Es braucht einen Roten Herbst

Widerstand Die politische Linke muss an zwei Fronten kämpfen: sowohl gegen die Politik der herrschende Klasse als auch den rechten Protest. Der „heiße Herbst“ muss in einen kämpferischen „roten Herbst“ münden.

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Der Herbst wird heiß. Der Wirtschaftskrieg der Europäischen Union und der BRD gegen die Russische Föderation, der nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine vom Zaun gebrochen wurde, macht sich in der Bevölkerung immer deutlicher bemerkbar. Während die steigende Inflation, die Verteuerung von Lebensmittel und besonders die steigenden Energiekosten von den Herrschenden dem Verhalten Russlands in die Schuhe geschoben wird, spricht die Realität eine andere Sprache. Sowohl der militärische als auch ökonomisch Krieg ist keiner monokausalen Erklärung geschuldet, sondern Resultat einer langkettigen Entwicklung, an der sowohl die Russische Föderation als auch die NATO-Staaten beteiligt sind: einseitige Schuldzuweisungen sind dabei ein beliebtes Instrument der jeweiligen Propaganda, um die eigene Bevölkerung einerseits zum Gehorsam zu diktieren und andererseits, die politischen Machtverhältnisse zu verschleiern. Denn das größte Opfer des Wirtschaftskriegs ist nicht die herrschende Klasse, sondern die Mehrheit der Bevölkerung, der unterdrückten Klasse. Davon ist auch die BRD betroffen, deren herrschende Klasse nicht müde wird zu betonen, dass die Teuerung von Lebensmitteln, die horrenden Gaspreise und die schleichende Verarmung der Gesellschaft nur ein temporärer Schaden darstellt, um etwas Größeres zu erreichen. Diese faktisch imperialistische Auseinandersetzung zwischen dem Westen und der Russischen Föderation zwingt nun die Menschen auf die Straße, um diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.

Bereits Wochen vor den ersten Ankündigungen, dass man im Herbst in der BRD auf die Straßen gehen wird, um gegen die hohen Preise zu protestieren, wusste die herrschende Klasse mitsamt ihrem Inlandsgeheimdienst, was es damit auf sich zu haben scheint. Dieser Protest könne nur ein rechter als auch antidemokratischer sein, denn das Narrativ, wer gegen die Politik der herrschenden Klasse ist, sei automatisch ein Freund Russlands, wird seit dem scholzschen Ausruf der „Zeitenwende“ permanent wiederholt. 100 Milliarden Euro Sondervermögen sind schnell verabschiedet, aber geht es um die Entlastung der Bevölkerung aufgrund der Folgen des Wirtschaftskrieges, wird jeder Cent zweimal umgedreht, wenn nicht gleich von vornherein in paternalistischer Manier abgelehnt. Der Verweis auf die Wiedereinführung der Schuldenbremse, das Lieblingsprojekt des neoliberalen Finanzministers Christian Lindner (FDP), entpuppt sich als blanker Hohn, denn geht es um die Rettung großer Energiekonzerne, die durch die antirussischen Sanktionen in Existenznot gerieten, ist man schnell zur Hand. Überhaupt geht es bei der Entlastung nur sekundär um die einfache Bevölkerung, wie bei der Gasumlage zu sehen ist.

Dass nun am 5. September 2022, dem kommenden Montag, in Leipzig, der erste große Protest auf die Straße geht, wurde zuletzt dahingehend skandalisiert, weil neben der AfD und den Faschist*innen von den „Freien Sachsen“ auch die Linkspartei um Sören Pellmann dazu aufrief. Die Rolle der Linkspartei ist ohnehin eine diametrale und die Frage ihrer Existenzberechtigung wird immer dringender. Funktionseliten der Partei, darunter der Ministerpräsident Thüringens Bodo Ramelow, machte schnell deutlich, dass man nicht mit Faschist*innen auf die Straße gehen können, womit er in das gleiche Horn blies, wie die herrschende Klasse und ihre Apparate. Doch sollen Linke von den Straßen fernbleiben, weil Faschist*innen und andere Rechte ähnliche Forderungen stellen? Dass diese Frage überhaupt diskutiert wird, zeigt das hoffnungslose Moment innerhalb der politischen Linke, die ihre Rolle innerhalb einer bürgerlichen Gesellschaft wohl verlernt hat. Freilich marschiert man nicht mit Faschist*innen und anderen Rechten, sondern macht ihnen die Straße streitig und muss dahingehend erst recht Präsenz zeigen, um die Unterschiedlichkeit der Forderungen in den Vordergrund zu stellen.

Der Ruf nach Frieden, das Ende des Wirtschaftskriegs und eine spürbare Entlastung der Bevölkerung bis hin zu radikalen Forderungen wie der Vergesellschaftung von Energiekonzernen sind kein Alleinstellungsmerkmal der radikalen Rechten, sondern genuin linke Forderungen, für die es nun dringender denn je ist, die Stimme zu erheben. Die Montagsdemonstration und der weitere Protest müssen aus dem heißen Herbst einen roten Herbst machen, der die Systemfrage in den Vordergrund stellt und klar den dialektischen Charakter dieser Zeit benennt. Der dringend antifaschistische und antiimperialistische Protest muss sich sowohl gegen die herrschende Klasse als auch gegen die Demagogie der radikalen Rechten richten. Man darf der radikalen Rechten nicht auf den Leim gehen, dass sie sich plötzlich für die soziale Frage interessiert und ein ernstes Interesse daran hat, das herrschende System durch eine befreite Gesellschaft zu ersetzen. Dass das bürgerliche System in der Not mit dem Faschismus paktiert, ist kein Geheimnis, sondern wurde in den vergangenen 100 Jahren immer wieder unter Beweis gestellt. Den linken Protest nun unter Zuhilfenahme der „Totalitarismustheorie“ mit dem rechten Protest zu parallelisieren, ist ein Instrument, um innenpolitisch das System zu stabilisieren, während außenpolitisch beispielsweise die Faschisierung der Ukraine hingenommen und unterstützt wird.

Es ist daher dringende Pflicht der politischen Linken, die Wut innerhalb der Bevölkerung in eine Richtung zu kanalisieren, die sich nicht mit populistischen Plattitüden beschäftigt, sondern eine Antwort liefert, die dahingehend konkludieren muss, das herrschende System durch eine sozialistische Gesellschaft zu ersetzen. Der Wirtschaftskrieg und die antirussischen Sanktionen müssen sofort eingestellt, die Profiteur*innen der Krise zur Kasse gezwungen und der faktische Klassenkampf im Inneren zuungunsten der Herrschenden gelenkt werden. Die scholz’sche „Zeitenwende“ ist die Einleitung eines sterbenden Systems, dessen Verschiebung der Machtverhältnisse nur durch einen Klassenkampf gelöst werden kann. Die politische Linke darf den Kampf nicht aufgeben und muss dem Narrativ widerstehen, dass auf den Straßen nur Rechte und Rechtsradikale sein werden. Es wird nicht vereint marschiert, sondern an zwei Fronten gleichzeitig gekämpft: einerseits gegen die Politik der herrschenden Klasse zur Überwindung des Systems, andererseits gegen den rechtsradikalen Protest, der zur Verteidigung des Systems, jedoch in seiner barbarischen Umformung eintritt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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