Was nun?

Programm Die Linkspartei steckt in einer existenziellen Krise. Wohin die Reise gehen wird, wird sich im Juni entscheiden. Dabei bleibt ihr nur die Wahl zwischen einer revolutionären Erneuerung oder dem Abgang in die Bedeutungslosigkeit.

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Die Partei steht am Abgrund. Nach #LinkeMeToo, dem Aufweichen von Grundsätzen seit Jahren, dem Rücktritt der reformistischen Parteivorsitzenden Hennig-Wellsow und dem immer aggressiveren Ton untereinander seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 steht nichts anderes als die Existenz einer Partei auf dem Spiel, die von sich selbst behauptet, für die Schwachen der Gesellschaft zu sprechen. Doch was bedeutet das überhaupt? Als pluralistische Organisation versteht sie es zwar, verschiedene Ideologien unter einem Dach zu vereinen, doch in der Praxis ist das ein Hemmnis, um auf die aktuellen und historischen Fragen der Menschheit eine Antwort zu finden. Die Kompromissformel eines „demokratischen Sozialismus“ ist nichts Weiteres als eine inhaltsleere Hülle, welche je nach Intention und Gusto für die eigenen Ideale instrumentalisiert werden kann. Es geht dabei nicht nur um die Frage einer Regierungsbeteiligung oder der Oppositionsarbeit, sondern um grundsätzliche, die an die Wurzel der Partei und ihrer Geschichte aneckt. Der immer lauter werdende Ruf nach „Erneuerung“ und „neuen Gesichtern“ muss dahingehend mit Vorsicht genossen werden, denn dahinter versteckt sich nicht weiter als der Wunsch einer weiteren PASOKisierung, das heißt der geräuschlosen Anerkennung des bürgerlich-parlamentarischen Systems als endliches Ziel, und dahingehend der Bejahung eines Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, welches die Notwendigkeit einer sozialistischen Partei erst unterstreicht.

Wenn im Juni darüber diskutiert wird, wohin die Reise gehen soll, muss die Frage zentral sein, welche Reise man angehen möchte. Will man weiterhin den Status Quo verwalten und sich lediglich marxistischen Vokabulars bedienen, ohne seine Analysen? Oder wird man der historisch-politischen Rolle gerecht, legt den Reformismus ab und vertritt eine konsequent sozialistische Linie, welche sich auf ausnahmslos alle Bereiche ausdehnt? Ausbuchstabiert heißt das nichts anderes als eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln, auf die man sich seit jeher positiv besinnt, ohne die logische Konsequenz zu ziehen, auch danach zu handeln. Wer sich mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gemein macht, und auch Karl Marx als auch Friedrich Engels einen Platz zugesteht, kann nicht weiter so handeln, wie es seit mehr als zehn Jahren getan wurde. Stattdessen wird innerparteiliche Kritik mundtot gemacht, es wird in sogenannten sozialen Medien in Fragen von Militarismus und weiteren mit Dreck um sich geworfen und der Parteijugend will man gleich den finanziellen Hahn zudrehen, weil deren Beschlüsse angeblich dem Parteiprogramm widersprechen. Diese bürokratischen Manöver verunmöglichen eine „Erneuerung“, besonders dann, wenn es von links kommt.

Und seit Jahren fällt auf, dass Kritik von links immer versucht wird mundtot zu machen, derweil der rechte Flügel ohne jegliche Konsequenz mit NATO-Liebäugelei, dem Schleifen von pazifistischen Grundsätzen und dem Anbiedern an neoliberale Wirtschaftsmodelle fröhlich weitermachen kann und in Regierungsbeteiligung immer wieder aufs neuste demonstriert, wie verloren die Partei bereits ist. Jüngste Ergebnisse wie im Saarland werden dabei personalisiert abgehandelt, ohne anzuerkennen, dass man den Bezug zur Klasse, die man eigentlich vertreten sollte, schon längst verloren hat. Wo vertritt die Partei noch die Arbeiter*innenklasse, die Ausgebeuteten und Schwachen der Gesellschaft? Warme Worte kann jeder von sich geben, doch die Praxis der Linkspartei ist Resultat einer vernichtenden Anbiederung am herrschenden System. Der Ausbruch des Ukrainekriegs torpedierte all das immens. Simple Losungen wie Frieden und Völkerverständigung werden in die Ecke der Putin-Versteherei gezwängt, und Teile der Fraktion sind der Idee nicht abgeneigt, den militärisch-industriellen Komplex (mehr) zu finanzieren oder gar, dass Schweden und Finnland mit der NATO kokettieren. Der alldeutsche Russlandhass schlägt sich auch in der Partei nieder.

Was getan werden muss, ist kein Kompromiss, sondern die Anerkennung internationalistischer, sozialistischer und antifaschistischer Positionen. Will man sich auf Luxemburg und Liebknecht beziehen, kommt man nicht umhin, dem bürgerlichen Parlament den Kampf anzusagen und eine Partei der Arbeiter*innen zu werden, die ihrem Namen gerecht wird. Das darf dabei nicht auf einzelne Punkte beschränkt bleiben, sondern muss vollumfänglich geschehen. Und dazu gehört eine Position zum Ukrainekrieg, eine Position zu Israel und all die weiteren hochkomplexen Themen, die die Linkspartei derzeit im Dunst einer Vaterlandsverteidigung und deutscher Besonderheit abhandelt. Will die Linkspartei nicht im Sozialdemokratismus versinken und unkenntliches Anhängsel der herrschenden, reformistischen Sache werden, ist die Anerkennung des Klassenstandpunkts und -kampfes essenziell. Sie muss radikale Partei der Werktätigen werden, die nur in ihrem Sinne handelt und dahingehend internationalistische Positionen vertritt und den Hauptfeind beim Namen nennt, im eigenen Land und global. Der „demokratische Sozialismus“ muss weichen für ein wirklich durchgehend sozialistisches und klassenkämpferisches Programm, das Dinge beim Namen nennt und nicht zurückweicht.

Dass die Partei konsequent antiimperialistisch und antizionistisch werden muss, steht außer Frage. Denn das nationale ist ohne das internationale nicht zu denken. Der Juni wird entscheiden, für welchen Weg man sich entscheidet. Verteidigt man den Status Quo, und besudelt so die Ehre von Liebknecht, Luxemburg und allen anderen Revolutionär*innen, auf deren Schultern die Linkspartei steht, oder korrigiert man einen jahrelangen Fehler und bestreitet den Weg der Gerechten, um den Kapitalismus und Imperialismus nicht nur semantisch, sondern aktiv zu stürzen? Die Geduld der Arbeiter*innen und Wähler*innen ist am Ende, und die Linkspartei kann nicht mehr so tun, als wäre alles beim Alten. Die Erneuerung braucht definitiv neue Gesichter, eine Absage an den bürokratischen Parteiapparat und die Einbeziehung der Werktätigen in Betrieben und an der Basis. Beschlüsse einzelner Basisorganisationen wie Teile der Berliner Linksjugend machen Hoffnung, dass das möglich ist. Doch der Widerstand wird mächtig sein; letztlich bleibt nur der Weg zwischen Revolution oder Niedergang.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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