Ich hatte Corona – und wurde auf AirBnB für eine Betrügerin gehalten
Halsschmerzen Fieber, Schüttelfrost: Was ist das?! Corona positiv, das gibt es doch nicht mehr? Und wo kauft man jetzt Masken? Unsere Autorin erlebte den verrückten Umgang mit einer Krankheit, die längst abgeschafft wurde
Es ist wieder unter uns, aber wir tun, als ob nichts wäre
Illustration: der Freitag
„Vielleicht gehst du lieber zur Ärztin? Es könnte auch Pfeiffersches Drüsenfieber sein!“ Ich schlucke, der Hals ist geschwollen, die Lymphknoten prall, jede Kopfbewegung schmerzt, am Telefon diskutiere ich mit der Familie, was das für eine ominöse Krankheit sein könnte. Ping, macht meine Bahn-App: „Ihr Anschlusszug in München verspätet sich um 10 Minuten.“ Da sollte ich jetzt eigentlich sitzen, Richtung Italien. Aber ich sitze nicht im Zug kurz vor München, ich liege im Bett, freie Sicht auf gepackten Rucksack samt Sonnenhut. Pfeiffersches Drüsenfieber, echt?
Abends dieses Ziehen tief unten in der Brust, es kommt mir irgendwie bekannt vor, mit Schüttelfrost und diesen fiesen Kopfschmerzen. Woher kenne ich das noc
ch das noch? Da kriecht es langsam meine Hirnwindungen entlang: Ah, vielleicht … Gibt es denn noch … Tests? Wie heißen die noch mal, die man selbst machen kann?In der Drogerie: nichts. Gab es nicht mal diese Ständer direkt am Eingang, mit Tests und Masken? In der Apotheke bekomme ich einen. Zwei dicke roten Streifen. Coronatest positiv.Also zur Ärztin, Krankschreibung. Telefonisch: kein Durchkommen. Ich schreibe eine E-Mail: Liebe Praxis, Corona-Infektion, Krankschreibung, wie läuft denn das jetzt, muss ich vorbeikommen? Automatische Antwort: Liebe Patientin, seit April dieses Jahres ist keine telefonische Krankschreibung mehr möglich, Sie müssen bitte in der Praxis vorstellig werden. Kurzer Flashback, erste Corona-Infektion, Januar 2021: Gesundheitsamt verständigen, Quarantänepflicht, Kontrollanrufe, ob ich wirklich zu Hause bin. 2023: Ab in die Praxis.„Wir müssen einen PCR-Test machen und Corona melden“Anziehen, Schweißausbrüche. Kommt mir komisch vor, so rauszugehen, war da nicht was? Ach ja, Maske! Ich suche alle Schubladen durch, keine Maske, suche Jacken aus dem Winter raus, da, in einer Tasche, finde ich eine alte Maske, aber so eine falsche. Also so eine dünne, blaue. Wie heißen die noch, die richtigen? Also nicht die viereckigen, sondern die dicken, eher runden? Irgendwas mit P? Ist das Brainfog? Ach ja: FFP2. In einer anderen Tasche finde ich sie. Himmel, wie haben wir denn immer damit atmen können?An der Praxistür ein altes vergilbtes Schild: „Bei Erkältungssymptomen bitte draußen bleiben.“ Ich zögere. Aber in der E-Mail stand doch …? Ich gehe rein, volles Wartezimmer, Fenster zu, dicke Luft, alle Augen zu mir: Die trägt Maske? Ich gehe zum Tresen: „Ich habe Corona, ich brauche eine Krankschreibung, ich warte draußen?!“ Verwirrtes Nicken. „Gesundheitskarte.“Ich setze mich auf eine Bank vor der Praxis. Nach fünf Minuten: Schweißausbrüche. Nach zehn Minuten: nasser Rücken. Nach 20 Minuten: Schwindel. Ich nehme die Maske ab. Dann öffnet sich ein Fenster vor mir, eine Pflegerin hält ein Klemmbrett raus: Corona-Formular. „Ich brauche doch nur eine Krankschreibung.“ Die Frau: „Wir müssen das dokumentieren. Mit Test.“ „Ich hab schon einen Test gemacht.“ „Einen PCR-Test?“ „Nein, einen ...“ Verdammt, wie heißen die noch mal? „Einen ... einfachen Test.“ „Wir müssen einen PCR-Test machen“, insistiert sie. „Übernimmt die Kasse.“ Hätte ich keinen Schnelltest gemacht und mich wegen Grippe ins Wartezimmer gesetzt, hätte ich dann einfach eine Krankschreibung ohne Test bekommen?Aber wer fragt mit 39 Fieber schon nach Sinn. Ich kreuze an: Fieber, Schüttelfrost, Muskelschmerzen, Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, ja, ja, ja. Inzwischen warten zwei weitere Menschen neben mir, blass, Schweiß auf der Stirn, auch sie bekommen Klemmbretter, kreuzen an. Rückkehr der Zombies.Hühnersuppe, Puddingbeine, Netflix„Sagen sie lange A.“ A. Würg. „Das haben Sie toll gemacht. Das Ergebnis lesen Sie dann hier ab, Sie müssen ...“ „Kenn ich schon.“ „Okay, dann … gute Besserung.“ „Aber die Krankschreibung!“Wieder im Bett, gebuchte Airbnb absagen: „Due to a Covid infection ...“ Die erste Antwort: „Komische Absage, da Covid doch nicht mehr existiert? Aber ich cancele, gute Besserung.“ Ist das Ironie? Bei der zweiten Buchung wird es kompliziert: Meine Freundinnen fahren ohne mich, ich komme eventuell später nach, vielleicht auch nicht. „Also kommen Sie oder nicht?“ Ich erkläre den Fall. Die Vermieterin: „Ich brauche alle Ausweise, gleich nach Ankunft.“ Keine gute Besserung, nichts. Okay.Ich liege im Bett, drei, vier, fünf Tage. Dann die Nachricht: „Ich brauche die Ausweise, bitte, von allen Gästen.“ Ich schreibe meine Freundinnen an: Könnt ihr bitte Fotos von den Ausweisen an die Vermieterin schicken. „Machen wir.“ Auf dem Sofa, zehn Tage. Berliner Regen. Alle im Urlaub. Hühnersuppe, Puddingbeine, Netflix.Ich packe meine Sachen um, vom großen in den kleinen Rucksack: Jetzt wird geflogen. Sorry Klima, ist Corona. Ein paar Tage Urlaub, schwimmen, Sonne. Juhu, Corona ist wieder weg! Dann die Nachricht von Airbnb: „Die Vermieterin hat dir eine Bewertung hinterlassen.“ Die Bewertung: „Die Mieterin kam nie hier an, unglaubwürdige Absage, begründet mit Covid. Stattdessen zwei Gäste ohne sie. Das legt die Vermutung einer illegalen Untervermietung nahe.“ Ich frage nach, die Vermieterin: „Sorry, es klang alles komisch. Covid?!“Long Covid? Du kannst doch nicht ständig krank sein!Dann ist Corona wieder da. Halsschmerzen, Nase zu, Stimme weg, Hustenanfälle, Schwäche, Müdigkeit. Erster Arbeitstag, die Kolleginnen: „Bist du noch immer krank?! Du kommst doch aus dem Urlaub, und warst vorher schon krank?“ „Die Symptome kamen irgendwie einfach … wieder.“ Long Covid ist kein Begriff mehr, denn es folgt eine Flut gut gemeinter Ratschläge: Mehr ausruhen. Mehr Sport machen. Mehr schlafen. Zink! Immunsystem stärken. Du kannst doch nicht ständig krank sein.Okay, chillen. Ich gehe am Urbanhafen in Berlin spazieren. Die Sonne scheint über das Wasser, die Wiese ist voller junger Menschen, sie spielen Musik, die eine Gitarre, die anderen hören über ihre BoomBoxen Techno, es wird gelacht und getrunken, dahinter ragt das graue Krankenhaus auf. Noch eine leichte Erinnerung schwebt aus meinem umnebelten Gehirn an die Oberfläche: Party auf Gummibooten, hier auf dem Wasser, Techno und Tanz im Mai 2020, eine Bootsparade zur Rettung der Berliner Clubs, dann ein riesiger Shitstorm auf Twitter: „Wie kann man nur auf dem Wasser tanzen, während im Krankenhaus Menschen um ihr Leben ringen?!“ Ich drehe mich um, schaue auf die Krankenhausfenster. Dadrin liegen auch jetzt kranke Menschen, dadrin ringen auch jetzt Menschen um ihr Leben. Vorne wird getanzt und gesungen. Ist jetzt in Ordnung.Entweder Corona ist an, oder es ist aus. Ambiguitätstoleranz nennen wir die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten auszuhalten. Können wir nicht so gut.Jetzt ist Corona aus. Heißt: Die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern sind wieder egal, über würdiges Kranksein und würdiges Sterben wird nicht mehr diskutiert. Corona aus, das heißt: Arbeiten, bis der Rotz in die Tastatur fließt, und wem es länger schlecht geht ist als drei Tage, soll mehr Sport machen.Corona ist aus, und wer krank wird, ist eine Betrügerin. Die Anzeige auf Airbnb konnte ich abwenden.