Bruch von links

Erklärung Ist die Linkspartei noch zu retten? Das scheint immer unwahrscheinlicher. Daher fordern nun Vertreter*innen des linken Flügels einen konsequenten Bruch und den Aufbau einer wirklich sozialistischen Organisation.

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Der Linkspartei geht es gar nicht gut. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen vom vergangenen Wochenende scheiterte sie erwartungsgemäß an der Fünf-Prozent-Hürde. Dabei verlor sie 1,9 Prozentpunkte. Auch bundesweit sieht die Lage verheerend aus. Nachdem sie letztes Jahr nur aufgrund drei gewonnener Direktmandate den Wiedereinzug in den Bundestag geschafft hatte, verharrt sie einer aktuellen Forsa-Umfrage vom 11. Oktober 2022 zufolge bei fünf Prozent. Wie nach jeder Wahlniederlage wird plakativ analysiert und eruiert, weshalb man die Menschen mit einem vermeintlich guten sozialen Programm nicht erreichen konnte. Der Niedergang der Linkspartei findet schon seit Jahren statt und es scheint, als wäre er nicht mehr aufzuhalten. Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine in diesem Frühjahr brach auch innerhalb der Bundestagsfraktion ein Streit aus, der sich um den Flügel um Sahra Wagenknecht drehte. Doch die politische Haltung zu Russland, dem Krieg und der Ukraine ist nicht ausschlaggebend für das Versagen der Linkspartei. Der systemische Niedergang ist durch eine staatstragende Anpassung an das bürgerliche System gekennzeichnet, das jeden Widerstand gegen den Kapitalismus ad absurdum führt. Die radikale Sozialdemokratisierung und hiernach Beliebigkeit der Partei macht sich nicht nur in den Wähler*innenstimmen bemerkbar, sondern auch bei den einfachen Mitgliedern der Länder und besonders der Basis.

Innerhalb der Linkspartei versammeln sich noch Kräfte von rechten Reformist*innen und linken Revolutionär*innen, die in der politischen Auseinandersetzung nie widerspruchsfrei untereinander agieren können. Allerdings zeichnete sich in den vergangenen Jahren in Bezug auf die Hierarchisierung eine schleichende Rechtsverschiebung ab, deren realpolitische Funktion in Regierungsverantwortungen mündete. Getreu dem reformistischen Motto, um etwas zu ändern, müsse man regieren, versteht sich besonders die Führungselite innerhalb der Partei als „Regierungspartei im Wartestand“. Die Frage, ob man als sozialistische Partei überhaupt an einer bürgerlichen Regierung partizipieren soll, wird gar nicht mehr gestellt, sondern als vorausgesetzt erachtet: relevant ist nur, wann dies geschehen soll. Wenngleich noch nicht auf Bundesebene, war die Partei seit ihrer Gründung 2007 an dreizehn Landtagsregierungen beteiligt. Dass dort keine genuin sozialistische Politik gemacht wurde, ist der DNA bürgerlicher Parlamente geschuldet. Abgestraft wurde die Linkspartei dabei nahezu immer. Was auch nicht verwunderlich ist: Politik gegen Klima, für Abschiebungen und gegen das Recht von Mieter*innen wird von den Wähler*innen selbstverständlich nicht gutgeheißen. Einen Fehler mag die Parteiführung dort jedoch nicht sehen, denn die Rechtsentwicklung schreitet unaufhaltsam voran.

Dass der linke Flügel innerhalb der Partei sowie der parteinahen Jugendorganisation Solid damit ein Problem hat, ist wenig verwunderlich. Viel zu lange versuchten sie, eine parteiinterne Opposition aufzubauen, um das Konzept der sozialistischen Partei noch zu retten. Doch mittlerweile ist ein Punkt erreicht, der das Vorhaben nahezu verunmöglicht. Aus diesem Grund wurde unter dem Titel „Für einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid!“ eine Erklärung verabschiedet, die einerseits eine Analyse anbietet, was seit Jahren innerhalb der Strukturen falsch läuft und andererseits den notwendigen Vorschlag unterbreitet, den nächsten Schritt zu gehen: weg von der bürgerlichen Partei und hin zum Aufbau einer revolutionär-sozialistischen Organisation. Die Hauptkritik der Erklärung richtet sich an die realprogrammatische Ausrichtung der Partei und Solid, in der man eine klassenpolitische Analyse und Herangehensweise vermisst. In Hinblick auf die hohe Inflation, die Energiekrise und die Verarmung der Gesellschaft infolge des westlichen Wirtschaftskrieges gegen die Russische Föderation wird die Haltung der linken Führungselite harsch kritisiert. Am sogenannten „heißen Herbst“ habe sich die Partei nahezu kaum beteiligt. Auf die Straße gingen die Menschen dennoch: und statt auf den rechten Protest unter Federführung der AfD eine konsequent linke Antwort zu formulieren, vermochte die Parteiführung nur am 17. September einen Protest organisieren, welcher nach Auffassung der Erklärung jedoch alles andere als ein „Massenprotest“ war.

Eine fehlende antimilitaristische Haltung wird ebenfalls bemängelt. Der Bruch war dabei nicht der russische Angriff auf die Ukraine, sondern bereits der August letzten Jahres, als sich ein Großteil der Bundestagsfraktion bei der Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan der Stimme enthielt. Diese militaristische Anpassung an den Status Quo findet sich auch innerhalb der Strukturen der Solid wieder. So habe die Jugendorganisation ihre Rolle als linkes, radikales Korrektiv schon längst verloren. Bellizistische Stimmen seien dort immer häufiger zu hören. Auch sei die antideutsch-zionistische Strömung in der Solid gut beheimatet, die am rechten Rand der politischen Linken steht. Bei all den Debatten, internen Problemen und Auseinandersetzungen sowie dem reformistischen Bestreben, vollends im bürgerlichen Apparat angekommen zu sein, wird der Blick auf die Mehrheit der Gesellschaft, der Arbeiter*innenklasse, völlig übersehen. Dass die Linkspartei keine marxistische Organisation ist, ist kein Geheimnis. Allerdings stehen sie in einer marxistischen Tradition, die bis auf Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zurückgeht, die einen konsequenten radikalen Klassenstandpunkt einnehmen. Dieser ist in der heutigen Linkspartei nicht mehr zu erkennen. Statt den Fokus auf die Arbeiter*innenklasse und deren Organisierung zu legen, betreibt die Linkspartei Identitätspolitik und reproduziert liberale „Narrative“, bei der vermeintliche bürgerliche Menschenrechte im Vordergrund stehen, ohne auch nur ansatzweise zu eruieren, wie der bürgerliche Klassenstaat funktioniert.

In dieses Vakuum schlägt die revolutionäre Erklärung. Sowohl die Linkspartei als auch Solid können von innen nicht (mehr) revolutioniert werden. Beide verstehen sich als Karriereapparat, um im späteren Verlauf Pfründe zu sichern. In der Linksjugend Solid wird das nicht einmal verheimlicht. So veröffentlichte Solid am 15. September 2022 einen Beitrag zur „feministischen Außenpolitik“ in der BRD. Federführend war dabei Sarah Dubiel, Bundessprecher*in der Linksjugend, welche keinen Hehl daraus machte, dies im Auftrag des Auswärtigen Amtes geschrieben zu haben. Dass der Text unkritisch und im Rahmen der bürgerlichen Regeln verfasst wurde, ist dabei nicht verwunderlich, denn würde die herrschende Klasse einen offiziellen Beitrag bestellen, der vollumfänglich den bürgerlichen Staat mit seiner Klasse attackiert und schonungslos offenlegt, wie barbarisch die „feministische“ Außenpolitik der BRD tatsächlich ist? Hiernach scheint der Bruch also nur konsequent zu sein. Doch die Erklärung belässt es nicht nur bei der Forderung, sondern betont auch, dass es ein sofortiges Übergangsprogramm gegen die aktuelle kapitalistische Krise braucht. In diesem „Notfallprogramm“ werden traditionelle marxistische Forderungen aufgestellt: die Offenlegung der Geschäftsbücher, die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien (hier ganz konkret: der Energiesektor) sowie die Überführung der Wirtschaft unter demokratische Arbeiter*innenkontrolle.

Letztlich wird nichts weniger als die Überwindung des Kapitalismus und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft gefordert. Dass das keine utopische Spielerei ist, sondern dringender denn je ist, zeigt das derzeitige Stadium des Kapitalismus. Das herrschende Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ist verantwortlich für Hunger, Klimakatastrophe, Zoonosen und die wachsende Verarmung der Mehrheit der Gesellschaft. Er kann darauf keine Lösung anbieten, denn er profitiert davon unentwegt. Im Zentrum steht die Akkumulation des Kapitals – und selbst im Angesicht apokalyptischer Szenarien steht das Profitinteresse der Kapitalist*innen an erster Stille. Die Antwort kann darauf nur die radikale Überwindung sein. Weder die Linkspartei noch die Linksjugend Solid sind dafür auch nur ansatzweise in der Lage. Ihr unaufhaltsamer Niedergang wird ein Vakuum erschaffen, welches von Revolutionär*innen gefüllt werden muss. Die Erstunterzeichner*innen der Erklärung wollen nichts weniger als die Welt vor ihrem eigenen Untergang retten: ein Anliegen, das mehr als löblich ist. Es gilt, es uneingeschränkt zu unterstützen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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