Die Mär von Weimar

Geschichte Weimar war in ihrer kurzen Periode stets eine deformierte Demokratie, die nicht anders konnte, als in den Faschismus zu führen. Eine historische Analyse.

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Vor 100 Jahren am 6. Februar 1919 tagte die Nationalversammlung der jungen Weimarer Republik zum ersten Mal. 12 Tage später wurde die Trikolore (Schwarz-Rot-Gold) zur Nationalfahne erklärt, die den ersten demokratischen Versuch Deutschlands und die BRD steht. Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), betonte in seiner Rede vom 6. Februar 2019 die Kontinuität Weimars zur heutigen Bundesrepublik, preist die Periode 1919-1933 als „Aufbruch zur Demokratie“ und kolportiert das herrschende Narrativ, die Republik ging einzig an den linken und rechten Feind*innen zugrunde. Die sieht Steinmeier in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Der Aufarbeitung in der DDR erteilt er dabei ebenso eine Absage, die sich seiner Meinung nach auf einen kausalen Zusammenhang zwischen „bürgerlicher Klassenherrschaft“ und Faschismus bezöge. Er würdigte „gemäßigte Kräfte der Arbeiter*innenbewegung und das aufgeschlossene Bürgertum“ zum „Klassenkompromiss“ und schlussfolgert, dass dadurch die „erste deutsche Demokratie“ erschaffen wurde. Auch in Geschichts- und Schulbüchern findet eine kritische Herangehensweise der Weimarer Periode kaum bis keinen Widerhall, solch Stimmen werden in eine „extremistische“ Ecke verbannt, um die bürgerliche Totalitarismus-Theorie aufrechtzuerhalten. Dass Kommunist*innen und Faschist*innen beide republikfeindlich und hiernach Kampfgenoss*innen im selben Geist waren, ist bereits tief ins historische Gewissen der Deutschen eingebrannt. Die realen Kräfteverhältnisse, gesellschaftlichen Widersprüche und Substanz hinter der „ersten deutschen Demokratie“ zeugen jedoch von einem etwas anderem Bild.

Der Weimarer Republik vorausgegangen war ein brutaler Weltkrieg, der die imperialistischen Bestrebungen des Deutschen Reiches zumindest für eine bestimmte Zeit zum Erliegen brachte. Der Rechtsruck der damals revolutionären Sozialdemokratie zu Beginn des Weltkriegs führte zur Spaltung der internationalen Arbeiter*innenbewegung, die in Russland am 7. November 1917 mit der Oktoberrevolution durch die Bolschewiki eine international relevante Wendung vollzog. Die sowjetischen Kommunist*innen bauten auf die deutschen Kommunist*innen, die mittels der Novemberrevolution 1918 im erschöpften Deutschen Reich eine sozialistische Revolution ins Rollen bringen sollten. Doch dieser Versuch wurde von den rechten Sozialdemokrat*innen unter Friedrich Ebert und Gustav Noske blutig niedergeschlagen, was die bürgerlichen, völkischen und konservativen Kräfte dazu zwang, keinen „Klassenkompromiss“ zu schließen, sondern einen nationalistischen „Burgfrieden“. Denn der Klassengegensatz wurde in der SPD in der Weimarer Republik vollends negiert. Noch vor Einsetzung der Nationalversammlung fand demnach am 19. Januar 1919 die erste Reichstagswahl nach Ausrufung der jungen Republik statt. Die SPD führte mit 37,9% knapp 20 Prozentpunkte vor der konfessionellen, rechtskonservativen Zentrumspartei und der kleinbürgerlichen Deutschen Demokratischen Partei (DDP), welche 19,7% bzw. 18,5% auf sich vereinnahmten. Diese Parteien begründeten die Weimarer Koalition und Reichspräsident Ebert ernannte Philipp Scheidemann, ein weiterer Feind der Revolution, zum Reichskanzler.

Die völkischen Kräfte konnten sich nach dem Weltkrieg nur langsam verankern. Die größte parteipolitische Organisation war die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die auf 10,3% kam und ein Sammelbecken für präfaschistische Ideen war. Völkischer Nationalismus, Antisemitismus und Monarchismus einte die radikale Rechte zu dieser Zeit. Die erst am 1. Januar 1919 gegründete KPD trat nicht zur Wahl an und die Marxist*innen in der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) kamen lediglich auf 7,6%. Das Fundament Weimars manifestierte sich in einem bürgerlichen Block, der jedoch einzigartig in dieser Konstellation war und lediglich knapp ein Jahr am Leben blieb. Der sogenannte Kapp-Putsch führte 1920 zu einem widersprüchlichen Wechsel und offenbarte die problematische Konstante eines bürgerlichen Blocks. Zur Wahl am 6. Juni 1920 verloren die regierenden Sozialdemokrat*innen 16,0% der Stimmen, die größtenteils zur USPD wanderten (ein Plus von 10,0%), welche sich jedoch bereits selbst in einer existentiellen Krise befand. In dieser Zeit gründete sich auch die kleine Deutsche Arbeiterpartei (DAP), in die der spätere Diktator Adolf Hitler eintreten soll. Die konzentrierten Kräfte des rechtsradikalen Wesens behaupteten sich jedoch weiterhin in der DNVP und der Deutschen Volkspartei (DVP), die zusammen einen Gewinn von 14,2% erzielen konnten. Dieser Rechtsschwenk ist auch in der neuen Regierungsbildung zu spüren, bei der die monarchistische und wirtschaftsfreundliche DVP mit dem Zentrum und der DDP (welche indes ein Verlust von 10,2% hinnehmen musste) ein Minderheitenkabinett bildete.

Der neue Reichskanzler Constantin Fehrenbach vom Zentrum war anfänglich ein - wie es Steinmeier so sagt, doch in diesem Fall nicht meint - „Republikfeind“, auch wenn er sich im Laufe seiner Amtszeit mit der Realität abfand. Trotz des immensen Verlust der SPD war sie dennoch in dieser Regierung verankert, um eine gewisse Stabilität zu wahren, die jedoch nicht immer gewährleistet werden konnte. In dieser Periode fiel auch der sogenannte „Deutsche Oktober“, der im Herbst 1923 die sozialistische Revolution in Deutschland fortsetzen sollte. Allerdings waren die notwendigen Kräfteverhältnisse nicht gegeben und der programmatische und organisatorische Wandel in der Kommunistischen Internationale konnte trotz des Enthusiasmus vereinzelter deutscher und sowjetischer Kommunist*innen den Versuch nur als gescheitert ansehen. Dieser Punkt zementierte den bürgerlichen Block und die temporäre Schwäche der radikalen Linken, die die USPD folglich völlig in die Bedeutungslosigkeit katapultierte. Bei der nächsten Wahl am 4. Mai 1924 konnte hiernach die KPD ihr Ergebnis verfünffachen und kam auf 12,6%, die SPD konnte aus dem Zusammenbruch der Unabhängigen allerdings kein Kapital schlagen. Dies war auch der erste Auftritt eines Zusammenschlusses faschistischer Kräfte unter dem Namen Nationalsozialistische Freiheitspartei (NSFP). In ihr vereinten sich faschistische und deutschvölkische Parteien, darunter auch die NSDAP. Sie kamen auf 6,6%, konnten sich jedoch nicht konsolidieren, da es intern zu heftigen Flügelkämpfen kam. Es sollte noch sechs Jahre dauern, bis die Faschist*innen zentral die Macht ansteuern.

Diese notgedrungene Neuwahl und hernach Neubildung der Regierung unter Wilhelm Marx (Zentrum) konnte jedoch nicht lange halten, was sie bereits am 7. Dezember 1924 zu Neuwahlen zwang. Diese Periode bis 1928 war geprägt durch drei Kabinettsumbildungen und eine weitere Stärkung des völkischen Lagers, wovon erneut die DNVP profitierte, die mittlerweile auf 19,5% kam. Die Flügelkämpfe in der faschistischen Listenvereinigung führte zum Zusammenbruch der Arbeit und folglich auch deren faktischen Auflösung. Ein weiterer Umbruch in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre war ein konkreter gesellschaftlicher Rechtsschwenk, da nach dem Tod Friedrich Eberts mit Paul von Hindenburg ein Monarchist und Militarist an die Macht kam, der ausschlaggebend für das Scheitern der „ersten deutschen Demokratie“ sein wird. 1924 konnte die SPD ihren Stimmenanteil auf knapp 26,0% verbessern, was größtenteils auf Kosten der Kommunist*innen ging, die ebenso bedingt durch den Stalinismus in Streitigkeiten und Kämpfe gelangte. Bis 1928 versuchte der parteilose Hans Luther mithilfe der völkischen Nationalist*innen der DNVP, dem Zentrum, der DDP und der Bayerischen Volkspartei eine Regierung zu bilden, die aufgrund der teils diametralen Ausrichtungen nur scheitern konnte. An diesem Punkt wird das Bild einer liberalen Demokratie bereits mehr als konterkariert, denn lediglich fünf Jahre nach Ausrufung der Republik konnten sich bereits Rechtsradikale in der Regierung finden. Zwar wurden die Rechtsradikalen der DNVP Dezember 1926 bereits wieder entlassen, doch wird ersichtlich, dass das Bürgertum, wenn es in Not und politische Bedrängnis kommt, mit dem rechtsradikalen Flügel Zweckbündnisse eingeht. Diese Realität ist auch in der heutigen Parteienlandschaft nachzuzeichnen.

Wilhelm Marx übernahm nach der krisenhaften Phase erneut die Regierung und führte für wenige Monate einen immer weiter nach rechts agierenden, bürgerlichen Block. Die Wahlen am 20. Mai 1928 werden dann auch den radikalen Wandel markieren, der die Widersprüchlichkeit der jungen Republik offenbart. Zwar konnten SPD und KPD einen minimalen Stimmengewinn für sich verbuchen, doch Hauptnutznießer war, trotz einer marginalen Summe, die aufstrebende NSDAP mit 2,6%. Die Phase 1928 bis 1933 wird von der Geschichtsschreibung dann auch als maßgeblich für das Scheitern der Weimarer Republik bezeichnet, entbehrt jedoch dem materialistischen Verlauf der Geschehnisse. Eine absolute Mehrheit konnten die Faschist*innen nie erreichen, dennoch führte gerade das gefeierte demokratische Projekt das Instrument zur jenen Zerschlagung. Doch was wurde genau zerschlagen? Die Demokratisierung der Gesellschaft ist nicht abgeschlossen durch die Absetzung der Monarchie. Die internationalen Bedingungen, wie die Weltwirtschaftskrise 1929, erklären nur ansatzweise den Erfolg der Faschist*innen. Bereits die Spaltung der Sozialdemokratie belegte das diskrepante Verhältnis zur jungen Republik, so wird Friedrich Ebert nachgesagt, er müsse die USPD damals kleinhalten und bekämpfen, da sie sein eigenes Programm verwirklichen wollten.

Die Mär, ein linker und ein rechter Radikalismus hätte Weimar begraben, straft ein nüchterner Blick Lügen. Die relevante Stärke der politischen Linken in den 1920er Jahren war eine SPD, die vom Sozialismus nur noch in Worten sprach, doch schon längst Frieden mit dem Kapital machte. Demgegenüber gab es eine Fülle von Parteien der Rechten, deren Unterscheidung lediglich in der Frage zur Republik lag. Vorläufer der Faschist*innen, wie die DNVP konnten ungehindert ihr antisemitisches und völkisches Programm verbreiten, was auf fruchtbaren Boden fiel. Die verratene Revolution vom November konnte nicht fortgesetzt werden, folglich befand sich die Weimarer Republik in einem Stadium der absoluten Schwäche, die der aufkommende Faschismus problemlos für sich nutzen konnte. Es macht das Faktum jedoch nicht unwahrer, wenn man es in die Ecke einer DDR-Nostalgie steckt, wenn gesagt wird, dass besonders die Instabilität in Folge des widersprüchlichen bürgerlichen Blocks und ihrem Kokettieren mit dem völkischen Nationalismus es dem Faschismus äußerst leicht machte, die Massen zu gewinnen. Die damalige Kinderkrankheit ist heute zu einer Farce gekommen, die Linke kontinuierlich zu bekämpfen, während der Pakt mit der Rechten beschlossen wird. Was den Kommunist*innen der stalinisierten KPD jedoch vorgehalten werden kann, ist ihre schädliche Sozialfaschismusthese und die Spaltung der Arbeiter*innenklasse als Hauptkampf gegen die SPD. Doch das war eine Entwicklung besonders historischer Begebenheiten, die sich sowohl im internationalen Kontext als auch den nationalen Widersprüchen der jungen Republik äußerten. Die Freikorps, Vorgänger des militaristischen Faschismus, unterdrückten und bekämpften mit Billigung der SPD die Revolutionär*innen des Novembers. Bereits das war die Abschaffung der Demokratie. Der Weg zur faschistischen Terrorherrschaft war der misslungene Versuch, das zu retten, was bereits zerstört war.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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