1 Jahr, 13 Wochen als Blogger bei freitag.de (II)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

~Fortsetzung von Teil 1~

Einsicht – den Schreibenden beim Wort nehmen

Lesarten könn(t)en auch andere sein. Sie klingen an bei „Journalismus 2.0“, da Augstein schreibt: Für mich ist ein Text ein Text. Punkt. Ob der von einem Blogger kommt oder von einem Journalisten ist mir gleich. Ist er richtig? Ist er gut geschrieben? Das will ich wissen. Und doch ist mir natürlich klar, dass die unterschiedlichen Bedingungen, unter denen die Texte entstehen und die unterschiedlichen Referenzrahmen, in die sie sich einpassen, eben immer mitzulesen sind.

Aus der Perspektive des Profis löst sich das, was ich im ersten Teil beschrieben habe und den User im Innersten zu treffen scheint, wie ein Sturm im Wasserglas auf: Texte sind Lieblinge und deren Autoren, die sich relativ mühelos in den beruflichen Alltag integrieren lassen; der öffentliche Anwurf ist des politischen Journalisten tägliches Brot und in Richtung zu beobachtender Personen und Verhältnissen seine schärfste Waffe. Ihm dies zu nehmen, bedeutete, ihn als Repräsentant der „vierten Gewalt“ zu kastrieren. Michael Angele etwa reagierte mit dem zitierten auf einen wüsten Artikel im Ossietzky, der nicht einmal die Möglichkeit bot, darauf in Form eines Leserbriefes online zu reagieren. Wenn ich richtig orientiert bin, haben Angele und Rothschild einen modus vivendi gefunden, das ist gut so, denn beide schreiben immer noch für den Freitag, nicht zu dessen Nachteil.

Wir haben es also in der Tat mit „zweierlei Maß“ zu tun. Der Leser, der zu einem Schreiber erst wird, ist natürlich anders, sein Echo aber genauso real. Und er rüstet sprachlich weiter auf, in einem Teufelskreis negativer Rückkoppelungen. Dazu einige Thesen:

Anderssein, das ist gut so

Das o.g. „unterschiedlichen Bedingungen“ und „Referenzrahmen mitzulesen“ ist die hübschere Variante der eingangs gestellten Kernfrage nach Rollen- und Selbstverständnis der Beteiligten – im etwas gönnerhaften Sprachgebrauch desjenigen, der mit Texten seinen Unterhalt verdient. Das, freilich weniger verklausulierte, Pendant ist das, was sich etabliert hat als „Community-Management“ oder „Moderation“, die mitliest und selbst „Referenzrahmen“ bildet. Ein solches Konzept lässt sich nicht weiter aufrecht erhalten.

Das lesende wie schreibende Publikum ist nichts anderes als ein Querschnitt von, mehr noch: ist die Öffentlichkeit selbst. Und das Netz ihr (neuer) Raum. Diese sehr simple Erkenntnis betrifft lt. jüngster ARD/ZDF-Onlinestudie mittlerweile rund 49 Millionen Menschen in Deutschland. So etwas lässt sich nicht moderieren. Denn im bisherigen Verständnis und in der Handhabung reduziert sich diese „Schnittstelle zwischen Betrieb und Öffentlichkeit“ unweigerlich auf einen idealerweise minütlichen Spagat: Zwischen Maschine aus der Kulisse für den von einem Baby-Sitting-Bedürfnis befallenen User vs. Fußabtreter des Betriebes, wenn nicht alles seinem geregelten Gang folgt. Das ist kein Phänomen nur bei freitag.de, sondern auf allen Plattformen anzutreffen, die diese Form der Hierarchie etabliert haben. Nötig wäre eine Weiterentwicklung, die es ermöglichte, Einzigartigkeit in ihrer Multitude zuzulassen.

Selbstredakteure mit freier Sicht nach oben, unten, links und rechts

Trolling, spamming und off-topics sind durch „Neue Medien“ transportierte neue Erscheinungsformen dessen, was gemeinhin als störend empfunden wird. Die Neuartigkeit gegenüber klassischen Medien ist nicht deren gemeinsamer Nenner einer unaufgeforderten und aufgezwungenen Aufmerksamkeit. Diese gibt es seit unvordenklicher Zeit, sie entlud sich u.a. weitestgehend in (Hörer-, Leser-, Zuschauer-)Zusendungen, bei brisanten Themen in Redaktionen stapelweise aussortiert. Neu sind das unkontrollierbare (!) Sichtbarmachen und die daraus resultierenden Verwendungen. Und neu ist dementsprechend die Frage, wer es zu bestimmen habe, dass so etwas vorliege.

Die Überschrift habe ich dem vormaligen Profil eines Users entnommen, der damit, so vermute ich, Unvoreingenommenheit ausdrücken wollte. Blogger aber sind voreingenommen: In der Meinung, die sie in ihrem im Blog vertreten und in der Sprache (u.U. sogar in der Fachsprache), in der sie dies tun. In einer Zuschrift wurde mir dies so verdeutlicht: „Treffen Gegensätze, die man programmatisch verleugnet, dann aber faktisch am eigenen Tisch aufeinander, so versteht der Gastgeber die Welt nicht mehr und zieht sich auf Benimm zurück.“ Oder (be)klagt (sich) auf andere Weise, füge ich hinzu.

Texte nicht mehr preisgeben müssen, ist daher meine Überlegung. Sondern in die Eigenmoderation stellen, was wie in welcher Form mit welcher Sprache der Blogger, der der eigentliche Gastgeber unter seinem (!) Text ist, mit Wissen und Wollen zulässt: Eigenplattform plus Freitag.

„Tendenz“ ist keine Lebenslüge und viel mehr als nur ein Motto

Ich habe folgendes Zitat vor Augen: „ … es ist auch nichts dagegen einzuwenden, dass der neue FREITAG mit linken Konservatismen brechen will. Beliebig sollte er aber auch nicht werden.“ Es steht u.a. vor dem Hintergrund eines anderen Zitats: „„Wir haben eine Grundhaltung, die ist „irgendwie links“, ich benutze diese angreifbare Formulierung bewusst, weil ich – und sehr viele andere Leute – keine Lust auf ideologische Festlegung, politmorale Rechthaberei und engstirnige Gestrigkeit haben. Mit den Rezepten, die gestern gescheitert sind, wird man die Krankheiten von morgen nicht heilen. Wir brauchen neue.“ Links-liberal wird seitdem derFreitag eingeordnet.

Wohin die Reise geht, ist Verlegers Entscheidung. Das nennt man bisher „Tendenzschutz“. Wohin sie gehen wird, wenn wie angekündigt Redaktion und Blogger bei freitag.de noch näher „zusammenrücken“, kann ich nicht einmal erahnen. Denn soweit ich das beurteilen kann, ist die Anwendung verlegerischer Grundsätze auf eine „Community“ bisher noch nicht erprobt worden. Mit Blick darauf, dass das Prinzip lauten solle, ein Haus zu bauen, wird das teilnehmende Publikum aber nicht wirklich ohne Bauplan auskommen können. In Teilen wird das durch die Auswahl der Blogs durch die Redaktion sichtbar, die als Artikel produziert werden. Diesem Teil von Moderation sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Anonym.to(o)

Wer bereit ist, „seine Sache“ derart in Angriff zu nehmen, braucht sich nicht zu verstecken. Das sieht jener Arzt, der mit Klarnamen eine Petition zur Freilassung eines Studenten in Tunesien unterschrieben hatte, etwas anders, wie er mir erzählte. Nach dem freundlichen Anruf einer tunesischen Repräsentanz in Deutschland, „um ihm die Sachlage zu erläutern“ zieht er es vor, das Land einige Zeit nicht zu besuchen.

Anonymitätsmissbrauch (trolling u.a.m) vs. –bedürfnis lässt sich nicht allgemein auflösen, wohl aber gegenüber einer Redaktion, die wiederum Blogger ernst nimmt: Bloggen unter Pseudonym ja, aber nur wenn die Person der Redaktion bekannt ist. Das ist gegenseitige Gewährung von Vertrauen und Schutz.

Ein Dankeschön

Seit jener Leserbrief „Immer an die Leser denken“ zu „Öffentlichkeit 2.0“ als Artikel publiziert wurde hat sich mein Blickwinkel verändert. Wie der Jurist um die Polyvalenz von Recht und Gerechtigkeit weiß, weiß ich nach etwas mehr als einem Jahr, dass Schreiben schweißtreibend ist. Erst recht, wenn damit kein Lebensunterhalt verdient werden muss. Der Profi hat immerhin die Entschuldigung beim Schnell-Drüberwischen, dass immer alles hektisch ist, alles schnell; die Konkurrenz schläft nicht.

Freitag.de meint, mich als Publizisten führen zu können. Selbst schuld, sage ich dazu. Und füge als kleine Revanche noch ein paar Stichpunkte hinzu: Aktive Talentsuche, Bindung der Schreiber, Motivation, Informationspolitik nach innen. Bisher ist alles Experiment, die Bedingungen sollten dort verändert werden, wo es hakt.

In jenem Teich zu Berlin ist der Knorpelfisch Kane mittlerweile mangels Lebensraum im falsch konstruierten Bassin eingegangen. Natürlich waren die Handwerker schuld. Aber was vom Citizen bleiben wird, wird sich erst weisen. Notfalls per try & error, aber stets als eine Frage der Glaubwürdigkeit. Noch gibt es da wenig zu bilanzieren. e2m

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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