Der zionistische Imperativ

Israel-Palästina 70 Jahre nach der Gründung des Staats Israel bleibt der Ort stellvertretender Schauplatz diametraler Interessenskonflikte. Doch der Zionismus bietet keine Sicherheit.

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Die Frage im Mittleren Osten ist eines der sehr wenigen Themen, was die politische Linke in etliche Zirkel wirft, sich "Antideutsche" und "Antiimperialisten" gegenüberstehen. Die einen, die die unabdingbare Solidarität mit Israel fordern, die anderen, die auf das Selbstbestimmungsrecht Palästinas pocht. Da wird mit Worten wie "Antisemitismus!" und "Islamophobie!" um sich geworfen, ohne sie genau zu benennen. Hernach ist eine Festlegung stets mit negativen Momenten behaftet, und doch läßt der Konflikt in den allermeisten Fällen eine stringente, marxistische Analyse vermissen. Ich will versuchen, den Standpunkt zu erläutern, den wir revolutionäre Marxist*innen vertreten, mit dem Hinweis, daß es sowohl für die "antiimperialistische" Front als auch für die "antideutsche" Front unschöne Argumente geben wird. Es ist äußert schwierig, auf wenig Raum dieses Thema zu behandeln, daher möchte ich mich auf den Punkt konzentrieren, der sich mit der Lösung befassen wird: wie ist dieser Konflikt zu begegnen? Ich schrieb vor zwei Jahren für den "Freitag" bereits einen Artikel, der sich dahingehend befaßt, daß einzig eine Zwei-Staaten-Lösung die Lösung sein kann, mit dem Hinweis, daß sowohl Kritik an Israel als auch Kritik an Palästina essentiell sei, so Antizionismus nichts gemein hat mit Antisemitismus, ohne das direkt beim Wort zu nennen. Um es direkt anzusprechen: der Zionismus bietet weder jüdischen noch der palästinensischen Bevölkerung eine Antwort auf die Frage, wie zu verfahren ist. Sowohl der arabische Nationalismus so der Zionismus sind kein Garant für eine sozial gerechtere Welt, sondern deren Hindernis.

Der individuelle Terrorismus seitens Palästinas und der Staatsterrorismus seitens Israel sind mittelbare Erben der "Propaganda der Tat". Obgleich in ihrer Dimension unterschiedlich, sind sie in der Funktion identisch. Der palästinensische Jugendliche, der israelische Streitkräfte angreift, handel dabei genauso reaktionär wie das israelische Militär, daß die palästinensische Jugend niederschießt. Dabei sticht die Frage der Gewalt wieder hervor. Ist sie gerechtfertigt und wann legitimiert sie sich selbst? Sowohl der palästinensische Terror als auch der staatsisraelische handeln dahingehend konterrevolutionär, weil sie die beiderseite Wut instrumentalisiert und in völlig falsche Kanäle lenkt. Durch die nationalistische Vergeltungsschläge wird der Klassenkampf systematisch untergraben, derweil sowohl Likud als auch Hamas die Arbeiter*innenklasse in ein Selbstmordkommando schickt. Das israelische als auch das palästinensische Proletariat ist in allen belangen in einer Position, nur verlieren zu können. Die Profiteure des Konflikts sind nicht die Bäuer*innen und Arbeiter*innen, sondern die herrschenden Klassen mit ihren Minister*innen und den jeweiligen Großmächten, die imperialistische Bestrebungen wittern. Wer davon redet, die Hamas sei demokratisch legitimiert, verkennt die dialektische Notwendigkeit dahinter, weshalb eine demokratisch legitimierte Regierung mitnichten eine gute sein muß. So die israelische Arbeiter*innenschaft unter der israelischen herrschenden Klasse leidet, so leidet die palästinensische Arbeiter*innenschaft gleichermaßen von der israelischen als auch der palästinensischen herrschenden Klasse.

Dieser Konflik kann nicht aufgelöst werden, in dem das eine Proletariat gegen das andere gehetzt wird. Es muß eine internationale Klassenposition erkämpft werden, in der das israelische und das palästinensische Proletariat in Hand mit den armen Schichten der Bevölkerng sowohl gegen die israelische Regierung als auch die palästinensische Regierung agitiert und Stellunt bezieht. Die Frage "Israel oder Palästina?" muß ersetzt werden durch "Kapitalismus oder Sozialismus?" Würde Palästina tatsächlich in den Grenzen von 1967 errichtet werden, wäre dieser Staat genauso so reaktionär, nationalistisch und prokapitalistisch, da hinter diesen Ideen und Vorstellungen islamistische Kräfte und reiche Ölmonarchien stecken, die binnen Tage nach Ausrufung eines palästinensischen Staates einen Krieg gegen das Proletariat führen würde. Das Proletariat aller Länder ist stets in der Position der unterdrückende Klasse. Es kann ihre Unterdrückung nur dahingehen überwinden, wenn es den kapitalistischen Staat überwindet resp. erstürmt, um die Produktionsmittel zu beschlagnahmen und die herrschende Klasse absetzt. Doch weder die antideutsche noch die antiimperialistische, deutsche Linke ergreift Partei für das wirklich leidende Elend des Konflikts. Doch wer die Vernichtung Israels propagiert, einzig dem Grund geschuldelt, weil der Staat imperialistisch agiert, doch bei anderen imperialistischen Staaten in Schweigen versinkt, ist nichts anders zu beurteilen als antisemitisch. Wer auf eine US-amerikanische Intervention hoft und "westliches Demokratieverständnis" propagiert, ist ebenfalls kein*e Freund*in des Sozialismus und der Idee der Gleichheit der Menschen.

Der Kapitalismus wird die Frage Israel-Palästina nicht lösen können. Und doch steht den Palästinenser*innen, wie jedem anderen Volk auf, das Recht auf einen eigenen Staat zu, wie den Kurd*innen, Katalan*innen und vielen anderen auch. Diese Frage darf jedoch nicht als Endziel formuliert werden, sondern muß stringend als Ausgangspunkt weiterer, revolutionärer Erhebungen definiert werden. Der Antisemitismus wird in der Gesellschaft nicht ausgerottet, nur weil es einen israelischen Staat gibt. Die Ausrottung des Antisemitismus, des schädlichen Gifts jeder Reaktion, kann nur gelingen, wenn die Ungleichheit selbst überwunden wird. Der Zionismus wird den Jüd*innen keinen Hort der Sicherheit geben, so wie der Islamismus den Arabern keine Sicherheit geben kann. Die Befreiung der Menschheit von den Ketten kann nur von ihnen selbst erfolgen. Die Befreiung der unterdrückten Klasse führt unweigerlich zur Überwindung Israels, Palästina und jeden anderen Staat der Welt auch. Für Marxist*innen ist es unabdingbar, den Kampf gegen den Antisemitismus mit der Überwindung des Kapitalismus zu begründen und zu führen. Und wer nun weiterhin meint, mich dahingehend als Antisemitin zu schimpfen oder nun auch als Islamophobin, dem sage ich nur: ja, der Islam hat in mir eine starke Feindin, doch wer Kritik an Israel resp. dem Zionismus jedweden Boden entreißt, selbst wenn es dialektisch und materialistisch begründet ist, dem halte ich vor: ihr habt gar keine Ahnung, was Antisemitismus überhaupt ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak