Verfasstheit und ein Stückchen Haut (IIIB)

Zirkumzision Wie wenig geeignet Strafrecht ist, kulturelle Konflikte zu lösen – die kriminelle Ärzteschaft, ein Sündenphall und die lege artis der Jurisprudenz

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Nachhaltig wurde diesem Eingriff -und zwar dem juristischen in die Autonomie sowohl des Patienten als auch des Patienten-Arzt-Verhältnisses- angesichts des Ergebnisses in Köln applaudiert. Denn Verletzter war hier ein Bub, der wegen seiner fehlenden Geschäftsfähigkeit selbst gar keinen Strafantrag stellen konnte, dieses Recht vielmehr von seinem gesetzlichen Vertreter auszuüben gewesen wäre (-> § 77 Absatz III StGB). Gerne ist in dieser Optik also aufgenommen worden, dass der Mutter oder den Eltern angesichts ihres „Konfliktes“ zwischen eigenem Wollen, interpretiertem „Kindeswohl“ und „staatlicher Ordnung“ die Entscheidung zu einem Strafantrag aus der Hand geschlagen worden ist.

Contra legem, aber weil es irgendwie und suggestiv um Religion oder Archaik gehe, heiligte der Zweck offensichtlich die Mittel. Insofern kann mit Fug und Recht von einem „wegweisenden“ Verfahren gesprochen werden. Die Unerbittlichkeit, mit der das landgerichtliche Urteil aufgenommen worden ist, müsste allerdings die Gleiche sein, wenn es um die Sauberkeit, die lege artis in der Durchführung des juristischen Verfahrens geht, an dessen Ende Freiheitsentzug und soziale Ächtung stehen. Was bereits damit beginnt, dass die Staatsanwaltschaft mit der von ihr vertretenen Auffassung von der Strafbarkeit sich ihrer Pflicht entzogen hat, den Ausnahmecharakter ihrer Intervention erklären zu müssen.

Rechtsmeinung oder Umgehung lästiger Formalien?

Denn es hätte schon beträchtlicher Klimmzüge bedurft, der sonst bestehenden Begründungspflicht nachzukommen, warum sie „wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten“ gehalten hat. Diese andere in § 230 Absatz I StGB geregelte Voraussetzung, um wegen einfacher Körperverletzung anklagen zu dürfen, hätte angesichts der unvordenklichen Praxis der Beschneidung (in all ihren religiösen, kulturellen, aber auch medizinisch-hygienischen Facetten) bereits Schwierigkeiten bereitet, das „Besondere“ im öffentlichen Interesse darzutun. Um wie viel schwieriger aber wäre es gewesen, der Selbstbindung in Nr. 234 Absatz I Satz 1 RiStBV[i] zu genügen, dass im konkreten Fall „die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist“. Die Plötzlichkeit, dieses „aus heiterem Himmel“, das angesichts des landgerichtlichen Kölner Urteils in weiten Teilen der Bevölkerung empfunden worden ist, erhält hier die ureigene juristische wie persekutorisch funktionale Bedeutung.

Nicht zu vertiefen ist vor allem aus Platzgründen, dass der Staatsanwaltschaft ein eigenes Ermessen eingeräumt ist, sogar entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein bestimmtes Verhalten für strafbar zu halten. Dies wird ohne Weiteres aus -> § 150 des Gerichtsverfassungsgesetzes hergeleitet, wonach Staatsanwaltschaften -als staatliche Behörden- von den Gerichten unabhängig sind. Genauso wenig ist aber streitig, dass auch sie mit Blick auf Art. 20 Absatz III GG an Recht und Gesetz gebunden sind. Mit anderen Worten: Auch das Ermessen der Strafverfolgungsbehörden ist kein Freibrief.

Das betrifft nicht nur die Frage, welche funktionale Rolle die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung jenseits der Fragwürdigkeit materiell-rechtlicher Einordnung im konkreten Fall gespielt haben mag. Zu eruieren, ob die Zueignung jener Rechtsmeinung im Vordergrund stand oder aber die Umgehung der Erfordernisse des § 230 I StGB zumindest eine Rolle gespielt haben mag, wäre Aufgabe der Justizverwaltung in Nordrhein-Westfalen. Im Ergebnis änderte dies nichts daran, dass der Ablauf des gesamten Verfahrens wenig zu tun hat mit dem, was als faires Verfahren ex -> Art. 6 EMRK, -> Art. 1 I, -> 2 II 2 iVm. -> Art. 20 III GG bekannt ist[ii].

Was dem Arzt der saubere Operationsverlauf wäre dem Juristen das faire Verfahren

Das damit beginnt, dass der angeklagte Dr. K. „wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen“ frei gesprochen worden ist, was sich allerdings nur bei Lektüre des erstinstanzlichen Urteils und auch da nur in der Originalversion[iii] erschließt. Bemerkenswert daran ist: Der Vorwurf aus -> § 225 StGB ist keiner, der typischerweise einen Arzt treffen würde, auch wenn er Kinder behandelt. Und doch hatte sich dieser Vorwurf so sehr verdichtet, dass er den Aktenvorgang bestimmt hat, gleich an welcher Stelle er der Justiz vorgelegt worden ist, bis hinein in das Urteil des Amtsgerichts. Und damit möglicherweise auch im Anschlag der Gerichtstafel – „Dr. K. wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen“?

Daran ändert nichts, dass in Wahrheit[iv] Dr. K. nicht deswegen angeklagt worden ist. Die Falschbezeichnung zu Lasten des Angeklagten ist öffentlich wirksam geworden. Und ein Arzt, dem den Tatbestandsmerkmalen des § 225 StGB gemäß der Vorwurf gemacht wird, er habe jemanden „gequält oder roh misshandelt“, hat in aller Regel trotz aller Unschuldsvermutung ein gewaltiges Problem.

Mehr noch hat die Staatsanwaltschaft Köln aber die Maxime außer Betracht gelassen, wonach sie gemäß -> § 160 Absatz II StPOnicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln” hat. Denn sie hat die Frage der lege artis des medizinischen Eingriffs nicht im Vorverfahren geklärt, sondern erst im Rahmen der Hauptverhandlung, weswegen die Einvernahme eines sachverständigen Zeugen erforderlich wurde. Die Tatsache, keinen Sachverständigen beigezogen zu haben, lässt ohne Weiteres die Vermutung zu, dass im Hauptverfahren derselbe Arzt einvernommen worden ist, der das Kind in der Klinik nachversorgt hat. Alleine aufgrund dessen Arztbriefes stand bereits vor Anklageerhebung fest, dass Dr. K. den Eingriff lege artis vorgenommen hatte.

Gerade unter Zueignung der neueren Rechtsmeinung wäre das aber konstitutives Tatbestandsmerkmal der gefährlichen Körperverletzung. Es wäre also der entsprechende Befund zugunsten des Angeklagten bereits in den Ermittlungen, vor allem aber im Rahmen der Erwägungen zu berücksichtigen gewesen, ob überhaupt ein hinreichender Tatverdacht besteht, eine entsprechende Anklage der Gefährlichkeit zu erheben, -> § 170 I StPO.

Begründete Zweifel an Verfahren, die sich an Köln werden anlehnen wollen

Jeder angeklagte Arzt ist dieser Situation buchstäblich machtlos ausgeliefert; von einer „Waffengleichheit zwischen Angeklagtem und Staatsanwaltschaft“ kann keine Rede mehr sein. Er kann zwar versuchen, bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eigene Beweisanträge zu stellen (vgl. etwa -> §§ 163a II, -> 166 I StPO). Durchsetzen kann er diese Anträge freilich erst in der Hauptverhandlung, und falls ihm insoweit ebenfalls Gehör verweigert wird, schließlich im Instanzenzug. Dass dies keine strukturelle Waffengleichheit zwischen dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft darstellt, zumal wenn sich die Anklagebehörden nicht einmal ordentlich um den eigenen Pflichtenkreis zu kümmern scheint, liegt auf der Hand.

Auch mit Blick auf die funktionale Mehrdeutigkeit, die der Umgehung von Strafantrag und besonderem öffentlichen Interesse als jederzeit von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernissen innewohnt, mag jeder für sich die Frage stellen, ob und inwieweit im Lichte der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung das Wort „Fairness“ angebracht sein soll.

Über jedem Zweifel erhaben, so wie die Rechtsprechung die hygienischen Verhältnisse im ärztlichen Operationsfeld sehen will, ist das Prozedere jedenfalls nicht. Und damit die interessensgeleitete Meinung, die „eng-deutsche, zeitbedingte und zeitgebundene Gesetzgebung“ durchreichen zu wollen, in der Praxis am eigenen Anspruch zu messen. Um im Bild zu bleiben: Der Befund ist ungünstig, die Diagnose mindestens ungewiss.

Dass sie in der Lage wäre, die inneren Widersprüche aufzulösen, die sich mit dem Verfahrenszug in Köln offenbart, hat die Praxis erst recht nicht dargetan. Denn sie hat sich naturgemäß mit ihnen nicht beschäftigt: Wie erklärt sie, dass die generelle Entscheidungsfreiheit des Patienten, die eigentlich Schutzgut sein soll, dort, wo Justiz zugange ist, plötzlich nicht mehr gelten soll? Aber vor allem: Wie erklärt diese Meinung, dass der derart unter Generalverdacht gestellte und kriminalisierte Arzt eine der tragenden Säulen eines Netzwerkes ist, das speziell in den letzten Jahren zum angeblichen „Wohl des Kindes“ errichtet worden ist?

(zuerst veröffentlicht bei die Ausrufer)

Fußnoten:

[i] Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, Stand 13.03.2012 -> online

[ii] Vgl. grundlegend zum fairen Verfahren BVerfG, Urteil vom 7.12.2011, Az. 2 BvR 2500/09, NJW 2012, 907 -> Pressemitteilung und -> Volltext; beeindruckend dabei nicht nur der Verfahrensgang, dokumentiert in den Rechtszügen bei -> dejure.org, sondern vor allem der Umstand, dass außerhalb von deutschen konkreten Verfahrenskautelen und am Maßstab von -> Art. 6 EMRK gemessen worden ist. Vielleicht wäre dieser Prüfungsmaßstab passende Richtschnur gegenüber jenen, die einer „eng-deutschen, zeitbedingten und zeitgebundenen Gesetzgebung“ so mächtig das Wort reden. Diesbezüglich sei also gestattet, „Fairness“ nicht ausschließlich im stringenten Sinne des BVerfG einzuführen, sondern als Überlegung, was Strafrecht konkret bewirkt.

[iii] Amtsgericht Köln, Urteil vom 21. September 2011, Az. 528 Ds 30/11 -> online Datenbank NRW, online pdf -> 528 Ds 30-11 Beschneidung

[iv] Es wäre ein Fall, den mein damaliger Ausbilder Mitte der 1980er in der Strafstation so umschrieben hätte: „Wenn der Teufel einmal in die Akte geschissen hat …“ und meinte damit die beinahe schicksalshafte Selbstverständlichkeit, mit der ein Fehler in der Rechtspflege, hat er sich einmal eingeschlichen, nicht nur fortlebt, sondern erst recht weitere hervorruft. Aber auch das nur in dubio pro reo der Strafrechtspflege zu Köln.

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Geschrieben von

ed2murrow

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