Gauck, der Präsident – Stimmen aus der online-Auslandspresse

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Die italienische Nachrichtenagentur ANSA schreibt unter dem Titel „Profil: Gauck, ein Leben für die Freiheit“ (Teaser: „Ehemaliger evangelischer Pastor, militant für die Bürgerrechte in der DDR“):

„Freiheit und Verantwortung. Diese beiden Worte sind das Paradigma für Joachim Gauck, ehemaliger evangelischer Pastor, militant in der Bürgerrechtsbewegung der ehemaligen DDR, der heute mit 72 Jahren Präsident der Bundesrepublik Deutschland geworden ist. Ein weißes Büchlein von 60 Seiten unter dem Titel „Freiheit“, das in allen Buchhandlungen aufgelegt wurde, als seine Nominierung feststand, hat die Gedanken des Präsidenten in viele deutsche Haushalte getragen. […] 1940 in Rostock geboren, war Gauck seit seiner Kindheit mit der Brutalität der Geschichte konfrontiert: Sein Vater war lange Gefangener in einem sibirischen Lager, als Joachim erst sechs Jahre alt war. Als evangelischer Pastor hat er die Feindschaft des Regimes der ehemaligen DDR gegenüber Gläubigen erlitten. Als Dissident hat er eine Zivilbewegung „Das Neue Forum“ gegründet und damit den Widerstand gegen das Regime belebt. […] Jenseits seiner privaten Turbulenzen ist er in der Öffentlichkeit ein Mann, dem Deutschland vertraut (80% der Befragten in einer Umfrage der ARD halten ihn für glaubwürdig), und Gauck wird rhetorisches Talent zugebilligt. Mit einem Wort: Charisma. […] Auf Vorschlag von 4 von 5 Parteien, und gegen das Missfallen der Kanzlerin, mit der er die ostdeutsche Herkunft teilt, hat Gauck heute im ersten Durchgang mit beträchtlichen 911 Stimmen gewonnen (und dabei Beate Klarsfeld geschlagen, der berühmte Jägerin von Nazis, die von der Linken vorgeschlagen worden war)“.

Auch die links-liberale Unità („Deutschland: Gauck als Präsident löst Wulff nach den Skandalen ab“) schreibt von einer „Militanz in der Bürgerrechtsbewegung“ und meint zum Wahlergebnis:

„Gauck ist zum Präsidenten der Bundesrepublik gewählt worden, aber mit einem überraschenden Anteil an Stimmenthaltungen. Von 1232 abgegebenen Stimmen waren 4 ungültig und 1228 gültig. Für Gauck stimmten 991, für die Kandidatin der Linken Beate Klarsfeld 126, 3 mehr als die sie nominierende Partei zur Verfügung hat, während 3 Stimmen an den Kandidaten der Neonazisten gingen. Die Enthaltungen beliefen sich auf 108, Ausdruck vieler Vorbehalte gegenüber Gauck, der ursprünglich nicht der von der CDU/CSU favorisierte Kandidat war. „Was für ein schöner Sonntag“ sind die ersten Worte von Gauck gewesen, der einen langen Applaus im Bundestag erhielt. […] Er selbst hat sich immer als einen „linken liberalen Konservativen“ bezeichnet“.

Der römische „Il Fatto Quotidiano“ („Deutschland, Joachim Gauck ist der neue Präsident der Republik“) zeichnet Gauck als „ehemaligen Verantwortlichen für die Behörde, die in den Archiven der Stasi ermittelt“ und betont:

„Unabhängig, charismatisch und eloquent, ist er auch bekannt für seine Freimütigkeit. ‚Er wird den Politikern und den Leuten Dinge sagen, die sie nicht immer werden hören wollen‘, kommentiert sein Sohn Christian. Gauck definiert sich als ‚liberaler linker Konservativer‘, wobei die Betonung -so die Analysten- auf das Wort Konservativer zu legen ist, wegen seiner Positionen zur Einwanderung und gegenüber der Bewegung ‚Occupy‘. Nachdem er als Kandidat designiert worden war, bat Gauck, dass ihm seine ersten Fehler verziehen werden mögen und niemand sich einen ‚superman oder eine unfehlbare Person‘ erwarten dürfe.“

Der französische „Le Monde“ („Joachim Gauck wird der elfte Präsident Deutschlands“) beschreibt den Wahlgang und –modus und meint, Gauck habe „einen exzellenten Wahlkampf geführt, der die Unentschlossenen in der CDU auf seine Seite gebracht“, während „Frau Klarsfeld offen gestanden nicht überzeugt“ habe.

„In dem sie Joachim Gauck in das Amt des Präsidenten der Republik gebracht haben, haben die Deutschen einen Verteidiger der Menschenrechte würdigen wollen, der, ohne einer der schärfsten Gegner der kommunistischen Diktatur gewesen zu sein, immer eine würdevolle und mutige Haltung gegenüber der Obrigkeit der ehemaligen DDR eingenommen hat. […] Joachim Gauck ist der erste Deutsche mit Ursprung aus der ehemaligen DDR, der diese bedeutende Funktion übernimmt. Das ist ein starkes Zeichen in einem Land, das bis auf die bemerkenswerte Ausnahme von Angela Merkel keine Verantwortlichen ersten Ranges in der Politik (oder in der Wirtschaft) hat. Seine Wahl trägt also auch dazu bei, das Land ein wenig mehr zu vereinen. Sie kommt gerade zu einer Gelegenheit, da wieder eine Kampagne in bestimmten Zeitungen (unter anderem Die ZEIT) vorgetragen wird, um den Solidaritätsbeitrag abzuschaffen … den die Deutschen weiterhin zum Wiederaufbau der ehemaligen DDR zahlen.“

Der konservative „Le Figaro“ widmet Joachim Gauck ein Portrait („Ein ‚Professor der Demokratie‘ der aus dem Osten kam“), der leider, weil Bezahlcontent, hier nicht abgebildet werden kann. In bester Wahlkampflaune schreibt das Blatt in einer (frei lesbaren) Notiz („Sarkozy gratuliert Joachim Gauck“):

„Nicolas Sarkozy hat Joachim Gauck, dem ehemaligen ostdeutschen Pastor und heute triumphal zum Präsidenten Deutschlands gewählt, seine Glückwünsche übermittelt. ‚Bei Gelegenheit Ihrer Wahl als Präsident der Bundesrepublik Deutschland, übermittle ich Ihnen meine allerherzlichste Gratulation und gebe meinen Wünschen für den vollen Erfolg der hohen Aufgabe Ausdruck, die nunmehr die Ihre ist‘, schreibt der Staatschef in einer Note des Elysee-Palastes an Herrn Gauck.“

Die den französischen Sozialisten nahe stehende „Libération“ nennt den Wahlerfolg von Joachim Gauck ebenfalls „triumphal“ und lässt den Gewählten zu Wort kommen:

„‚Ich nehme die Wahl an‘, hat Herr Gauck der Wahlversammlung gegenüber wenige Minuten nach der Bekanntgabe der Ergebnisse erklärt. ‚Was für ein schöner Sonntag!‘ hat er ausgerufen und daran erinnert, dass es auf den Tag 22 Jahre sind, dass die ersten und letzten freien Wahlen der DDR stattgefunden haben, wenige Monate nach der deutschen Wiedervereinigung vom 3. Oktober 1990. ‚Ich werde diese Wahlen nie vergessen. Niemals!‘ hat er gesagt, sichtbar bewegt. ‚Sie haben einen Präsidenten gewählt, der sich selbst nicht denken kann ohne Freiheit‘, fügte er an“.

Weitere Links:

The Guardian - London („Joachim Gauck elected as German president”; “Joachim Gauck: a president to bring the east to the heart of Germany”)
The Telegraph - London („East German dissident and Lutheran pastor elected German president”)
Der Standard - Wien (“Gauck startet mit Dämpfer ins neue Amt“)
El País - Madrid („Joachim Gauck, exdisidente de la RDA, ya es presidente de Alemania“)

e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

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