Liebknecht gedenken und anwenden

Antimilitarismus Am kommenden Wochenende wird an die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts gedacht. Besonders Liebknecht ist in der heutigen militaristischen Zeit aktueller denn je. Es lohnt sich, ihn zu lesen und zu verstehen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Am kommenden Wochenende, dem 14. und 15. Januar 2023, findet das größte Ereignis der deutschsprachigen Linken statt. An diesen Tagen wird einerseits den Kommunist*innen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedacht, als auch von verschiedenen Linken unterschiedlicher Strömungen Veranstaltungen abgehalten. Die Tageszeitung „junge Welt“ organisiert am Samstag die traditionelle Rosa-Luxemburg-Konferenz, die seit 1996 in der Hauptstadt ausgetragen wird. Dem Sonntag darauf findet der lagerübergreifende Demonstrationszug statt, der neben Luxemburg und Liebknecht auch weiteren Sozialist*innen und Kommunist*innen gedenkt und seinen Schluss an der Gedenkstätte der Sozialist*innen findet. Auf dieses Wochenende fällt auch eine Konferenz von Sozialist*innen und Kommunist*innen statt, die mit der Linkspartei und dem Jugendverband Linksjugend Solid brechen und neue Perspektive einer revolutionären Arbeit erarbeiten wollen. Trotz der Tatsache, dass sich am Samstag und Sonntag Linke unterschiedlicher Couleur treffen, die teils diametrale Ansichten vertreten (von Reformist*innen bis Maoist*innen, von Trotzkist*innen bis Anarchist*innen), gibt es kleine gemeinsame Nenner, die sich unter anderem an dem Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht widerspiegelt. Besonders Karl Liebknecht spielt in der aktuellen Epoche des 21. Jahrhundert eine wichtige Rolle und kann Antworten und Lösungsvorschläge geben, wie man mit dem ausufernden Militarismus und aggressiven Imperialismus umgehen muss.

Während Rosa Luxemburg eine breite Rezeption erfährt, scheint die Arbeit und das Wirken von Karl Liebknecht mehr oder minder im Schatten zu stehen. Das hat einerseits den Grund, dass Luxemburg einen größeren theoretischen Einfluss auf die traditionelle Sozialdemokratie und des Marxismus hatte und andererseits, dass Liebknechts agitatorische Wirken nur schemenhaft rezipiert wurde und wird. Dass sich sowohl Reformist*innen als auch Revolutionär*innen auf Liebknecht beziehen, macht es – ähnlich wie bei Luxemburg – notwendig, ihn als Kind seiner Zeit zu verstehen und herauszuarbeiten, wie er es letztlich mit der proletarischen Revolution hielt. Liebknecht, der am 13. August 1871 in Leipzig geboren wurde, war seit 1900 Mitglied der SPD, die ihrerseits noch keine reine reformistische Organisation war. Als Vertreter des linken Flügels positionierte er sich schon früh gegen den aufkommenden Revisionismus, der mit dem Marxismus brechen und einen evolutionären Weg zum Sozialismus einschlagen wollte. Während sich Luxemburg bereits um die Jahrhundertwende mit dem Reformismus von Eduard Bernstein beschäftigte, brachte Liebknecht sein erstes und wichtiges Werk 1907 heraus. „Militarismus und Antimilitarismus“ war ein Plädoyer gegen den aufkeimenden Bellizismus innerhalb der herrschenden Klasse, doch auch innerhalb der deutschen Sozialdemokratie, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg immer deutlicher wurde. In dieser Hinsicht war Liebknecht voll und ganz Marxist, der nicht nur eine einfache Ablehnung des Krieges formulierte, sondern eine historische Abhandlung vorlegte und den Klassencharakter innerhalb einer militärischen Auseinandersetzung betonte. Soldat*innen, die Teil der Arbeiter*innenklasse sind, bekämpfen und ermorden einander, um das Interesse der jeweiligen herrschenden Klasse zu verteidigen. So bezeichnete der die Armee als „Werkzeug gegen das Proletariat“ und definierte den Antimilitarismus nicht als Kampf gegen „etwas Selbständiges“ (diesen Vorwurf machte er den Anarchist*innen), sondern als Teil des Kampfes gegen die herrschende Klasse und ihr Gesellschafts- und Wirtschaftssystem.

In diesem Sinne bliebt sich Liebknecht bis zu seiner Ermordung durch faschistische Freikorps treu. Als die Sozialdemokrat*innen am 4. August 1914 die Kriegskredite abnickten, stimmte Liebknecht „zähneknirschend“ aufgrund der Fraktionsdisziplin zu; doch bereits vier Monate später protestierte er gegen diese Politik. Am 2. Dezember 1914 lehnte er die Kriegskredite mit Hinweis auf den kapitalistischen und imperialistischen Charakter des Krieges ab. Bereits hier wird seine berühmte Losung deutlich, dass der Hauptfeind im eigenen Lande stehe. Wie dem Protokoll zu entnehmen ist, betonte er, dass „die Befreiung des russischen wie des deutschen Volkes … deren eigenes Werk“ sein müsse. Nur wenige Monate später erschien dann im Mai 1915 das Flugblatt „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“, in dem die deutsche Arbeiter*innenklasse aufgerufen wird, die herrschende Klasse zu bekämpfen. Das sollte jedoch nicht national beschränkt bleiben, sondern sich in Einheit mit der Arbeiter*innenklasse anderer Nationen entfalten, welche ihre eigene herrschende Klasse bekämpft. Das bliebt für Liebknecht freilich nicht folgenlos: da er 1916 auch die sogenannte „Burgfriedenspolitik“ ablehnte, wurde er zuerst aus der SPD geschmissen und dann zu vier Jahren Haft verurteilt, die er zwei Jahre, bis 1918 absaß.

Während der Kerkerhaft versuchte sich Liebknecht an einer Weiterentwicklung der marxistischen Ökonomie, welche jedoch aufgrund seiner Ermordung nur schemenhaft blieb und teils eine deutliche Abkehr vom Marxismus darstellte. Da sich Liebknecht in der ökonomischen Frage vom Materialismus entfernte und einen quasi idealistischen Weg einschlug, wird ihm vor allem von bürgerlichen Historiker*innen oft der Vorwurf gemacht, er sei dadurch nicht als Marxist zu bezeichnen. Diese Arbeit, die Liebknecht nicht mehr gründlich ausbuchstabieren, sondern posthum 1922 veröffentlicht wurde, zeigt eine Ambivalenz mit einem Teilaspekt des Marxismus; dennoch war er deshalb noch kein Gegner des Marxismus, sondern aufgrund seiner antimilitaristischen Propaganda und Agitation sowie seinem Kampf während der Novemberrevolution 1918 für die Kommunist*innen Deutschlands und weltweit eine herausragende Figur. So rief er am 9. November 1918 nicht nur die Räterepublik aus (welche aufgrund des Terrors der Freikorps und dem Verrat der SPD an der Revolution schnell abgewickelt wurde), sondern betonte in einem Beitrag der „Roten Fahne“, der am Tag seiner Ermordung, am 15. Januar 1919 erschien, seine Zuversicht in die Arbeiter*innenklasse und sah den Sozialismus als auch die Weltrevolution als notwendigen Schritt, die Menschheit von der Barbarei zu befreien.

Für die heutige Zeit ist Karl Liebknecht aktueller denn je. Während erneut Sozialdemokrat*innen, ganz gleich, ob sie von der SPD oder der Linkspartei kommen, dem Militarismus den Weg ebnen und den Klassencharakter des Krieges negieren, werden wie 1914-1916 Kriegsgegner*innen bekämpft und als Verräter*innen des „Vaterlandes“ betitelt. Heute heißt das „Putins fünfte Kolonne“; dabei ist es irrelevant, wenn man sich als Kriegsgegner*in und Antimilitarist*innen sowohl gegen den westlichen Imperialismus als auch gegen den russischen Militarismus positioniert. In einer Welt, in der die politische Dichotomie ausschlaggebend ist, bleibt Liebknechts Losung, den Feind im eigenen Land zu bekämpfen, wichtiger denn je. Besonders die Linkspartei, sie sich positiv auf Liebknecht bezieht und ihre Bundesgeschäftsstelle im Karl-Liebknecht-Haus hat, wiederholt denselben Fehler wie die deutsche Sozialdemokratie 1914. Liebknecht wird hierbei nur historisch bewertet, ohne seine heutige Relevanz zu beachten. Wäre Karl Liebknecht heute ein Abgeordneter der Linkspartei im Deutschen Bundestag, er würde vom rechten Flügel gnadenlos bekämpft und als „Putin-Versteher“ gebrandmarkt worden. Man hätte ihm Unterstützung des „russischen Faschismus“ vorgehalten und einen Befürworter eines Genozids an den Ukrainer*innen genannt. Die Linkspartei hat kein moralisches Recht (mehr), sich auf Karl Liebknecht zu beziehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden