird zudem davon ausgegangen, dass wir alle dieselbe Vorstellung von Gesundsein haben, eben klinisch unauffällig, und Kranksein darf gar nicht mehr sein. Im ersten Lockdown (Frühjahr 2020) war ich erkältet, ich fühlte mich schlapp, musste meinen Alltag wegen zweier Kinder weiter bewältigen. Ich hätte mir Zuwendung meines Umfeldes gewünscht, aufmunternde Worte der Nachbar:innen, Hilfsangebote von anderen Eltern. Kranke brauchen Unterstützung und Zuwendung. Aber das Gegenteil war der Fall: ich traute mich nicht meine Schwäche zu zeigen, fühlte mich geradezu aussätzig, unterdrückte jedes Niesen und wenn doch eines herausrutschte, schaute die nähere Umgebung beschämt zu Boden oder nahm panisch Reißaus!

Dabei gehört Kranksein schon immer zum Prozess von Leben und Sterben, Werden und Vergehen. Wer sich mit etwas auseinandersetzen, eine Krise bewältigen und dann weitermachen kann, ist lebendig. Und gerade wer Kinder hat weiß: nach einem Infekt, einer Krankheit, einem Fieber, machen die Kinder einen Entwicklungsschub. Sie haben einen Zuwachs an Kompetenz, gehen immungeboostet daraus hervor, können sich weiterentwickeln und neue Herausforderungen meistern. Wenn wir Kranksein auf diese Weise verteufeln, verneinen wir einen Großteil dessen, was das Leben ausmacht. Nicht mehr krank zu sein, führt zum Stillstand und nicht mehr krank sein zu dürfen ist in der schlussendlichen Konsequenz menschenfeindlich. Denn sind Kranke weniger Mensch?

Deswegen wünsche ich mir in dieser Zeit vielmehr Wünsche à la: Gehaben Sie sich wohl; tun Sie Dinge, die Ihnen gut tun; gehen Sie in die Sonne und atmen Sie tief durch; genießen Sie eine netten Plausch mit Ihrer Nachbarin; tanken Sie Energie; trainieren Sie Ihr Immunsystem. Denn nur so kommt man gut durch diese schwierige Zeit, und so kommt man bestmöglich durch eine eventuelle Erkrankung.

Ich freue mich mittlerweile, wenn jemand in der Öffentlichkeit niest (natürlich in die Armbeuge). Ich suche den Augenkontakt, lächle die Person hinter meiner Maske hervor an und wünsche aus ganzem Herzen – in nostalgischer Manier und voll aufrichtiger Höflichkeit: Gesundheit!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisabeth Bohnet

Freischaffende Kunsthistorikerin und Germanistin

Elisabeth Bohnet

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