Sexuelle Gewalt und Doppelmoral in Indien

Missbrauchfall Demonstranten fordern Todesstrafe, während andere Verbrechen toleriert werden

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Vor einer Woche wurde eine 23-jährige Studentin in Neu-Delhi in einem Bus von sechs Männern vergewaltigt. Die junge Frau erlitt schwere Verletzungen und wurde bis jetzt mehrmals operiert. Seitdem kam es zu heftigen Demonstrationen und Gewaltausschreitungen. Währenddessen wird völlig außer Acht gelassen, dass derartige Verbrechen in einigen Regionen Indiens zum Alltag geworden sind und noch dazu vom Staat toleriert werden.

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Die Vergewaltigung der indischen Studentin schlägt hohe Wellen. Weltweit sind Politiker und Medien über diesen grausamen Vorfall schockiert und empört. In einigen Städten Indiens kam es zu gewalttätigen Demonstrationen, die bis jetzt zwei Todesopfer forderten. Die Demonstranten sind wütend und verlangen härtere Strafen für Sexualstraftäter, einige fordern sogar die Todesstrafe

Währenddessen spricht niemand über die Verbrechen, die sich tagtäglich in der von Indien besetzten Region Kaschmir abspielen. Dort steht sexuelle Gewalt seitens der indischen Soldaten und Polizisten an der Tagesordnung. Ein Beispiel hierfür ist das Schicksal von Saira Bano. Sie wurde knapp eine Woche nach ihrer Hochzeit von einer Gruppe von Soldaten vergewaltigt. Daraufhin wollte ihr Mann sie nicht als Ehefrau akzeptieren.

Saira Banos Schicksal teilen viele Frauen in Kaschmir. Missbrauchsfälle werden jedoch aus Angst selten gemeldet. Einerseits fürchtet man sich vor Racheaktionen der Täter, andererseits wäre dann der Ruf der Frau innerhalb der Gesellschaft zerstört. Opfer von sexueller Gewalt finden meistens keinen Heiratspartner und werden gewissermaßen ausgestoßen und nicht toleriert.

Die Einwohner Kaschmirs erinnern sich noch an das schrecklichste Ereignis dieser Art, welches in den 1990ern stattfand. Damals wurden unter anderem im Dorf Kunan Pospora mehr als hundert Frauen von indischen Soldaten vergewaltigt. Unter den Opfer befanden sich auch Minderjährige und ältere Frauen. Das älteste Opfer war achtzig Jahre alt. Dieses Verbrechen wurde vom UN-Menschenrechtsrat ausführlich dokumentiert. Bis heute werden die Vorwürfe vom indischen Militär bestritten.

Allein 2008 wurden im indischen Bundesstaat Manipur 141 sexuelle Gewaltdelikte aufgezeichnet, Tendenz steigend. Die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen. In Manipur ist es üblich, dass hauptsächlich Hindus der höheren Kasten sexuelle Gewalt ausüben und dann ungestraft davon kommen. Die Liste der Verbrechen ist lang. Von Vergewaltigungen bis hin zu Mord und Menschenhandel kann man alles finden.

Über diese Zustände hat sich vor Kurzem auch die indische Autorin und Menschenrechtsaktivistin Arundhati Roy beklagt. Während man die Täter des Neu-Delhi-Falls hart bestrafen will, werden die Verbrechen der indischen Armee weiterhin toleriert. Auch andere Kritiker werfen der indischen Gesellschaft Doppelmoral vor. Wie kann man plötzlich die Todesstrafe fordern, während die grausamen Soldaten von Kaschmir weiterhin auf freiem Fuß sind und zu keinerlei Rechenschaft gezogen wurden? Das Gleiche gilt für Verbrecher aus den höheren Kasten, die quasi vom indischen Gesellschaftssystem und von hohen Würdenträger beschützt werden.

Vor allem in Kaschmir wundern sich viele Menschen über die gegenwärtigen Ausschreitungen. Viele fragen sich, wo die Demonstranten in den großen Städten waren, als ihre Dörfer von indischen Soldaten überfallen wurden.

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