La Rete (dt.: das Netz) hat in Italien Tradition – Fischer benutzen, Mafia, Politik, Medien bilden sie. Nun auch die, die bisher damit eingefangen werden sollten. Mit dem Unterschied: Das Volk zeigt sich.
Suor Eugenia Bonetti war klar und deutlich in Rom auf der Piazza del Popolo zu hören, dem Platz des Volkes, das sich massenweise versammelt hatte. Sie sei hier, um Respekt vor der Würde der Frau einzufordern – vor allem jener Frauen, die mit Versprechungeneines besseren Lebens nach Italien gelockt werden, nur um sich in den Maschen der organisierten Kriminalität gefangen zu finden.
Wer am vergangenen Sonntag so gesprochen hat, ist nicht nur eine Vertreterin der katholischen Kirche. Die 71-jährige Ordensfrau hat 24 Jahre in Kenia verbracht und arbeitet seit 1993 gegen einen unausgesprochenen Wirtschaftszweig, mit Europa als einem Zentrum der Nachfrage. “La tratta delle schiave“ bezeichnet wörtlich den Handel mit Sklavinnen und gleichzeitig dessen Weg. Bonetti kennt die verschlungenen Pfade, diese verdeckten Netzwerke, über die junge Frauen und selbst Kinder aus miserablen Verhältnissen geholt und in nicht endend wollende Albträume relegiert werden. In Italien sind es zwischen 50 und 70.000 aus solcher Herkunft, 40% davon minderjährig. Lunetta Savino, die als Fernsehschauspielerin den ködernden Glamour mit verkörpert, spricht desillusioniert von der „Traurigkeit in einer Welt, in der Wünsche verlöschen.“
Diese Frauen empören sich, unüberhörbar und millionenfach in ganz Italien, in Europa. Was sich rund um die junge Marokkanerin Karima El-Mahroug („Ruby“) und das Verhältnis zu dem 74-jährigen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi aufgebaut und am vergangenen Wochenende in Massenkundgebungen entladen hat („Wenn nicht jetzt, wann dann?“), ist das Sinnbild italienischer Politik der letzten Jahrzehnte: Gesetze, die verbogen werden und wo sie nicht verbogen werden können, gilt die ordinäre Arroganz der Macht, die Frauen und damit alle Menschen zum reinen Objekt degradiert. Sie war bisher nur noch nicht so greifbar und offenkundig. Opfer hatten zu selten ein Gesicht.
Das Ende der sog. Ersten Republik
Die losen Enden des Netzes, das sich nun um Silvio Berlusconi allmählich zusammenzieht, reichen weit zurück. Am Anfang steht das spürbare Aufatmen der Bevölkerung in Italien, als in den 1990ern Staatsanwälte und Richter das aufarbeiteten, was als „Mani Pulite“ (saubere Hände) oder „Tangentopoli“ (Polis der Bestechung) in die Geschichte eingegangen ist. Eine Katharsis - Netzwerke verdeckter Parteienfinanzierungen verbunden mit Bestechungen wurden zerschnitten, die gegenseitige Einflussnahme von Politik und Wirtschaft durch Gerichtsakten öffentlich gemacht, deren jeweilige Persönlichkeiten ersten Ranges zu teils langen Haftstrafen verurteilt. Ein Aufatmen auch, weil die Bürokratie der Macht, die althergebrachten Parteien mit ihren undurchdringlichen Ganglien ein Ende fanden. Die Kommunisten lösten sich 1991 auf, Christdemokraten und Sozialisten folgten 1994.
Es war zugleich ein ängstliches Atmen. Das Großreinemachen im politischen Apparat ging einher mit einem unbeschreiblichen Angriff der organisierten Kriminalität gegen den Staat. Die Ermordungen des Politikers Salvatore Lima im März 1992 und der Ermittler gegen die Mafia Giovanni Falcone im Mai, Paolo Borsellino im Juli desselben Jahres waren paradigmatisch für eine kriegerisch entfesselte Cosa Nostra mit an der Spitze Totò Riina, genannt la belva, die Bestie. Das Näheverhältnis des Staates und vieler seiner Repräsentanten zu den Einzelorganisationen der Mafia, das erst heute allmählich aufgearbeitet wird, war zu der Zeit praktisch, aber unaussprechlich. Bekannte Journalisten, die dies thematisiert hatten, waren regelmäßig ermordet worden, unter ihnen die bekanntesten Giovanni Spampinato 1972, Mino Pecorelli 1979, Pippo Fava 1984, Mauro Rostagno 1988.
Die sog. Zweite Republik
Die bange Sehnsucht nach etwas Neuem bediente Silvio Berlusconi meisterlich, als er 1994 offiziell die politische Bühne betrat. Seine Partei nannte er „Forza Italia“ (Vorwärts Italien) nach dem Ruf in den Stadien bei Fußballländerspielen. Seine erste öffentliche politische Rede im Januar, neun Minuten lang und auf allen Fernsehkanälen übertragen, wurde sofort als „discesa in campo“ bezeichnet, das Betreten des Spielfeldes. Das Populistische, am Nimbus des erfolgreichen Self-made-Man ausgerichtet, war immer sein Markenzeichen. Und mit ihm zum ersten Mal sichtbar ein personifiziertes Networking, womit aus dem Englischen die Vernetzung der Radio- und Fernsehsender abgeleitet wurde. Der Medien- und mediale Mensch inszenierte über die eigenen Kanäle sein Weltbild und reichte es an die Öffentlichkeit weiter: Unterhaltsam, nackt, hedonistisch.
Das Publikum, das auch (Wahl)Volk ist, nahm es dankbar an. Denn mit dem Programmschema versteckte Berlusconi geschickt die harte Hand, mit der er in Wahrheit das Land regiert hat. Nachhaltige Benachteiligung von Arbeitnehmerrechten zugunsten der Arbeitgeber, Ausverkauf italienischer Kunst-, Kultur- und Landschaftsschätze, Steigerung von Bestrafungen gegen das „einfache Volk“ -vor allem auf dem Gebiet der sog. Ordnungswidrigkeiten- ins Absurde bei gleichzeitiger Abschaffung typischer white-collar-Delikte wie Bilanzfälschung. „Die da oben“ und „unten“ wurden neu konnotiert in einer Klasse immer dreister agierender Polit-Geschäftemacher, denen Politik ausschließlich als Vehikel zur eigenen Bereicherung dient.
Die Zurückdrängung des Öffentlichen ins Private ist dabei eines der tragenden Motive von vier Amts- und achteinhalb Jahren Regierungszeit des Ministerpräsidenten Italiens. Das war und ist nicht nur jene Privatisierungswelle im Zuge sog. neoliberaler Wirtschaftspolitik, die auch Italien erfasst hat. Es ist gleichfalls die Bedienung des eigenen Netzwerkes aus Zuträgern, Freunden und Seilschaften, die dadurch Lohn und Brot gefunden haben und ihre eigenen Subsysteme schaffen konnten.
Vor allem aber war es eine Einlullung, getragen von Medien und Politik, dass das persönliche, wirtschaftliche Fortkommen wichtiger sei als das Engagement, als der öffentliche politische Diskurs, „la cosa pubblica“. Emblematisch dafür war der Wahlkampf Berlusconis 2001 eines „Vertrages mit den Italienern“. Die große Geste der per TV ausgestrahlten eigenhändigen Unterzeichnung von Wahlkampfversprechen in Form eines privatschriftlichen Vertrages mit dem Volk suggerierte eine privatime Bringschuld von Politik. Sie sei verkörpert, so die Suggestion, von einem vertragstreuen Unternehmer/Politiker, bei der der Kunde/Wähler sich nur noch zurück zu lehnen brauche, um auf Erfüllung zu warten. Dieser gleichwohl öffentliche Akt zeigte (und tut es noch immer) den Kern von „Privat“: Unbedingtes Einstehen kraft vereinbarter Verpflichtung, getragen von Autorität und Glaubwürdigkeit der beteiligten Kräfte.
Die Konstruktion, mehr noch: Die Lebenslüge eines ganzen Landes ist nun in sich zusammengefallen. Denn der Rückzug ins Private hat sich als zumal morbides Trugbild erwiesen. Verbunden mit den neuen Anklagepunkten gegen Silvio Berlusconi offenbaren sich: Die Organisation von Schleppertum zugunsten eines Potentaten; Besetzungscouchen bei Vergabe von politischen Ämtern, Schauspielerrollen und bevorzugten Plätzen im haremsgleichen Bunga-Bunga; die Beugung des Rechts gerade durch Autorität und Glaubwürdigkeit eines Mannes, der seine Mitmenschen derart verachtet, Ihnen Märchen von der Verwandtschaft seiner Favoritin zu einem anderen Potentaten auftischen zu können; die völlige Korruption des Öffentlichen im Privaten und umgekehrt. Ein System.
Eine Dritte Republik?
Die Lage, in der sich Land und Leute befinden, unterscheidet sich nicht maßgeblich von der vor rund zwanzig Jahren. Wieder sind es Ermittlungen der Justiz, die die Macht im Land erschüttern, erneut sind es kollusive Netzwerke zwischen Politik, Wirtschaft und Kriminalität, die es zu zerschneiden gilt. Die politischen Parteien von damals sind zwar weitestgehend durchsichtige Apparate zugunsten ihrer einzelnen Führungspersönlichkeiten geworden. Die politischen Schaltzentralen existieren aber nach wie vor. Sie nennen sich jetzt Stiftungen und tragen so phantasievolle Namen wie „Fare futuro“ (die Zukunft gestalten), „Italia Protagonista“ (Hauptperson Italien) oder „Italiani Europei“ (europäische Italiener). Sie sind das auch finanzielle Rückzugsgebiet von Politik geworden, die dort artikuliert, was im Parlament nicht mehr gesagt wird.
Und in das Bewusstsein, „dass es so nicht weitergehen kann“ mischt sich abermals die bange Frage nach der Zukunft. Verhandlungsmasse ist dabei, ob Italien ein föderaler Staat werden wird, zentralistisch organisiert bleibt oder gar eine Sezession des Nordens in Form eines „Padanien“ der Lega Nord droht. So wie zu Zeiten des korrupten Ministerpräsidenten Bettino Craxi die Autorität des Staates im Kampf gegen die Mafia Deckmantel für strukturelle Schwächen war, so ist die sog. „Föderalismusreform“, der Umbau der Staatsorganisation bis in die Grundfesten, das Zugpferd heutiger politischer Entscheidungen. Nicht die Selbstverständlichkeit, dass ein Ministerpräsident unter den gegebenen Umständen zurück zu treten hätte, ist der in Medien abgebildete Diskurs, sondern das Ködern dessen ewigen Verbündeten Lega Nord mit weitergehenden Versprechungen, damit diese Berlusconi fallen lasse.
Mit einem wesentlichen Unterschied auf der eigentlichen Empfängerseite. Die Italiener haben sich ihrerseits vernetzt und Schwerpunkte gesetzt. Nicht mehr passiv abwarten, was da kommen möge, ist ihre Haltung. In Social-Networks, unter ihren Namen und mit der Abbildung ihrer Gesichter haben sie immer mehr die reine Missstimmung umgewandelt in engagierte Debatten um die Grundsätze, wonach sie die Zukunft ausrichten wollen. Und sie koordinieren sich, entwickeln sich weiter, wo Politik still steht, dynamisch in einem dynamisch sich entwickelnden www made in.it. Die Technik ermöglicht es ihnen, sie nutzen es, mit zunehmender Geschwindigkeit.
Erste Ergebnisse waren Veranstaltungen des vom Komiker zum Politiker gewandelten Beppe Grillo. Seine vor Jahren initiierten „V-Days“ (Abkürzung für: Vaffanculo-Days, dt: Tage des Leck mich am Arsch) sind mittlerweile Happenings der Gegenkultur. Die von ihm mit ins Leben gerufene Bewegung „5 Stelle“ (fünf Sterne) schickt Kandidaten in Wahlen. Weitergehend, weil parteiübergreifend, ist „Il Popolo Viola“ (Das lila Volk), das mit seiner Farbe auf Umhängen und Banderolen, das von keiner Partei in Emblemen verwendet wird, Unabhängigkeit demonstriert. Im vergangenen Jahr ging dieses Volk gegen die Reformen des (Hoch)Schulwesens, gegen die herrschende Ausländerpolitik und die zugrundeliegenden Verfilzungen auf die Straßen. Die Massendemonstrationen der Frauen vom vergangenen Wochenende haben einen weiteren Akzent gesetzt: Sie hatten gebeten, keinerlei politische Embleme mit zu führen. Ihrem Wunsch wurde entsprochen. Kein lila, keine Sterne. Es war wie ein Akt der Befreiung, parteiungebunden und hochpolitisch: Lachend, endlich wieder lachend nach Jahren bleierner Gleichgültigkeit, und im Lachen die Zähne gezeigt.
Es mag als Ironie des Schicksals gelten, oder als Nemesis, wie es schon einige Zeitungen betitelt haben: Dass Berlusconis Anklägerin Ilda Boccassini ist. Sie ist die gefürchtetste Staatsanwältin Italiens, weil sie sowohl bei „Mani Pulite“ als auch bei der Festsetzung von Totò Riina, der Bestie, nach der Ermordung ihrer Kollegen Falcone und Borsellino mitgewirkt hat. Sie kennt jeden Abgrund einschließlich des menschlichen und hat nun das Anklagematerial gegen den amtierenden Ministerpräsidenten zusammengetragen.
Oder dass drei Frauen ab dem 6. April über Herrn B. zu Gericht sitzen werden. Schon wird die Legendenbildung von „links fanatisierten Weibsbildern“ befeuert. Und versteht nicht, dass Öffentlichkeit mittlerweile eine andere ist. Die von Neuem beginnt, sich ihrer selbst bewusst zu werden. Eintritt, einlegt und ihr Gesicht zeigt. Die die losen Enden des Netzes aufgenommen hat und sie jetzt zusammenzieht, nicht nur um diesen Herrn B. Unentrinnbar. e2m
Kommentare 10
Sehr geehrte Damen und Herren,
dies ist der letzte Artikel von ed2murrow bei freitag.de. Und hier auch sein letzter Kommentar. Das Thema Italien wird erhalten bleiben, aber in einer anderen Form, mit einem anderen Gesicht.
Der Mensch, der bisher unter dem Pseudonym geschrieben hat, muss sich weiter entwickeln. Eine der Prärogativen dafür ist, etwas, was keine Funktion mehr erfüllt, hinter sich zu lassen. e2m -und einiges mehr- gehört dazu. Funktion und Fiktion bleiben nur für das Geschriebene erhalten. Sie sind, vor allem in Bezug auf Artikel, die sich mit Madagaskar beschäftigen, wichtig: Dort kann Kritik sehr non-verbal aufgenommen und beantwortet werden. Das war, und ist, zu bedenken.
Das Netz kann etwas sehr lebendiges sein. Gerade Italien hat es mir wieder gezeigt. Was aber dazu gehört, ist Authentizität ... und sich bekennen. Das geht nicht anonym. Nicht hier, nicht für eine Zukunft, die sich der Verfasser dieser Zeilen in „seinem Garten“ und bei „seinen Rezepten“ vorstellt.
Es sollte ein Bekenntnis sein. Auch und gerade zu freitag.de, den Menschen, die dies hier alles ermöglichen. Denen ich hiermit danke. Pay-back ist für mich kein Fremdwort oder nur eine Karte.
Mit den besten Wünschen, e2m
... ein Bekennerschreiben ;)
Ein - wie so oft - Spitzenartikel, und eine sehr schlechte Nachricht. Ich würde e2m doch sehr vermissen - sowohl die Artikel, wie auch die Kommentare.
@ed2murrow
Danke für so viele überaus lesenswerte Artikel !!!
Sorgfältigste Recherchen, präzise Formulierungen und das Aufzeigen von Hintergründen und Zusammenhängen haben mich immer wieder beeindruckt und mir bewusst gemacht, wie weit ich selbst doch in meinen Texten von all dem entfernt bin.
Mein italienischer Lebenspartner (der hier nicht schreibt, aber in einigen italienischen Online-Foren) schließt sich meinem Dank an den Autor an.
Wir werden Ihre interessanten Beiträge sehr vermissen und grüßen herzlich
Axel und Toni
Axel / Alien59: Genauer lesen, Leute!
Josef, dann nehme ich an DU hast genau gelesen und die Hinweise „in seinem Garten“ und bei „seinen Rezepten“ entschlüsselt?
Was ich in meinem Kommentar gemacht habe (wenn man genau liest :-) ): Ich habe mich vom Pseudonym / Avatar ed2murrow verabschiedet.
Bis denn dann...
Ach herrje,
aber er kommt ja wieder. Eigentlich war er sogar schon da.
Lieber ed2murrow - Sie haben ja auch einen Hang ins Inszenatorische. Das hat einen Reiz.
Manchmal frage ich mich, ob ich ein Defizit habe, weil ich mich des Rätselhaften so entschlage.
Man sagt ja auch heute, dass sich Leute immer wieder "neu erfinden" müssen. Mir will und will aber nichts einfallen.
Das Großreinemachen im politischen Apparat ging einher mit einem unbeschreiblichen Angriff der organisierten Kriminalität gegen den Staat. Die Ermordungen des Politikers Salvatore Lima im März 1992 und der Ermittler gegen die Mafia Giovanni Falcone im Mai, Paolo Borsellino im Juli desselben Jahres waren paradigmatisch für eine kriegerisch entfesselte Cosa Nostra mit an der Spitze Totò Riina, genannt la belva, die Bestie.
Die Ermordung von Falcone und Borsellino hängen nicht mit Tangentopoli und Mani pulite zusammen.
Die beiden Ermittlungsrichter waren dabei, Verbindungen zwischen Staat und Mafia aufzudecken und wurden deshalb eliminiert; vermutlich, wie im letzten Jahr bekannt wurde, mit Wissen und Hilfe von staatlichen Stellen.
Am Anfang steht das spürbare Aufatmen der Bevölkerung in Italien, als in den 1990ern Staatsanwälte und Richter das aufarbeiteten, was als „Mani Pulite“ (saubere Hände) oder „Tangentopoli“ (Polis der Bestechung) in die Geschichte eingegangen ist.
Es war kein Aufatmen, sondern ein Erdbeben, daß die Gewissenheiten der italienischen Bevölkerung stark erschütterte und eine starke Unsicherheit erzeugte, als das Ausmaß der Korruption bekannt wurde.
Ein Aufatmen auch, weil die Bürokratie der Macht, die althergebrachten Parteien mit ihren undurchdringlichen Ganglien ein Ende fanden. Die Kommunisten lösten sich 1991 auf, Christdemokraten und Sozialisten folgten 1994.
Die Auflösung der kommunistischen Partei (PCI) ist nicht durch Tangentopoli bedingt, sondern durch den Zerfall der realsozialistischen Systeme, der die PCI, 70 Jahre nach ihrer Gründung, veranlaßte, sich aufzulösen und sich als Partito Democratico della Sinistra neu zuformieren. Zumal 1991 noch keine Ermittlungen in Sachen Tangentopoli stattfanden.
Hingegen hängt der Niedergang der Christdemokraten und Sozialisten direkt mit den Ermittlungen der Mani pulite zusammen.
Lieber ed2murrow, ach nein, nun ganz unbekannt, Anonymus. - Was allerdings bestimmt heraus zu bekommen wäre, hielte ich mich als Schnüffelnase im Web auf. - So aber Unbekannter, schreibe du nun auch weiter im „dF“, über Madagaskar und sonstige Orte, über die Politik, über alles was medial Recht und notwendig wäre. - Madagaskar, das hatte ich einmal wochenlang auf einer Kuhhaut vorlesend, auf einer Kuh gemalt, als Kinderbuch vor Augen.
Ja, auch wenn Bernard Kouchner und Maximo D´Alema heute schon wieder eher wie Randfiguren der schnelllebigen Politik wirken, wenn Berlusconi sein Italien in der eigenen Agonie nur noch fester hält, um nicht im Knast zu landen, so war doch jeder ihrer Artikel, Unbekannter, eine aktuelle und vor allem gut geschriebene Nachricht aus Welten, die ein beschränktes deutsches Hirn ohne Sie gar nicht richtig hätte wahrnehmen können. Dafür vielen Dank und, wie schon gesagt, als Anhang mein Wunsch, trotz neuer Einstellung, Überzeugung und Entwicklung ihrerseits, meine tiefe Hoffnung, sie denken daran Botschaften aus dieser anderen Welt an den „dF“ und seine Community zu senden.
Sie sind einer, „Out of journalism“ und doch in jedem ihrer Texte eigentlich drin. Auch, wenn mir einmal ein Artikel persönlich nicht zusagen mochte, so bleibt doch die Achtung vor der Mühe und vor dem sprachlichen Aufwand und vor ihrer klaren Haltung. Saviano musste Sie faszinieren und auf den Punkt steht da von ihm geschrieben, im Zitat zur Camorra, was die größte Bedrohung der offenen Gesellschaft ist. Die Camorra gab die Devise aus, anders als die Mafia, mit dem Staate leben zu wollen, ihn in der unerträglich korrupten und manipulierbaren Form erhalten zu wollen, der ihr sehr erträglich ist. - Das öffnete viel mehr Türen in Justiz, Polizei und Verwaltung, als die Outlaw-Haltung der klassischen Mafia-Clans, die ihren eigenen Staat im Staate anstrebten.
Hochinteressant dann die Artikel zu Renato Schifani, diesem Popolo della Libertà -Senatpräsidenten, Tabucci und Marco Travaligo, sowie G. DiAvanzo. Pressefreiheit und Meinungsfreiheit lässt sich am leichtesten mit Geldforderungen im Rahmen von Unterlassungs- und Verleumdungsklagen beschneiden. Das Zivilrecht kann, von geschickten Anwälten eingesetzt, viel übler mitspielen. Sie berichten über tapfere Italiener, teils Journalisten, teils Schriftsteller und Übersetzer, die sich in der verbliebenen linken und halbwegs linken Presse den Mund trotzdem nicht verbieten lassen.
Entlarvend, der Bericht über die Rang- und Gewichtigkeitsstufen des sexuellen Missbrauchs aus der Sicht des Vatikans. Der sah in der nicht zölibatären, vorgeblich massenhaften Form in allen Schichten größere Verfehlung, als beim verführten, verleiteten und möglischerweise sogar psychisch gestörten Verhalten seiner Amtsbrüder und Seelsorger. Sozusagen ein Exempt für die gleichen Delikte, zweierlei Maß als römisches, besser kuriales Rechtsverständnis.
Der Mikrokosmos Madagaskar (acht Artikel), ihre heimliche Lieblingsinsel, vielleicht ihr amoenischer Ort, wurde in einer Artikelserie, immer mit Verweis auf die desolate wirtschaftliche und politische Lage beschrieben. Selten für eine deutsche Community, auch herausragend für ein deutsches Online-Presseportal. So wünschte ich mir mehr Kunde von Orten, an die ich persönlich vielleicht nie komme, aus Blickwinkeln, die mir im Alltagstrott nie einfielen.
Nie wäre mir aufgefallen, die Lebensbedingungen auf der Insel als so unterschiedlich sehen zu müssen, allein, weil es dort auf engstem Raum eine scharfe Teilung der Insel durch die Klimazonen und die Vegetation gibt. Von wegen, alles sei üppiges Tropenland, von wegen, alles sei abgeholzte Steppe.
Eine Übersetzung Dario Fos erspart mühsames Herumgestochere mit dem eigenen rudimentären Italienischkenntnissen und bringt eine Stimme zu Gehör, die sich in ihrem Eifer und Zorn gegen die vulgären, mafiösen und den Geist der Gesetze verhöhnenden Charakter der italienischen Welt Berlusconis immer gewehrt hat. Wie schwer es den Aufdeckern gemacht wird, wenn die Durchstecherei und das Cliquenwesen zum Volkssport und zum Beweis besonderer Durchsetzungsfähigkeit bei vielen Bürgern anerkannt ist, beweist Fos Rede an die investigativen Journalisten. Seine Vorbilder, in Fotografien hängen sie in Fos Arbeitszimmer, sind die ermordeten Ermittler Borsellino und Falcone. Gute Vorbilder, für einen, der mit den Mitteln des Populärtheater, des drastischen Witzes und der Schauspielkunst gegen das mächtige Staatsschauspiel anrennt.
Die Umwelt nehmen wir nicht mit. Aber geradezu sträflich ist es, wenn man den Ort zu dem man sich bewegt, den man zur eigenen Welt macht, an dem man sich nieder lässt, nicht respektiert. Wenn man also diesem Ort kein eigenes Recht, außerhalb der eigenen Gedanken, lässt, unabhängig davon was man selbst sucht und sehen will. Also kann eine längere Italienreise, ein Leben dort, ein Aufenthalt in Madagaskar oder an sonst einem Ort dieser Welt nur dann wirklich gerecht sein, auch mit den Menschen die dort immer schon sind, wenn ich Respekt habe. Die Orte sind mir nicht untertan, auch wenn ich, wie Goethe es häufig tat, ihnen meinen Blick aufzwinge. - Auch dazu wussten Sie erhellend zu schreiben.
Nur in einer Frage empfand ich bei mir eine gewisse Abneigung, ihren Gedanken eine hohe Plausibilität zuzubilligen. Sie verteidigten ehemalige Community-Mitglieder, die auf ihren privaten Blogs wenig sachlich, sondern auch klar gegen Personen gerichtet, Schiffsmeldungen verbreiteten, die auch noch falsch sind. Sie verteidigten Personen, die im grundsätzlichen „Anti“ ihre Erfüllung suchen. Das ist aber nur am Rande entscheidend, für meine Grundhaltung und meinen Wunsch, Sie in irgend einer Form weiter beim „dF“ lesen zu können.
Liebe Grüße und
gute Fahrt auf all´ ihren Wegen
Christoph Leusch