Nach Deutschland kommen war nicht schwer, selbst als junger Erwachsener. Der Reisepass hatte die richtige, grüne Farbe; makellos, weil frei von jeder Inflexion, war die Sprache in Wort und Schrift; die nötigen Mittel zur Bestreitung des Jurastudiums standen bereit.
So dass die erste Konfrontation mit einer deutschen Wirklichkeit nicht die klassische mit Ämtern war. Da, wo ich herkam, war der freundliche Umgang mit Menschen eine Selbstverständlichkeit, auch wenn sie hinter einem Schalter sitzen oder einem staatlichen Büromöbel. Und umgekehrt, davor stehend. Unabhängig vom Wortschatz. Ausgerechnet in dem Wirtshaus, das mangels anderer preiswerter Unterkünfte das erste Domizil wurde, nahm Wirklichkeit eine harte Gestalt an.
Die neugeborene Uni war überschaubar. Wo sich das soziale Leben naturgemäß für junge, stets hungrige Menschen abspielt, in der behelfsmäßigen Mensa, war mit Handschlag bald jede und jeder begrüßt. So dass ich mir an einem Dezemberabend einen Südafrikaner (aus den Augen verloren), einen Hessen (Versicherung, in den neuen Bundesländern), eine Fränkin (in Griechenland verheiratet), eine Italienerin (Richtung Hamburg verschwunden) einlud. Ins Wirtshaus, anderswo auch als Gasthaus bekannt, aufs Zimmer. Zu einer Feuerzangenbowle.
Pünktlich um 22:00 Uhr standen die Herren in Grün vor der Tür, die Wirtshausleitung samt den Gästen hätten sich beschwert. In meinen unmittelbaren Erinnerungen, an denen sich im Laufe der Jahre nichts geändert hat, war der Lärmpegel nicht hoch gewesen. Was aber viel mehr verstörte, war, dass nicht der Wirt (die Wirtin? so genau weiß ich das nicht mehr) oder die Gäste angeklopft hatten. Wo ich herkam, hätte der Nachbar geschaut, ob er nicht auch etwas von dem immens schlaffördernden Trunk abbekommen könnte. Weil Jugend, so die weise Einsicht, ohnehin nicht zu bremsen ist.
Der Rückzug ins Private, könnte die Überschrift über einem der Türchen im Count-down zum Fest der Feste lauten. Nach mehr als dreißig Jahren auch in dem Land, aus dem ich kam wie im Land, in dem ich bin. Die Tür hinter sich zumachen, damit keiner mehr herein kommt. Oder sich entfremden.
Kommentare 4
Seit ich Ihren Artikel heut Mittag irgendwann gelesen hatte, denke ich über den Unterschied von Gast- und Wirtshäusern nach. Und mir fällt ein, ich war schon in manchen Gast- und in vielen Wirtshäusern. Mir war dieser Unterschied bisher gar nicht so bewusst geworden. Aber welch ein Kluft zeigt sich mir jetzt. Es gibt die Orte, wo ich mich willkommen geheißen fühle und die Türen stehen offen, es gibt die Lokalitäten, in denen ich mich gerade eben so zugelassen fühlte, aus Einsicht in irgendeine Notwendigkeit. Und jetzt merke ich es und weiß: Da, wo ich nicht so recht und ungezwungen glücklich werden will, trotzdem ich mir ja Mühe gebe, da sind die Wirtshäuser.
Starke Erkenntnis. Gerade ist mir das Licht auch aufgegangen.
*fffump!*
Danke hardob und Danke ed2morrow!
ich danke auch! doch es geht nur selten darum, in welchem land ich gerne bin, oder ob das eine gastlicher als das andere ist. die "obrigkeit", und die ihr dienenden "herren in grün" sind stets der massstab..... die "herren" beschaeftigen mein denken oft und noch immer. in italien pflegten wir beim anblick eines carabiniere zu sagen: schau da! der jaetet seinen garten! der geht mit dem hund spazieren! der trinkt espresso! für mich unbegreiflich, wie man "der obrigkeit" dienen kann.....
Sich entfremden - sich überfremden - bleiben - kommen - gehen.
Unwirtliche Orte überall - anonym aufgereiht. So sieht's aus -
scheinbar überall.
Und - das Paradoxe - die Angst vor "Überfremdung", wie sie sich bei manchem äussert, der sich da ängstigt, dass Deutschland sich abschaffe und ergo Sarrazenerthesen gierig nachbetet - sie scheint sich oft aus denselben - oder zumindest aus ähnlichen Sehnsüchten zu speisen wie die Verlustängste von manchem, der da den "Rückzug ins Private" als Zuschlagen vieler Türen empfindet.
Bin seit vorgestern morgen auch wieder in dem Gasthaus in Kabul, das eineinhalb Jahre meine "Heimat" war. Die afghanischen (Haus-)Angestellten und "meine"Ingenieure - die waren genauso froh wie ich über das kurze Wiedersehen. Am ersten Abend wurde es direkt zum Wirtshaus - vier ehemalige Kollegen - primär aus England feierten ihren Abschied. Die "Locals" - die sah man nur am Anfang. Und - am nächsten Morgen - die mussten ja den Rest vom Fest der Westerners aufräumen und - da war nicht schlecht gefeiert worden.
Die Afghanen hier, die ja in Lohn und Brot bei dieser NGO hier stehen - sie betrachten das als Privatsache der "Westerners" , dass diese eben so feiern. Und - dass ihre eigene Privatsphäre heilig ist - das liegt in der Kultur hier natürlich massgeblich begründet. Und - so lächeln die afghanischen(Gasthaus-)angestellten eher über die Spuren des wilden Festes - und - die "Kinder des Westens" - zu denen ja auch viele Afghanen mit allerlei Pässen gehoeren, die da mitgefeiert haben.
Andererseits - "meinen" Ingenieuren habe ich auch 'mal erklärt, dass man in Europa Wein nicht trinkt, um sich den Kopf wegzuballern , sondern, dass es ein wesentlicher Kulturbestandteil sei, dass man im Mittelmeerraum Wein zu jedem Essen trinkt und entsprechend der Wein den Speisen angepasst wird - geschmacklich, farblich etc. Die hatten von so was noch nie gehoert, fanden das aber hoch spannend.
Heute ist ziemlich viel Hubschrauberverkehr hier in der Luft - President Obama scheint wohl doch noch nach Kabul gekommen zu sein - wenn schon nicht zu Karsai, dann doch zur US-und UK-Botschaft.
Mal sehen, was die Live-ticker heute abend sagen.
Herzliche Grüsse von hier - bis bald - bei den nächsten Türchen in D.