Keine Erneuerung in Sicht

Debatte Die Parteispitze der Linkspartei verabschiedete am Samstag eine Erklärung, die als weitere Abkehr vom sozialistischen Profil zu verstehen ist: reformistisch und klassenversöhnlerisch.

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Die Parteispitzen der Linkspartei verabschiedeten am 10. Dezember 2022 die sogenannte „Leipziger Erklärung“. In der nicht-öffentlichen Tagung wurde primär darüber sinniert, wie es gelingen kann, den Niedergang der Partei zu verhindern, um den selbstgesetzten Anspruch einer „pluralistischen Partei“ weiterhin gerecht zu werden. Nach wie vor bekennen sie sich zur Präambel von 2007, wonach sich „demokratische Sozialist*innen“ zu jener Linkspartei vereinen und alle willkommen seien, die „gleiche Ziele mit demokratischen Mitteln“ erreichen wollen. Die Transformation von einer kommunistischen Kaderpartei aus der Deutschen Demokratischen Republik hin zu einer reformistischen Mitgliedspartei war damit vollendet. Nichtsdestoweniger ist und war die Linkspartei weiterhin Anhaltspunkt für verschiedene Strömungen, zu der auch Revolutionär*innen und Kommunist*innen gehörten, die für sich den pluralistischen Charakter in Anspruch nahmen, politischen Einfluss auf die Linie zu bekommen. Der theoretische Pluralismus wird zwar weiterhin hochgehalten, doch in der parteipolitischen Praxis ist schon längst etabliert, dass man das kapitalistische Gesellschaftssystem nicht, um mit Marx zu sprechen, „aus den Angeln heben“ möchte, sondern eine soziale Verwaltung anpeilt. Angesichts der aktuellen imperialistischen Episode des Kapitalismus, die den Graben innerhalb der Partei immer größer werden lässt, wurde nun also diese „Erklärung“ verabschiedet.

Wenngleich man sich dort ausdrücklich zur Einheit und dem Pluralismus der Partei bekennt, durchzieht den Text eine politische Abgrenzung zu Stimmen, die den neoreformistischen Ansatz der Partei ablehnen. Innenpolitisch und sozial wird der Fokus auf eine Vermögensumverteilung gelegt sowie etwas überambitioniert betont, dass es gerade der Druck ihrer Partei gewesen sei, die beispielsweise Zugeständnisse an die Gasumlage und andere vermeintliche Entlastungen der vergangenen Monate für die Mehrheit der Bevölkerung machte. Positiv anzumerken ist indes, dass man einer Enteignung von Schlüsselindustrien nicht abgeneigt ist; allerdings wird eine stringente Klassenposition verneint. Vielmehr wird von einer „demokratischen Kontrolle“ fabuliert, die neben den „Beschäftigten“ auch den sogenannten „Mittelstand“ miteinbezieht. Die Vermengung der Arbeiter*innenklasse mit Teilen des Kleinbürger*innentums ist eine gewohnte Taktik der Linkspartei, um auch für Menschen ansprechbar zu sein, die traditionell wenig bis nichts mit sozialistischen Idealen zu tun haben. Hier liegt auch die Crux des ganzen Unterfangens: Die Selbstbezeichnung einer „pluralistischen sozialistischen Partei“ verkommt angesichts ihrer realpolitischen Ausgestaltung zur Farce, und macht aus der Partei eine neoreformistische Organisation, die ihren klassenpolitischen Standpunkt immer mehr ins Kleinbürger*innentum verlagert. Rechte der Arbeiter*innenklasse verkommen zu teils inhaltsleeren Phrasen wie „Mitbestimmung“ und „Teilhabe“, ohne analytisch zu diskutieren, wie diese in einer bürgerlichen Gesellschaft aussehen.

Es wird zwar immer wieder auf Arbeitskämpfe verwiesen, denen sich die Linkspartei verbunden fühlt, wonach das langfristige Ziel jedoch für mittelfristige Teilerfolge abgelehnt wird. In der „Erklärung“ kommt man nicht über Vermögensverteilung hinaus. Anstatt den Kapitalismus an der Wurzel zu kritisieren und hiernach den Antagonismus zwischen Kapital und Arbeitskraft herauszuarbeiten, wird eine faktische Klassenversöhnung vorangetrieben, die man durch eben jene Umverteilung erreichen möchte. Das reicht für eine sozialistische Partei nicht aus, doch die eigentliche finale Abkehr der eigenen Tradition findet sich im außenpolitischen Teil respektive der Abhandlung über den Ukrainekrieg. Es wird die monokausale Interpretation der herrschenden Klasse wiederholt, wonach Russland als einziger Aggressor bezeichnet wird, wenngleich man nicht umhinkommt, auch den „Stellvertreterkrieg“ sowie die Kriege des NATO-Staats Türkei zu kritisieren. Es wird zwar ein diplomatischer Weg gefordert, der sich sowohl gegen Russland als auch die Volksrepublik China richtet; es darf dabei jedoch nicht unterschlagen werden, dass jegliche Kritik am Kriegsbündnis NATO fehlt und die Rolle des Westens auf eine Reaktion auf Russland zurückgestutzt wird.

Die „Erklärung“ bedient zwar ein kämpferisches Vokabular, was man als Linksverschiebung des Status Quo verstehen könnte, allerdings versteckt sich dahinter viel mehr eine weitere Verankerung der Linie der Regierungssozialist*innen, die viel mehr Zugeständnisse an den rechten Flügel macht als an den linken. Verweise auf das Gründungsdokument verkommen dabei zu blanken Hohn, wenn der pluralistische Charakter gerade für die eng wird, die sich gegen die Linie der Parteispitze stellen. Ob diese „Erklärung“ parteiinterne Konflikte beerdigt, darf bezweifelt werden, besonders in Hinblick auf den außenpolitischen Kurs sowie die Fehleinschätzung der eigenen Relevanz in den sozialen Protesten gegen die herrschende Klasse. Das kommende Jahr wird für die Partei richtungsweisend sein und die „Erklärung“ auf den Prüfstand stellen, wie ernst es mit den ambitionierten reformistischen Forderungen ist, wenn sie sich dafür entscheidet, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Ob sie dadurch die Ärmsten der Gesellschaft und die Arbeiter*innenklasse erreichen wird, darf stark bezweifelt werden. Ihre vermeintliche Opposition zum Neoliberalismus resultiert in eine Anpassung des herrschenden Systems, in dem es nicht mehr gilt, jenes zu überwinden, sondern von den eigenen Fehlern mehr oder minder zu befreien. Die Linkspartei will soziale Verwalterin des bürgerlichen Staates sein und tritt nicht für deren Überwindung ein. Das hat mit einer sozialistischen Partei nichts gemein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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