Richter der Demokratie

Spanien Die Urteile gegen katalanische Politiker zeugen eher von Rache als von Rechtsstaatlichkeit. Die Proteste sind massiv
Ausgabe 42/2019
Der Flughafen von Barcelona wurde teilweise außer Betrieb gesetzt
Der Flughafen von Barcelona wurde teilweise außer Betrieb gesetzt

Foto: Marc González/Europa Press/Getty Images

Die Urteile gegen die zwölf Angeklagten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung sind gesprochen. In den Tagen zuvor war durchgesickert, die Richter hätten sich für die „mildere Option“ entschieden: Verurteilung wegen Aufruhr statt Aufstand. Wer immer noch einen Rest von Hoffnung in den spanischen Rechtsstaat hatte, konnte glauben, unter den sieben Richtern hätten sich jene Gehör verschafft, die der Vereinigung „Richter für die Demokratie“ zugerechnet werden, und ein Strafminimum durchgesetzt. Und jetzt? 13 Jahre Haft für den Ex-Vizepräsidenten Oriol Junqueras, selbst die „mildesten“ Urteile lauten auf je neun Jahre für Jordi Cuixart und Jordi Sànchez, Ex-Vorsitzende der zivilgesellschaftlichen Organisationen ANC bzw. Òmnium Cultural. Selbst Ex-Parlamentspräsidentin Carme Forcadell, die nichts weiter tat, als den Beschluss des Parlamentspräsidiums zur Abstimmung über die Unabhängigkeit auf die Tagesordnung ihrer Kammer zu setzen, „steckte“ elf Jahre Haft ein.

Und der Eifer dieser Justiz lässt nicht nach: Kurz nach dem Urteil hat der zur Berühmtheit gelangte Ermittlungsrichter Pablo Llarena seine Zwangspause beendet und den europäischen Haftbefehl gegen die im Exil befindlichen Katalanen – unter ihnen Carles Puigdemont – „reaktiviert“. Dabei scheint ihn keineswegs zu stören, dass das Kernstück seines einst zurückgezogenen Haftbefehls, der Straftatbestand der Rebellion (den ja bereits das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zurückwies), nun auch vom Obersten Gericht in Madrid fallen gelassen wurde. Die amtierende Regierung von Premier Sánchez (PSOE) hat den Schritt von Llarena umgehend begrüßt. Ein kleiner Trost: Izquierda Unida (Vereinigte Linke) weist als bisher einzige Partei die Strafen als unangemessen und politisch kontraproduktiv zurück. Sie sieht sich in ihrem Projekt eines republikanischen Spaniens mit den Katalanen verbunden. Dagegen hat sich Pablo Iglesias, Chef der mit Izquierda Unida verbündeten Partei Podemos, bisher darauf beschränkt, zum Respektieren der Urteile aufzurufen.

Währenddessen wurde zu Wochenbeginn die Autobahn A7 durch Tausende von Demonstranten blockiert, in Barcelona musste der Hauptbahnhof Sants durch Polizei geräumt werden, um gleich wieder besetzt zu werden. Studenten strömten aus den Hörsälen und blockierten das Stadtzentrum. Ein Teil des Flugverkehrs auf dem Airport Prats blieb durch Sit-ins verhindert, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen RTVE wurde über Szenarien diskutiert und über Ressourcen der Polizei, diese zu kontrollieren. Erst der Anfang? Die ganze Woche jedenfalls gab es einen „demokratischen Tsunami“. Aus fünf Regionen Kataloniens waren Protestzüge drei Tage lang unterwegs in die katalanische Hauptstadt.

Der sozialistische Regierungschef Pedro Sánchez hat mit den Führern des konservativen Partido Popular (PP) und der Partei Ciudadanos gesprochen, die ihm ihre Loyalität zugesagt haben. Von einem Plan für eine politische Lösung des Konflikts gibt es hingegen weit und breit keine Spur. Die einzige Idee, um zu deeskalieren – vorsichtig angesprochen, aber angesichts wütender Reaktionen von rechts gleich wieder zurückgenommen –, ist eine Amnestie oder Begnadigung der Verurteilten. Sánchez schloss das prompt aus und sprach von der „rechtsstaatlichen Notwendigkeit“, das Urteil vollständig umzusetzen.

Unantastbarer König

Um die Lage zu entschärfen, wird eine letzte Hintertür erwähnt: Mittel der Hafterleichterung, zum Beispiel Freigang. Dies läge in den Händen der katalanischen Gefängnisverwaltung und könnte bald beantragt werden. Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass die Verurteilten diese demütigende Alternative zu einem Freispruch akzeptieren. Ehe sie auf diese Weise ihre Würde „verkaufen“, werden sie den Weg vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte suchen. Das Problem dabei ist, dass dafür zunächst das spanische Rechtssystem ausgeschöpft werden muss. Und hier bleibt als letzte Instanz das eigene Verfassungsgericht, das alles tun wird, um eine Entscheidung zu verzögern.

Das demokratische Bewusstsein in Spanien reicht offenbar nicht aus, um den Skandal dieses Prozesses und Urteils zu begreifen. Dabei ist es eigentlich ganz einfach und sollte in Europa Konsens sein: Ein Staat, in dem ein unter dem Verdacht schwerer Straftaten stehender abgedankter König dank seiner „Unantastbarkeit“ frei herumläuft (es existiert Beweismaterial zu durch schmutzige Geschäfte erlangten Geldern samt Einschüchterung der Strohmänner und -frauen), während Leute, die mit Megafonen die Massen zum friedlichen Protest ermahnen, zu langer Haft verurteilt werden, sollte in der europäischen Gemeinschaft eigentlich keinen Platz haben. Verständlich, dass Diktator Franco einst an seine Kreatur, den König, die eigene Unantastbarkeit weitergeben wollte.

Wie europäische Institutionen schon mehrfach feststellten, ist die „Unantastbarkeit“ einer Person, wie sie die spanische Verfassung für den König festlegt, mit einer Demokratie nicht kompatibel. Und die Befreiung dieser Person von der Herrschaft des Gesetzes ist ebenso wenig mit einem Rechtsstaat kompatibel. Schon das ist für viele Katalanen ein hinreichendes Motiv, für eine Republik zu kämpfen. Gleichzeitig haben die Richtersprüche gegen katalanische Politiker gezeigt, dass die Herrschaft des Gesetzes in Spanien dabei ist, in eine Willkürherrschaft auszuarten.

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