Noch ein Manifest

Ukrainekrieg Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer haben ein „Manifest des Friedens“ als Petition veröffentlicht. Gefordert wird wenig neues: Waffenruhe und die Rückkehr zum Verhandlungstisch. Was indes fehlt: eine proletarische Klassenposition.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es ist knapp ein Jahr her, als die Russische Föderation die Ukraine überfiel. Davon zu sprechen, dass seit dem 24. Februar 2022 Krieg herrscht, ignoriert die Tatsache, dass besonders die Ostukraine seit 2014 von der Zentralmacht in Kiew militärisch angegriffen wird. Angesichts aktueller Meldungen der vergangenen Stunden und Tage, dass der ukrainische Präsident WolodimirSelenski immer mehr und immer härtere Kriegswaffen einfordert und damit auf wenig Widerstand stößt, lässt ein baldiges Ende in weite Ferne rücken. Dass es sich einzig um einen Krieg zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine handelt, wurde realpolitisch schon längst widerlegt; es ist ein Stellvertreterkrieg der herrschenden Klassen der sogenannten „westlichen Welt“ und des Regimes Putins. Es geht hierbei nicht um abstrakt-moralische Werte wie „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“, sondern um geopolitische und strategische Interessen auf beide Seiten, die auf Kosten der Arbeiter*innenklasse formuliert und erkämpft werden. Sich auf diese oder jene Seite zu stellen ist keine Klassenposition, sondern übernimmt das Narrativ der herrschenden Klasse, dass man als „freie Demokratie“ gegen eine „unfreie Diktatur“ kämpfen müsse, stellvertretend in der Ukraine.

Der Diskurs ist mittlerweile so sehr verschoben, dass es einem Menschheitsverbrechen gleicht, wenn man die notwendige Klassenposition einnimmt und sich sowohl gegen Putin als auch Selenski stellt. Die kleinbürgerliche Logik, wonach jede*r, der*die gegen Selenski ist, gleich ein*e Putinversteher*in sei, ist mittlerweile auch tief in der politischen Linken angekommen. Bemühungen, diesen Krieg diplomatisch beenden zu wollen, gibt es immer wieder, doch werden sie von der herrschenden Klasse ebenfalls als Putin-Versteherei ausgelegt, da auch eine Kompromissfindung der Ukraine nur schaden könne. Es gleicht einem Trauerspiel, wäre die Gefahr der weiteren Eskalation des Krieges nicht so real. In dieser Zeit, in der Selenski nach immer schwereren Waffen ruft und auch die BRD unter Olaf Scholz jede weitere selbsternannte „rote Linie“ übertritt, erschien nun ein weiteres „Manifest“, welches sich für die Beendigung des Krieges einsetzt und kleinbürgerlich auf eine vermeintliche Diplomatie setzt. Hinter diesem Manifest steht einerseits Sahra Wagenknecht und andererseits Alice Schwarzer – zwei Persönlichkeiten, die auch angesichts des Ukrainekrieges immer wieder in der Schlagzeile waren.

Ihr Manifest wird lautstark als „Manifest des Friedens“ betitelt, wobei es sich vielmehr um einen Forderungskatalog handelt, als um ein wirkliches Manifest, da es sich hierbei um ein erstaunliches trübes Pamphlet handelt. Wirklich neues wird auch nicht formuliert; das kennt man alles schon: Man fordert einen Waffenstillstand, Verhandlungen und einen Kompromiss zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine. Wer die Verantwortung übernommen soll? Ginge es nach Wagenknecht und Schwarzer Olaf Scholz, den sie zuvor zwar attackieren, aber gleichzeitig an der Spitze einer „starken Allianz für einen Waffenstillstand“ sehen. Um einen potenziellen Atomkrieg zu verhindern, sei der „Verhandlungstisch“ alternativlos, da man sich mittlerweile in einer „Pattsituation“ befände: Die Ukraine könne zwar einzelne Schlachten gewinnen, aber nicht den Krieg. Tiefgründiger wird es auch nicht, was selbst für Wagenknechts Verhältnisse überraschend ist. Jegliche analytische Auseinandersetzung mit der Ursache des Krieges wird ausgespart sowie de facto die „Vaterlandsverteidigung“-Thematik reproduziert, in einem Umkehrschluss, dass es niemand anderes könne, als die BRD, diesen Krieg zu beenden.

Die ehemalige Sozialistin Sahra Wagenknecht ist völlig im Kleinbürger*innentum angelangt. Im Manifest wird sowohl das Klasseninteresse der Parteien ausgeklammert als auch eine politische Einordnung der derzeitigen Lage. Unter diesen Voraussetzungen kann man zu keinem anderen Schluss kommen, als einen rein diplomatischen Ausweg zu sehen. Anstatt die Arbeiter*innenklasse in der BRD, in der Ukraine und in der Russischen Föderation dazu aufzurufen, gegen die eigene herrschende Klasse vorzugehen, um diesen imperialistischen Stellvertreterkrieg an sein Ende zu bringen, fordert man diejenigen auf, den Krieg zu beenden, die ihn erst ausgelöst haben. Dieser kleinbürgerliche Pazifismus ist keine Gefahr für den Kapitalismus, sondern sein treuer Verbündeter, denn weder die soziale noch politische Frage wird aufgeworfen. Dass sich gerade dieses kleinbürgerliche Klientel darüber empört, dass Wagenknecht und Schwarzer dieses Manifest als Petition veröffentlichten, ist dabei kein Widerspruch, sondern dem schwankenden Charakter des Kleinbürger*innentums geschuldet. Und dass der ehemalige ukrainische Botschafter in der BRD und Faschistenfreund Andrij Melnyk in gewohnt brachialer Sprache dagegen twittert, ist keine Überraschung.

Was wird dieses Manifest ändern? Nichts. Damit wird man weder die Massen erreichen, die unter dem Krieg, der Weltwirtschaftskrise und der Inflation leiden, noch wird es einen Einfluss auf Entscheidungen der herrschenden Klasse haben. Es offenbart aber die politische Entwicklung Sahra Wagenknechts, die ihrem selbstauferlegtem Duktus eines „Linkskonservatismus“ gerecht wird, und die soziale Frage mit der nationalen Frage versucht zu versöhnen. Dass der Co-Chef der rechtsnationalen AfD, Tino Chrupalla, die Petition unterschrieb, ist dabei wenig verwunderlich, darf jedoch nicht als Argument genutzt werden, dass es sich hierbei um eine Querfront handelt. Die Interessen der Arbeiter*innenklasse stehen konträr zu der Position von Wagenknecht, wie sie in diesem Manifest niedergeschrieben wurden. Es handelt sich hierbei mehr um einen Versuch, eine systemkonforme Opposition zu sein, die am kapitalistischen System nichts ändern, sondern anders verwalten will. Sahra Wagenknecht und die Unterzeichner*innen stellen sich verbal sowohl gegen Selenski als auch Putin, vertreten jedoch das nationale Interesse der deutschen Nation. Sozialist*innen stellen sich politisch sowohl gegen Selenski, Putin als auch die NATO, denn sie wissen, dass es sich hierbei um einen Krieg zwischen der herrschenden Klasse handelt, die die unterdrückte Klasse ausführen muss. Die Positionen können unterschiedlicher nicht sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden