Das Ende der Linkspartei

Abstieg Die Linkspartei steht vor ihrem Zerfall. Der Prozess ist systemisch: innerhalb der Partei werden klassenpolitische Analysen durch emotionalisierte Tweets ersetzt und Kritik von links als "Kreml-Propaganda" diffamiert.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Linkspartei steht vor dem Ende. Schon seit Monat kämpft die Partei um ihre Existenzberechtigung. Doch in den vergangenen Wochen zeichnet sich mehr und mehr ein Weg ab, der unweigerlich das Ende der Partei, wie sie heute besteht, führen muss. Immer mehr mehr oder minder bekannte Persönlichkeiten der Partei kehren ihr den Rücken. Zuletzt Ulrich Schneider, der Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 steht der postulierte Pluralismus der Linkspartei zur Disposition. Der rechte reformistische Flügel hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Staatsdoktrin der BRD und das (außenpolitische) Narrativ der herrschenden Klasse zu übernehmen, was intern immer häufiger zu Auseinandersetzungen führt, die an einzelnen Personen festgemacht wird. Zentral steht dabei die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht. Zuletzt hielt sie am 8. September 2022 eine Rede und prangerte sowohl den innen- als auch außenpolitischen Kurs der Herrschenden an. Sie sprach vom westlichen Wirtschaftskrieg gegen Russland und brandmarkte die „Ampel“-Koalition als die schlechteste Regierung Europas. Freilich gefiel das der Mehrheit des Hauses nicht, doch auch innerhalb der eigenen Fraktion und Partei steht sie unter Beschuss. Das ist nichts Neues, doch es scheint sich eine Entscheidungsschlacht anzukünden, die das Wesen der Linkspartei neu justieren wird.

Die mehrheitliche Kritik an der Rede Wagenknechts richtete sich an ihrer Darlegung des ökonomischen Charakters des Krieges. Dass der Krieg keine monokausale Erklärung erlaubt, sondern Resultat verschiedener objektiver und subjektiver Bedingungen ist, scheint für die Führungselite der Linkspartei ein Geheimnis geworden zu sein. Die Aggression wird einzig auf die Russische Föderation und Putin gemünzt, Kritik an der herrschenden Klasse in der BRD oder NATO wird in die Nähe der „Kreml-Propaganda“ gestellt, wie es jüngst Martina Renner tat. Doch es ist nicht Sahra Wagenknecht und ihre Darlegung politischer Realitäten, die das Ende der Linkspartei einläuten, sondern es ist die systemische Degeneration der Partei, die seit mehreren Jahren zu beobachten ist. Der aktuelle militärische und ökonomische Krieg torpediert die Degeneration nur weiter und legt das Wesen der Reformist*innen frei, was ihre politischen Ambitionen eigentlich sind. Es findet eine politische Entfremdung der eigenen Geschichte und Werte statt, die einerseits durch das Anbiedern an postmoderne Ideen und Ideologie ihren Ausdruck findet und andererseits in dem konsequenten Aufgehen in der bürgerlichen Gesellschaft, ohne jeglichen Anspruch, etwas an den bestehenden Verhältnissen ändern zu wollen.

Martin Schirdewan, Vorsitzender Linkspartei, unterstrich das neulich eindrucksvoll, indem er davon sprach, die Partei in eine „moderne Gerechtigkeitspartei“ umwandeln zu wollen. Von einer sozialistischen Partei möchte man scheinbar nichts mehr wissen, was angesichts der realpolitischen Entwicklung nur konsequent ist. Der pluralistische Charakter erlaubt zwar die Existenz verschiedener Ideologien und Strömungen, konterkariert sie jedoch in der monothematischen Ausrichtung, deren einziges Ziel es ist, sogenannte Verantwortung auf Bundesebene erlangen zu wollen. Dass die Diskrepanz zwischen Parteiprogramm und politischer Realität immer davon zum Vorschein kommt, wenn die Linkspartei Regierungsverantwortung übernimmt, ist dabei nicht als Verrat am Parteiprogramm zu werten, sondern als dessen Anpassung am Degenerationsprozess der Partei. Bereits seit Jahren ist jeder ernsthafte sozialistische Anspruch nur noch formal vorhanden, spielt in der realpolitischen Ausgestaltung jedoch keine Rolle mehr. Ihre Forderungen kommen nie über reformistische Ideale hinaus. Das heißt natürlich nicht, dass sich eine sozialistische Partei sich in der aktuellen Situation nicht für die Besserung der Arbeiter*innenklasse in kurzfristiger Manier durch Reformen einsetzen darf. Allerdings bleibt die Linkspartei dort stehen und stellt die Systemfrage nur noch metaphorisch. Ihr ganzes Streben eines „demokratischen Sozialismus“ bleibt ohne jegliche ideologische Festigung, wenn nicht ausbuchstabiert wird, was darunter zu verstehen ist.

Doch statt sich mit sozialistischen Perspektiven zu beschäftigen, werden intern wie extern die eigenen Genoss*innen attackiert. Materialistische Analysen werden durch emotionalisierte Tweets, kontroverse Diskussion komplexer Sachverhalte durch Gleichsetzung dichotomer Weltbilder und der Kampf für eine klassenlose Gesellschaft durch den Ruf von Parteiausschlüssen ersetzt. Die Partei, deren Wurzeln in der sozialistischen Arbeiter*innenbewegung liegen, ist im Jahr 2022 eine Gruppe ohne jegliches Profil geworden. Sie stimmt ein in den außenpolitischen Chor der herrschenden Klasse, kolportiert so unweigerlich antikommunistische Ressentiments und begnügt sich innenpolitisch mit der Forderung nach ein bisschen mehr Gehalt und Gerechtigkeit. Der linke Flügel (zu dem Wagenknecht entgegen der falschen öffentlichen Meinung nach nicht gehört) ist extrem marginalisiert und hat in der Partei keine Möglichkeit mehr, sich Gehör zu verschaffen. Gelingt es ihm dennoch, ist die emotionalisierte Meute der Regierungssozialist*innen und Bellizist*innen, sprich des rechten Flügels, dargestellt durch die Führungselite, allseits bereit, jeden ernsthaften Versuch einer dringenden Diskussion in die Nähe rechter oder putinfreundlicher Ideologien zu stellen. Die Partei bedient gnadenlos die Methodik der herrschenden Klasse und tut ihr bestes dabei, die Arbeiter*innenklasse weiter zu spalten.

Es ist der fehlende Klassenstandpunkt, der der Partei nun zum Verhängnis wird. Nach der scholz’schen „Zeitenwende“ gibt es nur noch Vaterlandsverteidiger*innen oder Volksfeind*innen. Dass die Führungseliten und die Reformist*innen innerhalb der Linkspartei ein dringendes Interesse daran haben, die Gnade der herrschenden Klasse nicht aufs Spiel zu setzen, sind sie deren Regeln und Ideologie unterworfen. Dinge, die vor wenigen Monaten noch einer linken Partei unwürdig erschienen, gehören heute zum tagespolitischen Repertoire der Partei. Tweets und Äußerungen von Linkspartei-Funktionär*innen, die offen Partei für die Kriegspartei Ukraine ergreifen, sind kein Novum mehr, sondern gehören mittlerweile zum guten Ton. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass auch die Strömung um Sahra Wagenknecht jeglichen klassenpolitischen Standpunkt vermissen. In dieser Gruppierung ist der Degenerationsprozess nur noch nicht so weit fortgeschritten, wenngleich auch hier die Integration der Linkspartei in die bürgerliche Herrschaft nicht infrage gestellt wird. Es ist mehr als eine Tragödie oder Farce, die sich innerhalb der Linkspartei abspielt: in einer Zeit, in der eine konsequent sozialistische Partei mit einem klaren Klassenstandpunkt notwendig ist, ist der Sterbeprozess der Linkspartei ein schmerzhafter, doch auch unausweichlicher, der hoffentlich den Weg bereitet, aus den Trümmern eine Partei aufzubauen, die dem Erben Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs wirklich treu ergeben sind.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden