Der ferngesteuerte Mensch

Vernetzung Eine Polemik

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Mündiger Bürger ist ein Begriff, der uns irgendwie vertraut ist, auch wenn wir die exakten Details dieser Mündigkeit nicht so wirklich genau wissen. Was sind mündige Bürger genau? Bürger, die die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge verstehen um in diesem Staat begründete Entscheidungen zu fällen ohne dabei vom Staat an die Hand genommen zu werden. Oder so. Das allein klingt in unserer ausufernd globalisierten Welt, in der Produkte im Herstellungsprozess mehrere Kontinente durchwandern, in der politische Entscheidungen wie zum TTIP unter Ausschluss größtenteils sogar der Politiker selbst von Interessensgruppen gefällt werden, in der das Einkommensteuergesetz in der gebundenen Ausgabe derzeit 2587 Seiten fasst, völlig illusorisch. Vielleicht muss man diese Mündigkeit etwas enger fassen. Bürger, die um ihre Pflichten wissen und darum wo ihre Rechte aufhören, Bürger die gelernt haben, sich an der äußeren Fassade unserer parlamentarisch-kapitalistischen Marktdemokratie entlang zu hangeln ohne allzu negativ aufzufallen oder dem System zur Last zu fallen. Irgendsowas. Bürger, die die Straßenverkehrsordnung gelernt haben, Bürger die rückwärts einparken können.

Gut, seit der flächendeckenden Einführung der Einparkhilfe in Neuwagen muss man das nicht mehr unbedingt können. Für viele Fahrschulabgänger vermutlich eine riesige Erleichterung, ist doch rückwärts einparken so ziemlich das blödeste beim Autofahren. Aber das ist ja mittlerweile ein alter Hut, das Warnpiepsen als Einparkhilfe wird langsam schon von der Einparkautomatik abgelöst. Das Auto macht alles von alleine beim Einparken, man kann eigentlich schon mal aussteigen und ein bisschen Stretching machen. Elektronik und Mechanik haben früher ausgereicht für ein Auto, mittlerweile sind KFZs ausgefuchste Computer mit fahrbarer Karosserie. Und sie lernen seit ein paar Jahren, selbst zu fahren. Google jagt ein Auto nach dem anderen quer durch die USA, in dem ein Fahrer nur noch im Fall einer Fehlfunktion eingreifen muss. Eine großartige Entwicklung. Wenn die Autos irgendwann alle selber fahren, wird der Straßenverkehr entspannt! Man kann sogar auf dem Weg zur Arbeit noch ein Nickerchen auf der Rückbank machen. Oder auf dem Weg zu ihr oder zu ihm nach dem Date schon mal mit dem Vorspiel anfangen. Aber die Spielverderber und Spaßbremsen heben schon wieder den Warnfinger und krakeelen von der Fehleranfälligkeit und vom potentiellen Missbrauch. Und warnen davor, unsere Leben in die Hände von Computersystemen zu legen.

Haben wir das nicht längst? Wir müssen uns nichts mehr merken, wir brauchen keine Ortskenntnis mehr. Unsere Smartwatch sagt uns schon ob wir uns heute genug bewegt haben oder nicht. Oder wann wir aufstehen sollen. Unser Handy beantwortet uns schon jede Frage, die sich uns stellt. Siri fällt immer etwas ein. Und wenn es ein Witz ist. Ist das nicht wunderbar? Wir brauchen nichts mehr wissen, wir müssen kaum mehr etwas tun. Unsere kleinen elektronischen Heinzelmännchen kümmern sich schon um uns. Der vernetzte Kühlschrank bestellt die Lebensmittel selbst nach Bedarf. Die Kaffeemaschine weiß genau wann du aus der Dusche kommst damit der Kaffee genau die richtige Temperatur hat im genau richtigen Moment. Dein Bettlaken informiert deine Krankenkasse über deine Schlafapnoe. „The Internet Of Things“ nennt sich das, ganz großer Trend auf allen Elektronik- und Softwaremessen. Alles ist miteinander verbunden, Haushaltsgeräte, Balkonmarkisen, Garagentore, Laufschuhe, Rasensprenger, Hundehütten … und es ist alles zu deinem Besten! Es soll dir helfen. Es soll dir Arbeit abnehmen.

Warum also überhaupt mündiger Bürger sein wollen? Das ist doch viel zu anstrengend! Ist denn ein mündiger Bürger ein glücklicher Bürger? Quatsch! Was gibt es schöneres als sich keine Gedanken mehr um irgendwas machen zu müssen? Wenn man nichts mehr wissen muss, nichts mehr können muss und nichts mehr selbst tun muss, hat man doch viel mehr Zeit für … halt was man so … zum chillen!

Aber leider gibt es Spießer die einem alles madig machen wollen. Jetzt muss man also lesen über zwei Hacker namens Charlie Miller und Chris Valasek, die sich in ein Auto gehackt haben, aus hunderten Kilometern Entfernung. Da blies dann plötzlich die Klimaanlage auf Vollgas, die Musik wurde lauter, der Scheibenwischer ging an, ein Foto von den beiden war auf dem Display im Auto zu sehen und am Schluss haben sie das Auto, einen Jeep Cherokee, auf einem Highway abgewürgt, so dass es stehenblieb. Na und? Ist doch witzig was man heute alles machen kann. Außerdem bin ich eh völlig unwichtig, warum sollte sich jemand ausgerechnet in mein Auto hacken? Oder mein Haus? Meine Klimaanlage? Warum sollte jemand mein Auto von einer Klippe stürzen lassen? Oder meine Sauerstoffzufuhr im Schlafzimmer kappen? Das ist doch alles nur technikfeindliche Angstmacherei. Und dann machen sich die Leute auch noch in die Hose wegen einer möglichen sogenannten Singularität in der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz. Und dass die sich dann per Internet Of Things über alles ermächtigen könnte. Und vielleicht, ganz analytisch, rational betrachtet, den Mensch als größte Bedrohung für diesen Planeten verstehen könnte. Und dementsprechend handeln. Die Leute haben vielleicht eine Fantasie. Bloß weil man sukzessive immer mehr Kontrolle abgibt, heißt das doch nicht dass man beginnt die Kontrolle zu verlieren!

Der entmündigte Bürger sei viel besser als Zahnrädchen im System einzusetzen, heißt es. Na und? In einem System, das es soweit bringt, dass Autos selbst fahren und der Kaffee sich selbst kocht, bin ich doch gern Zahnrädchen. Alles wird gut. Und immer besser. Zumindest immer cooler.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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