Karneval, aber sicher doch

Köln Obwohl bei einer Publikumsbefragung zum Motivwagen gewählt, wird „Mir sin Charlie“ nicht auffahren. Von einer Provinzposse als Ausdruck einer Seelenlage

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Karneval, aber sicher doch

Foto: Dennis Grombkowski/Getty Images

Ein historisches Monument wäre er ohnehin nicht geworden, der eine Wagen des Kölner Karnevals für den Umzug 2015. Wenn das Festkomitee sich auch bis auf das Jahr 1823 zurückführt und auf seiner Web-Präsenz weithin sichtbar als „Immaterielles Kulturerbe des Landes Nordrhein-Westfalen“ beworben ist: „Mir sin Charlie“ wäre schließlich als Pappmaché, Draht und Farbe den Weg alles Irdischen gegangen.

Die Aussage aber, das Thema, sie lassen sich nicht ohne weiteres entsorgen. Das gilt umso mehr, als das Motiv, das mit einer Abstimmung auf Facebook vom Publikum erkoren worden ist, kaum schnell erschöpft sein kann: Weder in der Solidarität zum französischen Satire-Magazin Charlie Hebdo, im Gedenken an die dort Ermordeten, noch in einer Kundgebung für die Meinungsfreiheit.

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Das Thema lautet: Die Feder ist mächtiger als das Schwert. Für die, die sich eine Feder nicht mehr als Schreibgerät vorstellen können, könnte die Übersetzung lauten – Kommunikation ist wirksamer als Gewalt.

Die Entscheidung vom vergangenen Mittwoch, den Motivwagen nicht mitfahren zu lassen und die Arbeiten daran umgehend einzustellen, verstört zunächst nur. Denn mit ihr ist die zeitgemäß anmutende Ankündigung vom hehren demokratischen Prinzip, erstmals „Jecken in aller Welt die Möglichkeit“ zu geben, „aktiv an der Auswahl der Entwürfe für einen Persiflagewagen mitzuwirken“, per Ordre Mufti zurückgenommen und zur hohlen Phrase gemacht. Was „zeigt, wie sehr die Menschen das Thema bewegt”, wird nun nicht einmal mehr vorgeführt werden.

Die Sorge um Sicherheit, die das Festkomitee wohlverhüllt zum Leitmotiv ihrer Absage gemacht hat, entspricht dabei einer Stimmung im ganzen Land. Terroristen, Feinde sind hiernach Sache der Sicherheitsbehörden und nicht der Erörterung, nicht einmal mehr des politischen Humors. Die Sicherheitshysterie, in die die Bundesrepublik während der letzten 13 Jahre getaucht worden ist, trägt ihre Früchte: Die Attribute einer streitbaren, wehrhaften Demokratie sind seither aufgerüsteten Sondereinsatzkommandos überantwortet, dort sind sie -vermeintlich gut- aufgehoben.

Was „Terrorist“ ist oder „Feind“ sei, ist aber längst nicht ausgemachte Sache. Die Begründung des Komitees, man „möchte befreit und ohne Sorgen einen fröhlichen Karneval erleben“ ist Wasser auf die Mühlen der diversen „Pro“ und „-gida“ auf Deutschlands Straßen.

In der verqueren Logik dieser sogenannten Bürgerbewegungen wäre „der Islam“ nun nicht mehr nur verantwortlich für „Selbstzensur“ und „Einschränkungen von Grundrechten“, wie noch am 18. Januar zu Dresden kolportiert. Es träfe nun sogar ein ganzes Lebensgefühl. Pünktlich wie erwartbar hat „Pro-Köln“ die Entscheidung als Kniefall des Festkomitees in einem „durch Einschüchterung oder Demographie islamisierten Köln“ denunziert.

Was sich die Krämerseele unter Befreiung und Sorgenfreiheit vorstellt

Im Ergebnis derart propagandistisch sorgsam gepflegter Feindbilder steht unverrückbar die tatsächliche, menschenfeindliche Gewalt, die am 9. Juni 2004 Anwohner, Geschäftsleute und Passanten in der Kölner Keupstraße traf. Es waren die Trugbilder im Kopf, die die Täter motivierten, aber zu der Zeit auch sehr Viele bewegten, daran zu glauben, dies sei eine Tat eines ausländischen kriminellen Milieus.

Und hier beginnt das eigentlich Empörende: Von welcher „Befreitheit“ schreibt dieses Festkomitee, wenn eine ganze Stadt nach wie vor überzogen ist von einem Netz sogenannter Bürger, das den ausländerfeindlichen Hass predigt und ihm erliegt? Was meint „ohne Sorge“, wenn die so Betroffenen sich nach wie vor fragen müssen, welche Taten noch derartigen Worten folgen könnten?

Die Reaktionen auf die Entscheidung haben ganz überwiegend gezeigt: Wer das Motiv unterstützt, erteilt nicht nur jeder physischen Gewalt eine Absage, sondern stopft mit seinem Griff zu Druckerschwärze, Stift und Computertastatur auch jedem Aufruf dazu das Maul, egal von wem, aus welchen Gründen auch immer. Das ist ein Zeichen nicht von Mut, sondern der Zivilcourage als Voraussetzung des zivilen Umgangs miteinander.

Dem stehen im Komitee bestens geschäftlich wie in Ehrenämtern vernetzte Personen gegenüber, die den Kölner Karneval als schiere Lustbarkeit zu begreifen scheinen. Ganz Majestäten und Prunk, ist ihr Motto offenbar „panem et circenses“; nur dass es statt Brot Kamellen mit zweifelhaftem Nährwert hagelt. Wo bliebe da der Narr, jene schon immer kleine, verwachsene Figur mit ihren Maulschellen, die jedem den Spiegel vorhält, der kurz vor dem Abheben steht?!

Mit ihrer Entscheidung haben die Verantwortlichen den Kölner Karneval, vom Empfang bei der Kanzlerin bis zur bundesweiten televisiven Aussendung als kulturelles und mediales Ereignis von Rang, wieder zurück in provinzielle Miefigkeit katapultiert. Denn den Fragen dieser Welt, wer wohl alles mit Waffen und Gewalt regiert oder regieren will und wer sich dem entgegenstellt, aufgelöst in einem der besseren Motivwagen der letzten Jahre, diesen Fragen will man keinen Raum geben, geschweige denn dem Gespräch darüber.

Die Krämerseele hätte gewonnen, jeder Anflug von Sorge wäre schlecht fürs Geschäft – also fest die Augen geschlossen und so getan, alles ginge das alles, helau statt hélas, nichts an.e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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