Machtverhältnisse am Hindukusch

Afghanistan Hintergründe zu Karzais Washington-Besuch

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Vergangene Woche befand sich Afghanistans Präsident Karzai in Washington. Nach dem Treffen mit Barack Obama ließ dieser verlauten, dass die USA in Zukunft nur noch eine „Unterstützerrolle“ am Hindukusch spielen werden. Wer jedoch denkt, dass Afghanistan bald unabhängig und eigenständig sein wird und dass die Amerikaner sich komplett zurückziehen werden, ist mehr als nur naiv.

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Seit mehr als einem Jahrzehnt befinden sich fremde Soldaten am Hindukusch. Die Afghanistan-Intervention des Westens kann man als ein einziges Chaos bezeichnen. Unmittelbar nach den Anschlägen des 11. Septembers wurde das Taliban-Regime um Mullah Omar angegriffen und zeitweilig vertrieben, indem man sich mit blutrünstigen Warlords der Nordallianz zusammenschloss. Der Drogenanbau, der unter den Taliban brach lag, begann zu florieren. Mittlerweile stammen nahezu fünfundneunzig Prozent des weltweiten Opiums aus Afghanistan. Währenddessen betrieb der afghanische Präsident fleißig Vetternwirtschaft und die Warlords sitzen mit vollen Taschen im Parlament. Die US-Soldaten in Afghanistan machten ihrem Ruf alle „Ehre“, indem sie immer wieder mit Vergewaltigungen, Leichenschändungen und Massenmorden auf sich aufmerksam machten. Ihr „Commander in Chief“, der Präsident höchstpersönlich, erhielt im Schatten dieser Ereignisse den Friedensnobelpreis. Als „Dank“ dafür verschärfte er seinen ganz persönlichen Drohnen-Krieg im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet.

Ob Karzai und Obama über all diese Themen gesprochen haben, weiß man nicht. Man wird es auch nie erfahren. Stattdessen schüttelte man sich vor den Kameras die Hände und sprach von „Unterstützung“, von einem „ursprünglichen Ziel“ und sogar von einer „afghanischen Souveränität“. In Anbetracht der Realität in Afghanistan können diese Worte nur ein schlechter Scherz sein. Der zentralasiatische Staat gehört schon längst zu den Opfern der neokolonialistischen US-Politik, die auf alles mögliche abzielt, nur nicht auf eine Unabhängigkeit. Allein die errichteten Militärbasen der Amerikaner sprechen für sich. Die zwei Hauptbasen befinden sich gegenwärtig in Bagram und in Kandahar. In beiden Lagern werden tagtäglich Menschenrechte gebrochen, hauptsächlich durch Folter.

Der Sinn und Zweck einer solchen Errichtung ist die dauerhafte Präsenz von Soldaten im jeweiligen Land. Diese Präsenz wurde in diesem Fall mit der afghanischen Regierung vertraglich abgewickelt und geht über mehrere Jahrzehnte. De facto werden also auch nach 2014 mehrere Zehntausend US-Soldaten ihrem Dienst in Afghanistan nachgehen. Ein weiteres Thema, über das ungern gesprochen wird, ist die Anwesenheit von zahlreichen Söldnern am Hindukusch. Diese sind hauptsächlich bei privaten US-Unternehmen wie Blackwater/Xi angestellt, die wiederum von der amerikanischen Regierung angeheuert werden. Vor einiger Zeit schrieb ich auch darüber, dass afrikanische Freischärler im Auftrag dieser Firmen handeln und ausgebeutet werden.

Der Stützpunkt Afghanistan wird keinesfalls von den Amerikanern aufgegeben werden. Die vorhandenen Militäreinrichtungen werden weiterhin erhalten bleiben, damit man auf sie im Falle eines Iran-Kriegs zurückgreifen kann. Die Wahlen 2014 werden ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Präsident Karzai, der von so ziemlich allen Afghanen als amerikanische Marionette betrachtet wird, darf dann nicht mehr kandidieren. Es wird sich die Frage stellen, für welchen Kandidaten sich die Amerikaner entscheiden werden. Wer immer noch denkt, dass diesbezüglich nur das afghanische Volk zu entscheiden hat, liegt gewaltig daneben. Schon die letzten Wahlen wurden manipuliert, so dass Karzai sie für sich entscheiden konnte. Dies wurde von den Herrschaften im Weißen Haus nicht nur toleriert, sondern insgeheim auch begrüßt.

Die Kandidaten für die nächsten Wahlen stehen noch nicht fest, doch einige munkeln schon, dass man sich für einen Verwandten Karzais entscheiden wird. Sein Bruder Qayum würde sich hierfür anbieten. Weitere mögliche Kandidaten, die der US-Politik gegenüber freundlich gesinnt sind, wären unter anderem der Chef des afghanischen Geheimdiensts, Assadullah Khaled, sowie der US-Sonderberater für Afghanistan, Zalmay Khalilzad. Khaled überlebte erst vor Kurzem ein Selbstmordattentat und wird derzeit in einer Klinik in Virginia behandelt. Assadullah Khaled wird gegenwärtig von den Medien hochstilisiert, da ihm Barack Obama höchstpersönlich in der Klinik einen Besuch abstattete. Des Weiteren gilt der Geheimdienstchef als erklärter Feind der Taliban, die sich zum jüngsten Anschlag auf ihn bekannten. Allerdings wird Khaled von Menschenrechtsorganisationen für zahlreiche Verbrechen, die er während seiner Amtszeit als Gouverneur der Provinz Ghazni begangen haben soll, verantwortlich gemacht.

Viel eher würde sich das Weiße Haus einen Kandidaten wie Zalmay Khalilzad wünschen. Der Republikaner Khalilzad gehörte einst zu den engsten Vertrauten George W. Bushs und war dessen Sondergesandter bei den Vereinten Nationen. Abgesehen davon war er US-Botschafter im Irak und ist zur Zeit Sonderberater des US-Außenministeriums für Afghanistan. In der Vergangenheit war Khalilzad auch als Berater für die Ölgesellschaft Unocal tätig. Man sieht, Khalilzad ist den Amerikanern nicht nur bekannt, er ist sogar Teil ihres Systems. Die Frage ist, ob das afghanische Volk eine derartige Person überhaupt als Präsidentschaftskandidaten akzeptieren wird. Khalilzad hat keinerlei Bezug zur afghanischen Gesellschaft, er ist mit einer österreichisch-amerikanischen Schriftstellerin verheiratet, seine Söhne heißen Alexander und Maximilian und leben in den Vereinigten Staaten.

Kritiker sind der Meinung, dass Khalilzad in seiner Rolle als US-Berater einer der Hauptverantwortlichen für die Miseren im Irak und in Afghanistan ist. Unter anderem wird er als „neokonservativer Schützling von Bush und Cheney“beschrieben, der niemals im Interesse Afghanistans handeln wird, sondern nur dafür da ist, die imperialistische Vormachtstellung der USA im Nahen Osten zu vertreten.

Im Anbetracht der Tatsachen kann man sich sicher sein, dass die USA am Hindukusch auch im nächsten Jahr, wahrscheinlich sogar über das ganze nächste Jahrzehnt hinweg, eine wichtige Rolle spielen wird. Wer tatsächlich denkt, dass die zahlreichen Verbrechen an die afghanische Bevölkerung bald ein Ende haben werden, ist leider ein Idealist. Wer realistisch ist, weiß, dass die Drohnen-Angriffe weiterhin zunehmen werden, der Drogenanbau weiterhin ausgeweitet wird und die Menschenrechtsverbrechen der fremden Soldaten sowie der von ihnen angeheuerten Warlords weiterhin stattfinden werden. Bezüglich den US-Soldaten in Afghanistan hat Obama übrigens eine baldige Immunität verlangt. Dadurch könnten diese ganz „legal“ auf Zivilisten schießen, Dörfer bombardieren und foltern. Währenddessen werden die radikalen Kräfte um den Taliban weiterhin zunehmen, denn dafür wird der US-Verbündete Pakistan sorgen.

Die Lage in Afghanistan schaut wahrhaftig nicht rosig aus. Gerade zu dieser Jahreszeit macht der berüchtigte afghanische Winter den Menschen dort zu schaffen. Währenddessen genießt Karzai seine Zeit in den USA und die reich gewordenen Warlords residieren in ihren Villen. Wie lange die afghanische Bevölkerung das noch mitmachen wird, steht in den Sternen geschrieben.

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