Deutscher oder Terrorist

Forderung Deutschen Terrorist*innen die Staatsangehörigkeit zu entziehen, wenn sie im Ausland kämpften, ist eine extrem gefährliche Forderung. Sie greift dabei die Menschenwürde an

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Horst Seehofers Forderung sorgt in Deutschland gerade für eine große Debatte
Horst Seehofers Forderung sorgt in Deutschland gerade für eine große Debatte

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Die Rufe nach einer „Reform“ des Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) werden in der Koalitionsregierung lauter. Nach Horst Seehofer (CSU) unterstreicht nun auch Justizministerin Katarina Barley (SPD) die Forderung, besonders Terrorist*innen die Staatsangehörigkeit zu entziehen, wenn sie „im Ausland kämpfen“. Uneinig sind sie sich jedoch in dem besonderen Willen Seehofers, den Ermessensspielraum bei Kindern unter fünf Jahren, deren Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit illegal, beispielsweise durch „arglistige Täuschung“, bekamen, aufzuheben. Beide Forderungen stehen sowohl dem Grundgesetz als auch den UN-Kinderrechtskonventionen diametral entgegen, was auch Barley einräumt. Das Vorhaben in Bezug auf deutsche Terrorist*innen im Ausland würde darüber hinaus die aktuelle Situation nicht beheben, denn rückwirkend hätte eine etwaige Neuerung keinen Effekt. Das Presse- und Informationsamt der Deutschen Bundesregierung erinnert auf ihrer Website, dass die „deutsche Staatsangehörigkeit... grundsätzlich auf Dauer“ gelte. Die Regeln für einen Verlust resp. deren Aberkennung sind demnach sehr streng gesetzt, die den Zwang verneinen. Selbst der freiwillige Verzicht ist an hohe Hürden gebunden, der grundsätzlich nur dann erfolgen kann, wenn die betreffende Person nicht staatenlos wird.

Als die kurdischen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) die letzten Bastionen des Daesh („Islamischer Staat“) eroberten und die Terrorist*innen sowie deren Angehörigen einkesselten und unter Kontrolle setzten, stand auch die BRD vor der Frage, wie mit deutschen Daesh-Terrorist*innen umzugehen hat. Die SDF riefen die jeweiligen Staaten dazu auf, ihre Bürger*innen zurückzunehmen, um sie vor Ort zu bestrafen. Der Bundesregierung scheint das keine zufriedenstellende Option zu sein, wonach sie laut darüber nachdachten, die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Wie Timot Szent-Ivany für die Kieler Nachrichten richtig kommentiert, handelt es sich vor allem um eine Leugnung der Verantwortung und ein Bruch mit dem Völkerrecht, denn die meisten der deutschen Terrorist*innen radikalisierten sich „während sie in Deutschland lebten, während sie hier zur Schule gingen oder zur Arbeit“. Damit pervertieren sie die Intention der damals nach dem Hitlerfaschismus propagierte Losung der faktischen „Ewigkeit“ der Staatsbürgerschaft. Während es unter den Faschist*innen zu einem Kontrollinstrument wurde, jüdische Deutsche, Kommunist*innen und weitere Opfer des Faschismus die Staatsangehörigkeit zu entziehen (darunter Albert Einstein und Thomas Mann), soll es in den Augen von Sozialdemokrat*innen - gleichermaßen Opfer des Faschismus - zu einem Strafinstrument werden. Dabei wirken die Grenzen absolut fließend und wird sich unweigerlich zu einem autarken Propagandamittel entwickeln.

Wer diese Frage in den Raum stellt, muss unweigerlich die Konsequenzen betrachten. Die Forderung des Entzugs ist an die Interpretation gekoppelt, was Terrorismus ist und in welcher Ausprägung das Gesetz Anwendung finden sollte. Die absolute Definition ist dabei uneinheitlich und wird auch von der Wissenschaft anhand ergänzender und antagonistischer Faktoren abstrahiert. Terrorist*innen die Staatsbürgerschaft zu entziehen steht demnach vor der unlösbaren Aufgabe, den Terrorismus empirisch zu definieren. Der brutale Krieg in Syrien zeigt den widersprüchlichen Charakter eindeutig, bei der sowohl geostrategische Interessen als auch politische Faktoren eine Einengung erschweren. Terrorismus ist in der Regel eine Fremdzuschreibung, was genau die Gefahr hinter der Forderung der Bundesregierung offenlegt. Sie spielt damit der Alternativen für Deutschland (AfD) in die Hände, die schon länger Migrant*innen, die straffällig geworden sind, die Staatsbürgerschaft entziehen wollen. Die Aufweichung der „Ewigkeit“ höhlt dabei den demokratischen Minimalkonsens aus, der sich in der Würde des Menschen äußert, die alle betrifft, ausnahmslos. Auch Terrorist*innen fallen unter den Artikel und müssen dementsprechend behandelt werden. Eine „Reform“ des StAG würde dahingehend dieses Grundrecht antasten, bei der sich die BRD in die Position hieven würde, die Gleichheit vor dem Recht an Bedingungen zu knüpfen

Dem staatlichen Gewaltmonopol würde ein gefährlicher Ermessensspielraum gegeben werden, der unter bestimmten Bedingungen den Begriff des Terrorismus je nach Interessenslage auslegt. Gerade mit Hinblick auf einen generellen Rechtsruck in Europa und der Gefahr von Regierungsbeteiligung der AfD, kann das Machtinstrument im Zusammenhang mit der Militarisierung der Polizei verhängnisvoll werden. Die Gefahr muss in Betracht gezogen werden, dass eine Aushöhlung des StAG langfristig auch straffällige Migrant*innen betrifft, oder Menschen, die sich gegen das Unrecht stellen werden. Die deutsche Geschichte ist ein erschütterndes Beispiel, welche Macht und Ohnmacht sich hinter einer Staatsbürgerschaft verbirgt. Selbst nach Ende des Zweiten Weltkriegs dauerte es Jahrzehnte, bis die BRD es auch juristisch verstand, die Funktion der „Ewigkeit“ der Staatsbürgerschaft zu verstehen. Zwar wurden Jüd*innen, die in Nazideutschland entrechtet worden, die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft in Aussicht gestellt, doch auch das wurde durch bürokratische und teils patriarchale Hürden erschwert. Die Heterogenität einer Gesellschaft darf die Staatsangehörigkeit nicht an Bedingungen knüpfen, die nicht bereits geklärt sind und besonders darf deren Entzug nur auf freiwilliger, eng gefassten Hürden erfolgen.

Katarina Barleys und Horst Seehofers Forderungen sind extrem gefährlich. Trotz Eingeständnis, dass eine etwaige „Reform“ die derzeitigen Daesh-Terrorist*innen nicht betrifft, halten sie daran fest und bekräftigen es als „Selbstverständlichkeit“. Dass gerade die SPD davor einknickt ist gemessen an der eigenen historischen Verantwortung unerklärlich. Wenn heute Terrorist*innen die Staatsbürgerschaft entzogen wird, sind es morgen Nichtdeutsche, die aufbegehren und übermorgen der legitime Widerstand dagegen. Die Unantastbarkeit der Würde ist gekoppelt an die „Ewigkeit“ der Staatsbürgerschaft, denn in der derzeitigen Form ist sie unabdingbar für die gesellschaftliche Teilhabe und somit auch Politisierung. Die BRD muss die Daesh-Terrorist*innen deutscher Staatsangehörigkeit einreisen lassen, um dort ein juristisches Verfahren einzuleiten. Der Terrorismus macht vor keiner Grenze halt und eine Leugnung der Staatsbürger*innen macht sie nicht unsichtbar. Die Wurzeln der radikalisierten Terrorist*innen liegen auch in ihren Heimatländern. Diese Verantwortung zu negieren und sie hinter Gesetzesänderungen zu verschicken, ist gleich doppelt fahrlässig. Adolf Hitler und die Faschist*innen entzogen durch den Staatsterror den Bürger*innen die Staatsangehörigkeit, wenn sie dem Regime unbequem wurden oder aus rassistischen Gründen. Die BRD will in dichotomer Absicht den Terror abstreifen und die Betreffenden bestrafen. Damit steht sie zwar nicht in der Tradition des Faschismus, doch der Grundgedanke, der von den Alliierten im Grundgesetz verankert wurde, wird dadurch pervertiert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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