Von Kabul nach Innsbruck

Asylpolitik Afghanische Flüchtlinge in Österreich

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Das Schicksal afghanischer Flüchtlinge in Europa schafft es selten in die Schlagzeilen. Drei von ihnen haben es nach Innsbruck geschafft. Die Lebenspfade der Afghanen im Exil verlaufen dabei so unterschiedlich wie ihr Weg nach Österreich.

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Salim* ist gerade neunzehn Jahre alt geworden. Er arbeitet in einem Restaurant in Innsbruck, dort ist er in der Küche als Aushilfe für so zeimlich alle anfallenden Arbeiten angestellt. Trotzdem ist er glücklich, denn noch vor ein paar Jahren war er ganz wo anders. Der junge Salim stammt ursprünglich aus Afghanistan und gehört zur Minderheit der Hazara, die durch ihre mongolischen Gesichtszüge leicht erkennbar sind. Er stammt aus der Provinz Bamiyan, jenes Bamiyan, in dem sich die von den Taliban zerstörten Buddha-Statuen befinden. Als der afghanische Bürgerkrieg in den 1990er-Jahren ausbrach, flüchtete Salims Familie wie viele andere Hazara in den Iran. Die Hazara bekennen sich zum schiitischen Islam. Da dieser im Iran Staatsreligion ist, erhofften sich viele Hazara dort eine bessere Zukunft.

Obwohl der Iran für westliche Verhältnisse alles andere als ein ruhiges und friedliches Land ist, sah sich Salims Familie dort in Sicherheit, weit weg vom blutigen Bürgerkrieg der afghanischen Warlords. Gleichzeitig begegnete ihnen den Hass vieler iranischen Bürger, die in den afghanischen Flüchtlingen den perfekten Sündenbock fanden. In iranischen Gefängnissen kann man bis heute noch einige tausend Afghanen finden, die aus fadenscheinigen Gründen zum Tod durch den Strang verurteilt wurden. Was sie getan haben sollen und ob ihre Schuld überhaupt bewiesen ist, das ist unklar und wird wohl auch so bleiben. Afghanischen Kindern und Jugendlichen ist der Schulbesuch in iranischen Schulen untersagt, es sei denn, sie besitzen eine so genannte Identitätskarte, also eine Art Ausweis. Selbst dann müssen afghanische Kinder der zweiten Generation für den Besuch einer staatlichen Schule Geld zahlen. Geld, welches für viele Afghanen nicht zu beschaffen ist. Salim stammt aus einer Arbeiterfamilie. In seinem Dorf in Bamiyan gab es keine Schule, im Iran gab es viele, für ihn und für seine Geschwister blieben sie aber verschlossen.

Während die jungen Menschen im Iran nach Freiheit lechzen, diskriminieren sie gleichzeitig Minderheiten wie die Afghanen fast tagtäglich. Salim und seine Familie lebten in bitterer Armut, bis sich Salim eines Tages dazu entschloss, nach Europa zu gehen. Der Weg war alles andere als ungefährlich. Zunächst verschlug es ihn vom Iran über die Türkei bis nach Griechenland. Auf dem Weg sah er viele andere Flüchtlinge, zerbrochene Menschen, die all ihr Hab und Gut und ihre Verwandten verloren hatten und drogensüchtig oder verrückt wurden. Insbesondere in Griechenland hatte Salim eine schwere Zeit. Dort wurden er und andere afghanische Flüchtlige immer wieder von Polizisten verprügelt und schikaniert. Asylanten erhalten in Griechenland ein einmonatiges Bleiberecht, wenn sie danach das Land nicht verlassen, werden sie ins Gefängnis gesteckt. Menschenrechtsorganisationen haben gegen die katastrophalen Haftbedingungen in den griechischen Knästen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt.

In den Straßen des bankrotten Athens bemerken viele Afghanen, dass ihre Wunschvorstellung von Europa nie wirklich existiert hat

Salim fand in Athen viele Freunde, die er später nie wieder sah. Sie lebten auf der Straße oder zwischen Müllbergen und ernährten sich von dem, was fanden: Zwiebeln, Kartoffeln, mehr gab es nicht und Geld für Lebensmittel hatte auch niemand. In solchen Momenten wünschten sie sich die ihre Heimat zurück. Viele Afghanen geben ihren »Traum von Europa« in Griechenland auf und kehren nach Afghanistan zurück. In den Straßen des bankrotten Athens bemerken sie, dass ihre Wunschvorstellung von Europa nie wirklich existiert hat.

Salim hat es aber trotzdem irgendwie geschafft, dass europäische Festland zu erreichen. Es verschlug ihn nach Österreich und er hatte das Glück, noch minderjährig zu sein. Die österreichischen Polizisten waren nett zu ihm, brachten ihm warmes Essen, das ihm auch noch schmeckte, und gingen alles andere als schlecht mit ihm um. Immerhin war er zu diesem Zeitpunkt ja noch ein Kind. Erwachsene Flüchtlinge werden allerdings nicht so zimperlich behandelt.

Salim aber bekam eine Aufenthaltsgenehmigung und besuchte kurzzeitig einen Deutschkurs. Die Stelle in dem Restaurant fand er durch Zufall. Für ihn ist sie nur eine kurzfristige Lösung, um seiner Familie im Iran Geld zu schicken. Bald will er einen Hauptschulabschluss nachholen. Dann hätte er auch die Chance, eine Lehrstelle in einem Betrieb zu bekommen.

Konvertieren um zu bleiben

Abbas* ist 23 Jahre alt und gehört ebenfalls der Ethnie der Hazara an. Er besucht die Abendschule und trägt ein Kreuz um seinen Hals. Schon seit zwei Jahren hat er eine Aufenthaltsgenehmigung und arbeitet gelegentlich neben seinem Schulbesuch. Abbas war nicht minderjährig, als er in Österreich ankam. Er schlug einen anderen Weg ein, um in Österreich bleiben zu dürfen. Er konvertierte zum Christentum und meinte, dass die »fanatischen Moslems in Afghanistan« ihn töten würden, falls er abgeschoben werde. Er suchte Kontakte zur ortsnahen Kirche und zu anderen christlichen Organisationen, die sich für ihn einsetzten. Letztendlich klappte es. Gegenwärtig hat Abbas wenig mit Afghanen zu tun. Er trifft sich oft mit Freunden aus seiner »christlichen Gruppe«, besucht oft Discos und Bars und will von Afghanistan und dem Islam nichts mehr wissen.

Mit der Zeit fiel der »Konvertierungstrend« auch den österreichischen Behören auf. Die Praxis bestätigt, dass Hazara-Flüchtlige aus Afghanistan eher dazu neigen, ihren Glauben abzulegen als andere. Deshalb ist es nun auch für Konvertiten schwieriger geworden, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.

Zalmay* ist Paschtune, das Volk, das die Mehrheit der Bevölkerung Afghanistans stellt, und stammt aus Baghlan. Vor drei Jahren verschlug es ihn nach Österreich. Seine Zukunft steht noch in den Sternen. Schon zum zweiten Mal bekam er einen negativen Bescheid, sprich: keine Aufenthalts -oder Arbeitsgenehmigung, bald könnte er abgeschoben werden. Der Grund: Zalmays Geschichte scheint erfunden zu sein, so die österreichischen Behörden. Diese haben ihren afghanischen Gutachter, der in Wien sitzt, damit beauftragt, Zalmays lange und komplizierte Geschichte zu prüfen. In dieser behauptet der junge Paschtune, sich aus Versehen in ein Mädchen verliebt zu haben, dessen Vater ein hoher Taliban-Funktionär sei. Als dieser von der Romanze seiner Tochter erfuhr und der Meinung war, dass Zalmay nicht sein Schwiegersohn werden sollte, beschloss er, ihn zu töten. Zalmay musste anfangs nur sein Dorf verlassen, einige Zeit später bemerkte er aber, dass in ganz Afghanistan sein Leben nicht sicher war.

Der afghanische Asylgutachter in Wien glaubte Zalmays Geschichte nicht

Der afghanische Gutachter schickte seine in Afghanistan lebenden Vertrauten in Zalmays Dorf. Dort wusste anscheinend niemand von einem Talib, in dessen Tochter sich einst Zalmay verliebt hatte. Für die österreichischen Behörden war seine Lüge entlarvt. Sie fanden keinen Grund, Zalmay Asyl zu gewähren, deshalb muss er nun abgeschoben werden. Zalmay aber beharrt auf der Authentizität seiner Geschichte und fühlt sich missverstanden. »Andere kommen hier her und lügen das Blaue vom Himmel herunter! Am nächsten Tag bekommen sie eine Wohnung und du siehst sie arbeiten! Ich, der hier nichts anderes tat, als die Wahrheit zu sagen, soll abgeschoben werden? Bei Gottes Größe, das kann es doch nun wirklich nicht sein!«, sagt Zalmay immer wieder.

Gegen das Urteil will er ankämpfen. Er vermutet, dass der afghanische Gutachter, der der usbekischen Minderheit angehört, etwas gegen Paschtunen habe und wahrscheinlich niemanden in sein Dorf geschickt hat, um seine Geschichte zu überprüfen. Des Weiteren meint Zalmay, dass es für ihn sicherlich nicht in Frage käme, seine Religion oder seine Herkunft für ein Stück Papier zu verleugnen. »Lieber würde ich sterben!«, so Zalmay.

Viele Flüchtlige wie Zalmay haben es nicht leicht. Jahrelang warten sie auf eine positive oder negative Aufenthaltsgenehmigung. Währenddessen leben sie in Flüchtlingsheimen und haben praktisch nichts zu tun, denn arbeiten dürfen sie ja nicht. Einige verleitet das dazu, kriminell aktiv zu werden, wobei das bei afghanischen Asylwerbern eher selten vorkommt.

Für viele Afghanen ist die Lage im Heim bedrückend. In Flüchtlingsheimen treffen gleichzeitig mehrere verschiedene Kulturen und Völker aufeinander. Da sind Probleme, Streitereien und ähnliches vorprogrammiert. Auch Auseinandersetzungen mit der Heimleitung stehen auf dem Tagesprogramm. Da geht es immer wieder um das angebliche Schweinefleisch, welches der Koch als Rindfleisch proklamiert hat oder um den kleinen Kühlschrank, den man im Zimmer nicht haben darf. Die afghanischen Heimbewohner streiten auch gerne untereinander, doch sobald sie einen gemeinsamen Feind haben, verbünden sie sich und greifen diesen erbarmungslos an. So wie es eben auch in Afghanistan ist, wie die Geschichte immer wieder gezeigt hat.

Österreichs Politik macht es afghanischen Flüchtlingen und anderen Asylanten nicht einfach

Zalmay hofft weiterhin, dass er in Österreich bleiben darf. Sein Herz bleibt trotzdem in Afghanistan. Abbas sieht seine Zukunft nurmehr in Österreich, er blickt nicht mehr nach Afghanistan zurück. Er will sich nicht nur integrieren, sondern assimilieren. Salim denkt oft an seine Familie. Er vermisst seine Eltern, seine Geschwister und sein Land. Er will sich eine sichere Existenz aufbauen, damit er sowohl seine Familie, als auch seine Heimat in naher Zukunft unterstützen kann.

Die österreichische Politik macht es afghanischen Flüchtlingen und anderen Asylanten nicht einfach. Der Begriff »Asylant« hat – nicht nur in Österreich – oft einen implizit negativen Beiklang, der gerne auch mal mit unterstelltem Sozialmissbrauch gleichgestellt wird. Viele Menschen haben die Bedeutung des Wortes schon vergessen, viele wissen es aber auch schlicht und einfach nicht. Ein Asylant ist ein Mensch, der aus verschiedenen Beweggründen einen sicheren Zufluchtsort sucht, ein Mensch, der auf Hilfe angewiesen ist.

Viele Asylanten in Österreich würden gerne einer Beschäftigung nachgehen. Für viele muss es auch kein Traumjob sein, sondern einfach nur eine Arbeit, mit der sie etwas Geld verdienen können, bis sich ihr Aufenthaltsstatus geklärt hat. Die Klärung dieses Status kann Jahre lang dauern. Die österreichische Politik und Bürokratie verwehrt diesen Menschen die Möglichkeit, diesen Flüchtligen, einer legalen Beschäftigung nachzugehen. Stattdessen fordern manche Politiker noch härtere und strengere Maßnahmen für Asylanten. Die einen würden sie am liebsten sofort abschieben, die anderen verlangen eine 24-Stunden-Anwesenheitspflicht im Flüchtlingsheim. Damit wären die Männer, Frauen und Kinder quasi den ganzen Tag über eingesperrt, auch wenn manche Politiker dies nicht wahrhaben wollen.

*Namen geändert

Artikel wurde am 28.08.2012 auf Zenith-Online publiziert

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