Linke Waffen für Kiew

Richtungsstreit Die Linkspartei steckt in der größten Krise seit ihrer Gründung. Eine Abkehr vom Pazifismus sowie Forderungen, Waffen in die Ukraine zu schicken, werden immer lauter und konkreter. Das Ende der Partei scheint näher als je zuvor.

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Wird die Linkspartei zerfallen? Die Frage ist falsch gestellt: nicht ob, sondern wann ist ausschlaggebend. Dass es der Partei nicht gut geht, wurde im Laufe des Jahres deutlich dokumentiert und beobachtet. Das Erfurter Parteiprogramm dient für viele Parlamentarier*innen und Politiker*innen nicht einmal mehr als einfache Richtschnur, sondern müsse nach deren Gustu schon längst entsorgt werden. Unabhängig davon, ob auf Bundes- oder Landesebene: die Linkspartei als Versammlung sozialistischer Kräfte ist nur noch eine theoretische Illusion. Da es nicht möglich ist, als genuin sozialistische Partei Politik im bürgerlichen Parlament für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, das heißt der Armen, Arbeiter*innen und Unterdrückten, zu machen, wird nicht daran gearbeitet, den sozialistischen Kern beizubehalten und das Parlament als Bühne für radikale Opposition zu nutzen, sondern man passt sich der herrschenden Klasse an und arbeitet nur noch als systemimmanente Opposition: als Regierungspartei im Wartemodus. Diese Entwicklung ist schon seit Gründung 2007 zu beobachten, nahm die vergangenen zwei Jahre jedoch permanent zu. Der russische Einmarsch in die Ukraine im Frühjahr 2022 markierte den letzten Wendepunkt, an dem es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich die Partei selbst erlegt.

Um das zu verhindern, plant die Spitze am kommenden Wochenende in Leipzig ein nicht-öffentliches Treffen, um erneut darüber zu beraten, was getan werden muss. Dass dabei ein klares Bekenntnis zu sozialistischer Politik entstehen wird, darf angesichts vergangener Treffen, Analysen und Positionierungen stark bezweifelt werden. Wenngleich die Parteispitze seit Monaten laviert, hat auch sie ein Interesse an der Integration in den bürgerlichen Apparat, denn auch ihr Verständnis ist ein rein reformistisches, welches das System nicht aus den Angeln heben, sondern vermeintlich verbessern möchte. Wohin die regierungssozialistische Reise indes gehen wird, offenbarte sich am vergangenen Wochenende in der Bundeshauptstadt. Dort versammelte sich die Creme de la Creme des zentristischen und rechten Flügels der Partei, die unter dem Schlagwort „Progressivismus“ einen neuen Kurs einleiten möchte. Dabei richtet sie sich sowohl gegen einen vermeintlichen Flügel um Sahra Wagenknecht als auch gegen Linke, die sich gegen die Rechtsentwicklung der Partei stellen. Die Angriffe auf Wagenknecht muteten dabei wie Realsatire an, der eine Abkehr von Klassenpositionen vorgeworfen wird, derweil die selbsternannten „Progressiven“ selbst jeglichen Schein einer solchen vermissen lassen. Eine sempersionalisierte Abrechnung soll eine analytische Debatte zum Zustand er Partei verhindern, während gleichzeitig außenpolitische Weichen gestellt wurden, die eine weitere Zementierung im bürgerlichen Staat nach sich zieht.

Zentral dafür war die Positionierung zum Ukraine-Krieg. Dass Kritik an der NATO immer leiser wird und eine Verschiebung der Dialektik hin zu dichotomen Verständnis gesellschaftlicher Prozesse erkennbar ist, wurde die Frage diskutiert, ob es nicht an der Zeit wäre, vermeintlich alte Positionen zur Kriegsfrage über Bord zu werfen. Dabei stand nicht nur eine neue Bewertung des atlantischen Kriegsbündnisses im Raum, sondern es wurde auch über eine direkte Waffenlieferung an das Kiewer Regime diskutiert. Nachdem der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow sich dafür offen gezeigt hatte, werden Stimme aus dem rechten Flügel immer deutlicher. Die Begründung dafür liefert jedoch keine politische Grundlage, sondern wird emotionalisiert geführt, die gefährlich nah an eine Bagatellisierung tatsächlich faschistischer Kräfte in der Ukraine führt. Man wolle ein vermeintlich dogmatisches „Nein“ zu Waffenlieferungen und letztlich auch Kriegsbeteiligungen ablegen und sich somit faktisch in die Tradition der Sozialdemokratie stellen, die seit mehr als hundert Jahren einen Verrat an der Mehrheit der Bevölkerung begeht.

Sollte sich diese Tendenz fortsetzen, und es deutet einiges daraufhin, wird die Linkspartei im kommenden Jahr in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Die Wahlwiederholung in Berlin wird der Anfang sein, denn die Abstrafung der Partei ist wahrscheinlich, da sie während der Regierungszeit eine starke Positionierung zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ vermissen ließ. Die historische Rolle der Linkspartei ist aufgebraucht und obsolet. Statt den Kurs der herrschenden Klasse zu stützen, ist es unabdingbar, eine radikale Opposition anzubieten. Dies schließt nicht nur eine starke antimilitaristische Bewegung mit ein, sondern auch ein klares antikapitalistisches Programm, welches die Linkspartei nicht (mehr) anbieten kann. Ihr Niedergang ist ein Trauerspiel, welches jedoch nicht bemitleidet werden darf, sondern als Konsequenz verstanden werden muss, dass der Reformismus keine Antwort auf die nagenden Probleme dieser stürmischen Zeit hat. Sie wird letztlich innerhalb der bereits bestehenden sozialdemokratischen Partei aufgehen, gleich, in welcher Form. Um dieses Vakuum zu füllen, braucht es daher notwendiger denn je einen Zusammenschluss genuin linker Kräfte, die es mit dem Sozialismus ernst meinen und die richtigen Antworten auf die dringenden Fragen zu geben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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