Echo aus dem Blog: „Unwort des Jahres“

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ist eine Erfindung der hoheitsvoll klingenden „Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS)“, was das e.V. dahinter und die Privatheit darin nicht verstecken kann. Ebenso wenig wie gewisse Defizite in ihren beratenden Tätigkeiten, die, so die Eigenwerbung, bei „allen Sprachfragen“ für „Bundestag und Bundesrat sowie Ministerien und Behörden in Bund und Ländern“ mitwirken. Denn dielinguistischen Ergebnisse der Legislative vor allem in jüngerer Zeit lassen gewisse Zweifel aufkommen, ob tatsächlich „Gesetzesentwürfe, Verordnungen und andere Texte auf sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit überprüft“ werden. Wer mag es dem Verein also verdenken, wenn er stets kurz vor Weihnachten eins aufs Volk setzt und jedem Mensch Gelegenheit gibt, sich mit einem „Wort des Jahres“ zu befassen. Damit das Gefühl vermittelt, er bastele aktiv zumindest an der sprachlichen Konstruktion dieser unseren Republik mit. Oder mit einer Jahresnachschau via „Unwort“ dem Gemeinwesen ein leitmotivisches Epitaph verpassen zu können. Dass dies einem der Hauptsponsoren, dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, nur recht sein kann, versteht sich von selbst: Thema schubladisiert, ab ins Archiv; Nullsummenspiel.

Beim Blick auf die Titelseite Freitags dieses Ostern wird Bernd Neumann deswegen auch nicht seinen Aplomb verlieren: Unwort in 2010 könnte „Gesundheitspolitik“ werden, wird da vorgeschlagen. Weil Suchtopfern, so auch Rauchern nicht nur nicht geholfen, sondern deren Geldbeutel auch noch via Tabaksteuer geleert wird. Michael Naumann würde sicher kichern ob solch staatstragender Relevanz. Trotz aller naturbedingten kritischen Töne des Mediums offenbaren die Elukubrationen zum Thema nämlich, dass Spielregeln nicht nur begriffen worden sind, sondern verinnerlicht: Presseerklärungen und Interessensverbände werden als „Tabaklobby vs. Krankenkasse et vice versa“ brav bedient, im Zeichen des Bon-ton leicht karikiert und nicht zu sehr ad absurdum geführt, deren Vorschläge („Pandemie“) gleichwohl mit Interesse aufgenommen und, politisch korrekt, mit einem Gegenentwurf versehen. Alles verbindlich in dem Stil, der genügend Raum lässt für die wohl nötigen Häppchen Mitleid, für die sicher aufrechte Entrüstung; und dem Quentchen freie Assoziation zu dem Cowboy, der sein Pferd erst durch eine Verlautbarung der DAK lenkt, bevor er, Friede seiner Asche, im kommenden Meinungsmachermedium zu Berlin seinen letzten Zug tut. Der eigentliche Clou, per „Unwort“ Gesundheit und Politik samt ihrem zusammengesetzten Oxymoron ganz aus dem Spiel zu nehmen, geht dabei schon fast unter. Aber das passiert nun einmal, wenn man statt auf die Pointe auf ein MacGuffin setzt.

Mit einem Wort ist Opfern nicht geholfen, auch wenn es, das sei streng wissenschaftlich betont, nicht 20 Mio. sondern höchstens 19.999.999 an der Zahl sind. Erst recht nicht denen, die sich partout nicht als Opfer sehen wollen, sondern als nur krank. Für Lösungen braucht es Kreativität. Etwa die, Krankenkassen doch noch nach Risikokategorien zu organisieren. Der Gleichbehandlungsgrundsatz, der auch für diese Anstalten gilt, würde schnell beleuchten, wie was miteinander vergleichbar ist oder zusammen hängt. Maligne Melanome, die neue Geißel am Kittelhorizont, wären mit dem Gebot, in der Öffentlichkeit sorgsam jegliche Hautpartie zu verhüllen, endlich an der Wurzel gepackt. Motto: Kein UV-Licht auf der Haut, kein Krebs mehr sich darauf traut. Wegen etwaiger Nebenwirkungen wären nur die Körperschaften in Frankreich und Belgien zu befragen. Dem Verursacherprinzip könnte man mit Quotienten begegnen, so dass mühelos der Bonus Mobilität mit den abgestuften Mali motorisierter Brötchenholer, kurzentschlossen weit-weit-weg-Reisender und zwangsweiser Berufspendler korreliert wäre. Raucher würden als potentielle Selbstmörder ohnehin schnell untergebracht und endlich unschädlich.

Oder man wählt das definitive Unwort: Unwort. Dessen Prägung anno 1998 „sozialverträgliches Frühableben“ mit freytäglichen Wendungen wie „Wer früh stirbt, spart Rente und Behandlungskosten“ endlich kein Revival mehr erfährt; nicht einmal in einer bemühten Glosse. Man könnte sich dann, vom Wort-Un-Sinn befreit, den wichtigen Themen richtig widmen. Un-Denk-bar!?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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