Menschenrechte nicht für Russ*innen

Ideologie Kriegsdienstverweiger*innen sollen in der BRD einer Gesinnung unterzogen und notfalls in „Lager“ gesteckt werden. Bei Russ*innen hören für Liberale Menschenrechte scheinbar auf und antirussischer Rassismus findet Eingang.

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Es ist bereits mehr als ein halbes Jahr her, als der russische militärische Angriff auf die Ukraine stattfand. Wenngleich besonders die Ostukraine seit acht Jahren von der Kiewer Zentralregierung attackiert wird, ist der 24. Februar 2022 die viel beschworene scholz’sche „Zeitenwende“. Die „Zeitenwende“ ist dabei mehr als ein Narrativ der herrschenden Klasse, sondern offenbart auch den inhärenten Charakter der bürgerlichen Gesellschaft sowie des politischen Liberalismus, der sich immer als progressiv und aufklärerisch versteht. Der westliche Wirtschaftskrieg gegen die Russische Föderation trifft primär anders als kolportiert nicht die herrschende Klasse um den Präsidenten Wladimir Putin, sondern die russische Bevölkerung, deren Ausmaß sich in den vergangenen Wochen immer drastischer offenbarte. Während besonders die Europäische Union, an vorderster Front die baltischen Staaten, die Ausgabe von Visa für russische Menschen nahezu verunmöglichen, zeigt sich angesichts der Debatte um die (Teil-)Mobilmachung Russlands ein weiteres Moment, wie mit russischen Kriegsdienstverweiger*innen umzugehen ist. Dass diese Debatte überhaupt geführt werden muss, zeigt den eigentlichen Charakter der herrschenden Klasse der BRD sowie deren treueste Gefolgschaft, den selbsternannten Linksliberalen und Bürgerlichen. Hieß es zu Beginn des Krieges noch, man agitiere freilich nur gegen die russische Oligarchie und die Clique um Putin, so gehört es mittlerweile zum guten Ton, einen tief im Deutschen verankerten antislawischen Rassismus so laut möglich nach außen zu transportieren.

Macht es einen Unterschied, in welchem Staat jemand den Kriegsdienst verweigert? Antimilitarist*innen und Gegner*innen jeden Krieges verneinen diese Frage ausdrücklich, denn der Militarismus ist immer die Festigung und Verteidigung der herrschenden Klasse des jeweiligen Landes. Der liberale Pazifismus stand bisher mehr oder minder in jener Tradition, wenngleich der besonders in der olivgrünen Ausgestaltung nur noch mittels euphemistischer Worthülsen wie „humanitäre Intervention“ ihren Bellizismus verheimlichen kann. Mittlerweile findet jedoch eine Verschiebung der Begrifflichkeit statt, wenn Menschen auf die Straße gehen, um gegen den Krieg zu demonstrieren. An vorderster Front steht dabei der politische Liberalismus, der den Krieg in der Ukraine maßgeblich fördern und seine Vertreter*innen nicht müde werden zu betonen, wie schwer die Waffen doch sein müssen, welche man in die ehemalige Sowjetrepublik schicken müsste. Pazifist*innen und Anti*militaristinnen wird dabei eine Nähe zum russischen Militarismus attestiert, derweil sie mit dem dadaistischen Slogan „Frieden durch schwere Kriegswaffen!“ dem westlichen Imperialismus Vorschub leisten und ein dichotomes Weltbild verteidigen, das an die Blockbildung des vergangenen Jahrtausends erinnert. Das aufklärerisch-bürgerliche Menschenbild der Liberalen hat in dieser Logik keinen Platz für russische Menschen, denen sie in völkischer Manier eine Mitschuld am Angriff auf die Ukraine attestieren.

So ist es alles andere als verwunderlich, wenngleich immer wieder schockierend zu lesen, was die liberale Gefolgschaft für Ambitionen und Forderungen stellt. Anstatt russischen Kriegsdienstverweiger*innen Asyl anzubieten, sollten sie in Russland für einen Umsturz einstehen und nicht in feige Manier davonlaufen. Diese Argumentation war man in den vergangenen Jahren von Rechtsradikalen und Faschist*innen gewohnt, die Flüchtlingen aus den arabischen Staaten und Afrika vorhalten, sie seien nur „Wirtschaftsflüchtlinge“ und hiernach keine „richtigen“. Diese rhetorische Bankrotterklärung wird vom liberalen Establishment nun auf die russische Bevölkerung angewandt, die deren Fluchtgrund als keinen „wahren“ verstehen, sondern lediglich als individuelle Entscheidung, nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Als Hauptargument wird herangezogen, dass sie vor der (Teil-)Mobilmachung keinen Schutz suchten und hiernach als Verteidiger*innen der russischen Außenpolitik verstanden werden. So wird ein monolithischer Block konzipiert, wonach alle Russ*innen automatisch Putinist*innen seien und hiernach mit dem Krieg parallelisiert werden.

Dieses Narrativ und die daraus abstrahierte Ideologie ist kein liberales Novum, sondern in seiner DNA vorhanden. In Krisen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft neigt das System zum Faschismus und seiner Narration, wie es die letzten 100 Jahren mehrmals unter Beweis stellten. Zwar sind die deutschen Liberale keine Faschist*innen, dennoch haben sie immer weniger Berührungsängste zu faschistischen Kräften außerhalb der BRD. Wichtig ist, dass das Feindbild stimmt und das ist in deutscher Tradition Russland und seine Bevölkerung. Der ukrainische Noch-Botschafter in der BRD Andrij Melnyk ist dabei das perfekte Beispiel, der in den vergangenen Monaten jegliches analytisches und diplomatisches Maß über Bord warf und einen antirussischen Rassismus über seine Tweets und Interviews transportierte, der noch vor einem Jahr in der BRD undenkbar gewesen wäre. Die radikale Entmenschlichung der Russ*innen wird dabei von der herrschenden Klasse in der BRD sowie der liberalen Gefolgschaft nonchalant übernommen, wenngleich die Sprache weniger radikal daherkommt. Es ist dabei irrelevant, welches System in Russland gerade herrscht: sei es das Zarenreich, die Arbeiter*innendemokratie oder seit 1990 die bürgerlich-imperialistische Gesellschaft – der Russe steht immer vor der Türe und es gilt ihn immer zu bekämpfen. Die bürgerliche Aufklärung findet bei den Liberalen dort ihre Grenze.

Es gilt, eine Blockbildung zu etablieren, in der die westliche Welt (weiterhin) eine dominante Rolle übernehmen möchte. Der Linksliberalismus spielt dabei die unrühmliche Rolle, ein faschistoides Weltbild gegenüber den Russ*innen zu etablieren, bei dem jeder Dammbruch herzlich willkommen ist. So gilt es mittlerweile zum guten Ton, die Forderung aufzustellen, russische Kriegsdienstverweiger*innen eine Gesinnung zu unterziehen und Extremfall in ein „Lager“ zu stecken. Anna-Lena Baerbock sagte zu Beginn des Krieges, sie wolle Russland „ruinieren“. Der westliche Wirtschaftskrieg ist auch ein ideologischer Krieg, in dem Russ*innen qua definitionem die Rolle des Tyrannen zu spielen haben, unabhängig davon, ob sie Putin höchstpersönlich oder ein antimilitaristischer Arbeiter sind. „SlavaUkraini“, der ukrainisch-faschistische Spruch, ist das Selbstverständnis der deutschen Liberalen geworden, die für Geflüchtete und Menschenrechte einstehen, außer es handelt sich dabei um Russ*innen. Und jeder, der sich dagegen stellt, sei es für den Frieden eintritt, für eine nüchtern-analytische Betrachtung der objektiven Bedingungen kämpft oder schlicht auf die steigenden Lebensmittel- und Gaspreise hinweist, wird als Kompliz*in der Russ*innen gebrandmarkt. Mit einem stark vereinfachten Weltbild schläft es sich bekanntlich besser – die Gefahr, dabei mit Faschist*innen aufzuwachen, scheint dabei einkalkuliert zu sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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