Staatsmacht, verführt

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Sieben Wochen ist es her, dass in Stuttgart friedlich versammelte Menschen brutal auseinandergetrieben und zum Teil irreparabel verletzt wurden. Viel ist seitdem von Legitimität der Rede, gar von der Durchsetzung von Recht, denn das Großbauprojekt S21 sei, so im Kompendium die Meinung der Befürworter, legal beschlossen: Durch alle politischen Instanzen, durch Gerichtsurteile. Es fehle nur noch der Vollzug. Letztlich sei der Polizeieinsatz lediglich in der Proportion missraten, lautet die Botschaft.

Schlichtungsrunden

Diese Auffassung musste sich angesichts der sog. dritten Schlichtungsrunde unter Vorsitz von Heiner Geißler bestätigt fühlen, glich sie zumindest in der medialen Aufarbeitung einem Debakel der Gegner des Großprojekts. „Eine Lektion für die S21-Gegner“ war noch eine der freundlicheren Titelgebungen, da die Deutsche Bahn vermittels ihres besten Personals mit technischen Details zu glänzen wusste und damit Souveränität ausstrahlte. Im Boxring wäre die Runde eindeutig nach Punkten an die Grubes und Mappus‘ gegangen.

Wenn nicht kurz darauf ein internes Schreiben des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) aufgetaucht und mit ihm eine neuere, vertrauliche Kostenanalyse auf dem Tisch des Stern gelandet wäre. Dort heißt es: "Unter diesen Voraussetzungen ist die Gesamtfinanzierung des Vorhabens zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesichert" und "Vorläufig keine Baufreigaben in finanzieller Hinsicht.“ Der Inhalt ist nicht weiter verwunderlich. Denn eine 17-jährige Projektierungsphase, wie sie S21 erlebt hat, treibt die Kosten um mindestens 2% pro Jahr in die Höhe, allen Preisbindungsklauseln zum Trotz. Man kann, wie es der Stern tut, die Intervention des EBA als „Notbremse“ bezeichnen oder als normales Geschäftsgebahren zwischen Kontrollorgan und Kontrolliertem. Hier mag die Bahn ihre Gegenargumente einbringen und die richtige Kalkulation offen legen.

Die Verführung liegt im Datum des Schreibens, das vom 7. September 2010 stammen soll, also rund drei Wochen vor dem Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlosspark. Das Fundament, auf dem dieser gegründet war, und mit ihm alle Argumente der Durchsetzung von Recht erweisen sich als auf schlichten Betrug gebaut. Zumindest die Deutsche Bahn wusste zum Wochenende der Deutschen Einheit darum, dass keine Baufreigabe vorlag. Trotzdem beharrte sie unter Aufrechterhaltung des von ihr hervorgerufenen Irrtums, alles habe seine Richtigkeit, auf dem Beginn der Bauarbeiten, wozu auch die Baustelleneinrichtung gehört.

Eine Frage des Näheverhältnisses

Alles wieder nur ein bedauerlicher Kommunikationsfehler? Es scheint sich in den Köpfen festgesetzt zu haben, dass die Bahn ein privatwirtschaftliches Unternehmen sei, nachdem sie als öffentlich-rechtliche Körperschaft aus dem Sondervermögen des Bundes ausgeschieden ist. Und in der Tat ist sie heute eine Aktiengesellschaft, aber mit dem absoluten Anteilseigner namens Staat. Im weitesten Sinne agieren am runden Tisch nicht nur Politiker, sondern vor allem Manager als Bedienstete der öffentlichen Hand. Unterschleif durch Zurückhalten wichtiger Informationen ist bereits in der Privatwirtschaft ein guter und begründbarer Kündigungsgrund. Das sollte erst recht gegenüber jenen gelten, die ihrem Kapitalgeber und damit immer noch der Bevölkerung in Deutschland verpflichtet sind. Es gibt schlechtere Prämissen für die Fortführung von Gesprächen an einem runden Tisch.

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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