Gutmensch

Politiksprech Warum die Rede vom "Gutmensch" so attraktiv erscheint

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Wenn man keinen Feind hat, muss man sich einen fabrizieren
Wenn man keinen Feind hat, muss man sich einen fabrizieren

Bild: Imago/epd

Vor einigen Tagen habe ich zwei bis drei Beispiele angesprochen, was sich hierzulande einige Leute unter "Gutmenschen" vorstellen. Und wie gerne sie diese behandeln würden. Das alles ist ziemlich seltsam. Denn "Gutmensch" hat rein gar nichts mit "gut" im Gegensatz zum ebenso ontologischen "böse" zu tun. Oder mit dem, was sich darunter vorgestellt oder unterstellt wird.

Gutmenschen sind keine Personen, die Gutes tun (oder sich das nur einbilden). Sie sind solche, die damit auskommen, eine Gegenwart und Zukunft auch ohne Feindbilder denken und gestalten zu können.

Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren hat Heribert Prantl unlängst die gegenteilige Weltsicht des Nazi-Kronjuristen Carl Schmitt zitiert: "Zur Demokratie gehört notwendig erstens Homogenität und zweitens nötigenfalls die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen. Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, dass sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß."

Schmittismus ist bei aller sonstigen Theorie das Denken in Feindbildern, weil nur der Feind vollständig rechtlos ist und damit der "Ausscheidung oder Vernichtung" anheimfällt. Der Feind erfährt nicht einmal Gnade. Gegen solche Folgen gibt es heute Menschen- und Grundrechte.

Das Feindbild aber ist bereits bei Schmitt nur konstruiert und wird ein paar Jährchen später bei Umberto Eco wieder dekonstruiert. In "Die Fabrikation des Feindes" (Hanser, 2014) heißt es: "Einen Feind zu haben ist nicht nur wichtig, um die eigene Identität zu definieren, sondern auch, um sich ein Hindernis aufzubauen, an dem man das eigene Wertesystem demonstrieren und durch dessen Bekämpfung man den eigenen Wert beweisen kann. Deshalb muss man, wenn man keinen Feind hat, sich einen fabrizieren."

Die historischen Beispiele, die Eco entfaltet, sind ebenso bemerkenswert wie die Funktion, "um die eigene Identität zu definieren". "Das Bedürfnis danach ist auch dem sanften und friedlichen Menschen angeboren", heißt es gegen Ende des Essays. Warum das wirklich so ist, darauf werden wohl irgendwann Anthropologen oder andere Sparten eine definierte Antwort geben.

Eco selbst jedenfalls ist ganz gut ohne Feindbilder ausgekommen, nicht etwa weil er ein lebensfremder Intellektueller gewesen wäre, was ja zu denkenden Menschen immer wieder gesagt wird. Sondern weil es über die Zivilisation hinaus mit Zivilisierung zu tun hat, das Angeborene, sollte es so sein, zu überwinden und sich zumindest kein menschliches Feindbild machen zu müssen, um daran zu wachsen.

crossposting zu die Ausrufer

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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