Aufnahme von Geflüchteten in Riace und Repression

Orte des Willkommens Die Ausstellung „Jenseits von Lampedusa – Willkommen in Kalabrien“ möchte „zeigen, dass ein anderer Umgang mit der ‚Flüchtlingsproblematik‛ möglich ist und für Alle Vorteile bringen kann.“

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Die Ausstellung Jenseits von Lampedusa – Willkommen in Kalabrienzeigt die Geschichte und Gegenwart der Migration in Kalabrien, die in zwei Richtungen stattfindet. Denn dort im Süden, in der ärmsten Region Italiens, gibt es keine Arbeitsplätze und keine wirtschaftlichen Perspektiven. Nahezu jede ökonomische Aktivität wird von der Mafia erdrosselt. Darum wandern seit Generationen die Einwohner*innen ab, in den Norden oder nach Übersee. Zurück bleiben die Alten, vor allem die Bergdörfer sind vom Aussterben bedroht.

Nun kommen jedoch seit Jahrzehnten Geflüchtete nach Italien, vor allem junge Menschen, viele von ihnen mit Kindern. Wer es trotz der brutalen und oft tödlichen Flüchtlingsabwehr der EU nach Europa schafft, landet in Lagern und muss dort unter menschenunwürdigen Bedingungen ausharren. Diese Lager sind ein proftables Geschäftsfeld und werden oft von der Mafia betrieben. Die kalabrische Mafia N’drangheta gilt als eine der mächtigsten und weltweit am besten vernetzten Mafiaorganisationen. Sie ist auch in Deutschland aktiv. Der Verein „Mafia nein danke“ klärt darüber auf und bemüht sich um Gegenwehr.

Riace, das Dorf des Willkommens

Das Bergdorf Riace im süditalienischen Kalabrien hat seit Ende der 1990er Jahre Geflüchtete aufgenommen. Als Ort des Willkommens und Gegenmodell zur Abschottungspolitik der EU fanden Riace und sein früherer Bürgermeister Domenico (Mimmo) Lucano weltweit Anerkennung.

Im Unterschied zu profitablen Flüchtlingslagern, in denen die Schutzsuchenden unter oft menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht wurden, fanden sie in Riace freundliche Aufnahme. Das Dorf litt schon lange unter der Abwanderung Einheimischer, die auf der Suche nach bezahlter Arbeit in den Norden oder nach Übersee gingen. Zurück blieben vor allem die Älteren, viele Häuser standen leer. Mit dem Zuzug von überwiegend jüngeren Geflüchteten kam wieder Leben nach Riace.

Alternativen zu Abwanderung und Mafia

Riace und andere kalabrische Dörfer stellen eine würdige Alternative dar, indem sie Geflüchtete freundlich willkommen heissen und der Mafia widerstehen. Damit beleben sich ihre Dörfer und es entstehen vorbildliche Modelle Solidarischen Wirtschaftens. Diese sind jedoch oft nur begrenzt nachhaltig – auch weil eine zunehmend rassistische Flüchtlingspolitik sie zu zerstören versucht. Und trotzdem gibt es immer wieder hoffnungsvolle Ansätze.

Im Oktober 2018 wurde Domenico Lucano abgesetzt und es begann eine Welle von offensichtlich politisch motivierten repressiven juristischen Maßnahmen gegen dieses einmalige Willkommensprojekt. Bis heute dauern die Prozesse gegen Lucano und seine Mitstreiter*innen, in denen es zu einer Reihe von falschen Beschuldigungen kam, an. Ihnen drohen hohe Gefängnisstrafen und Strafzahlungen, es gibt aber auch die Hoffnung auf Freispruch im derzeit laufenden Berufungsverfahren. Das Urteil wird für den 20. September 2023 erwartet.

Topographien der Menschlichkeit

Die Ausstellung Jenseits von Lampedusa – Willkommen in Kalabrien ist Teil einer Reihe von Wanderausstellungen unter dem Titel Topographien der Menschlichkeit“ des Vereins „Courage gegen Fremdenhass“.

Eine weitere Ausstellung „Rettungswiderstand in Dieulefit“ zeigt, wie in einer „kleinen südost-französischen Stadt mit ihrem bäuerlichen Umland [...] eine bedeutende Zahl von gefährdeten Menschen – unter ihnen viele Kinder –, vor den Schergen des Vichy-Regimes und den Nazi-Okkupanten gerettet wurden. Die zumeist ziemlich non-konformistischen Heldinnen und Helden dieser Erfolgsgeschichte werden portraitiert ohne den gesellschaftlichen Kontext zu vergessen.“

Die Ausstellung „Vom Scheitern eines anberaumten Massenmordes - Bulgarien 1934 – 1944“ beleuchtet, wie – trotz Kollaboration der Bulgarischen Regierung mit dem Regime Nazideutschlands – „der alt-bulgarischen Zivilgesellschaft gelingt [...], in letzter Minute jegliche Deportationen zu verhindern. Dieser Rettungswiderstand zeichnet sich durch seine gesellschaftliche Vielfalt und eines sich massiv manifestierenden menschlichen Engagements aus.“

DieAusstellung Jenseits von Lampedusa – Willkommen in Kalabrien wird vom 01.09.bis 13.10.2023 im Foyer des Robert-Havemann-Saal im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin, gezeigt (werktags von 10:00 Uhr bis 17:00, bitte kurz vorher bei der Verwaltung melden).

Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:

Fr. 01.09.2023, 19h: Vernissage und Vortrag Elisabeth Voß: Aufnahme von Geflüchteten in Riace und Repression.

Fr. 08.09.2023, 19h: Vortrag Anna Tüne (Kuratorin der Ausstellungsreihe, in Dieulefit aufgewachsen): Südismus heißt der Rassismus in Frankreich.

VERSCHOBEN:

Meine urspr. für Mo. 11.09.2023 geplante Lesung aus dem Buch von Mimmo Lucano: Das Dorf des Willkommens (Buchbesprechung in der Graswurzelrevolution) muss wegen Erkrankung der Veranstalterin verschoben werden. Sie wird voraussichtlich im November 2023 (dann ausserhalb der Kalabrien-Ausstellung) stattfinden.

Flyer zur Ausstellung.

Zum Ausstellungskatalog habe ich den Artikel „Orte des Willkommens in Deutschland?“ beigetragen.

Informationen über Riace sammle ich hier: www.riace.solioeko.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

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