Hätten die Piraten vor zwei Jahren doch auf ihre damalige politische Geschäftsführerin gehört. Als sich Marina Weisband erstmals in der Bundespressekonferenz den versammelten Hauptstadtjournalisten stellte, sagte sie: „Wir bieten kein Programm, sondern ein Betriebssystem.“ Sollte heißen: Den Piraten geht es nicht nur um einzelne Forderungen. Sie wollen eine ganz andere Politik machen: bürgernah, transparent, basisdemokratisch.
Die Partei erzielte damals beste Umfragewerte, doch schon bald stürzte sie auf zwei bis drei Prozentpunkte ab. Im Bundestagswahlkampf schien dann der NSA-Skandal die optimale Vorlage für eine Aufholjagd zu bieten. Und so setzten die Piraten wieder auf ihr klassisches Thema: Schutz der Bürgerrechte im digitalen Zeitalter. Am Ende aber hat es ihnen nichts gebracht, sie scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Ein herber Rückschlag für eine Partei, die sich schon im Bundestag gesehen hatte.
Bürgerrechtspartei? Klappt nicht
Wenn sich die Piraten am Wochenende zum Parteitag in Bremen treffen, werden sie einen neuen Vorstand wählen und sich auf die Europawahl vorbereiten. Die Chancen für einen Einzug ins EU-Parlament stehen nicht schlecht: Nötig sind hier nur drei Prozent, zudem klagen mehrere Parteien – auch die Piraten – auf die komplette Abschaffung der Hürde. Doch bevor man sich blindlings in den nächsten Wahlkampf wirft, wäre zunächst eine schonungslose Bilanz der vergangenen Jahre sinnvoll.
Eines ist klar: Die Profilierung als neue Bürgerrechtspartei funktioniert nicht. Das hat der NSA-Skandal gezeigt. Zu ähnlich sind die Vorschläge der anderen Parteien. Die Forderungen von Grünen und Linken mögen weniger radikal sein. Sie unterscheiden sich aber nicht grundlegend von den Positionen der Piraten. Dass mit Bürgerrechtsthemen allein keine Wahl zu gewinnen ist, hat die FDP schon vor vielen Jahren gemerkt – sie hat daher stärker auf den Neoliberalismus als Markenkern gesetzt.
Die Piraten haben auch als Internetpartei keine Chance. Zwar sind ihre Politiker in diesem Bereich besonders kompetent. Aber das Fachwissen können und werden sich die anderen Parteien auch aneignen; und es ist auch keinesfalls so, dass Internetpolitik nach grundsätzlich anderen Prinzipien funktionieren würde als Offline-Politik.
Protestwähler binden
Was hat die Piraten anfangs so erfolgreich gemacht? Und warum sind sie abgestürzt? Der Höhenflug begann nach dem Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus, plötzlich saßen auch die Außenseiter im Parlament, unangepasst, leicht chaotisch. Irgendwann ließ das Interesse der Medien nach, und auch für die Wähler waren die Piraten nicht mehr so interessant.
Trotzdem hat die Partei ein großes Potenzial, vor allem bei Protestwählern. Wenn die Piraten mit ihrer eigenen Art den Politikstil der anderen Parteien infrage stellen, bezeichnen die Medien und das politische Establishment das zwar als „unprofessionell“ und machen sich darüber lustig. Ein bestimmtes Wählerklientel aber gibt genau dafür seine Stimme.
Denn was die Piraten ausmacht, ist ihre Authentizität und Bürgernähe, ihre Transparenz bei parteiinternen Diskussionen und ihre Basisdemokratie. Wenn sie in Zukunft eine Chance haben wollen, müssen sie ihr ungewöhnliches Politikverständnis in den Mittelpunkt rücken. Sie sollten in erster Linie nicht mit ihrem Programm werben, sondern mit ihrem Betriebssystem.
SMV, Basisentscheid und OpenAntrag
Auf dem Parteitag in Bremen soll etwa über die Basisdemokratie im Internet diskutiert werden: über die Ständige Mitgliederversammlung, kurz SMV. Dazu liegen diverse Anträge vor. Die Idee: Mit der SMV soll es einen permanenten Parteitag im Internet geben, der auch verbindliche Beschlüsse fassen kann. In Mecklenburg-Vorpommern machen das die Piraten bereits; in Sachsen wurde die SMV schon beschlossen, aber die Technik ist noch nicht so weit. In beiden Ländern sind Entscheidungen zum Parteiprogramm, Satzungsänderungen und geheime Personenwahlen ausgeschlossen.
Auf dem Bundesparteitag im Frühjahr wurde die Einführung einer SMV abgelehnt. Stattdessen entschieden sich die Delegierten für einen Basisentscheid, der auch online stattfinden kann. Dabei handelt es sich um eine abgespeckte Variante der SMV, wie Michael Rudolph aus Mecklenburg-Vorpommern erläutert. Während bei der SMV ständig abgestimmt werden soll, sei das beim Basisentscheid nur an bestimmten Stichtagen möglich, die mindestens vier Wochen auseinanderliegen müssen. Zudem werde pro Stichtag über maximal 20 Anträge abgestimmt, während die Zahl bei der SMV unbegrenzt sei. Auch könne ein Pirat beim Basisentscheid seine Stimme nicht an andere delegieren, wie es einige Vorschläge für eine SMV vorsehen.
Ob solche verbindlichen Online-Abstimmungen manipuliert werden können und wie hoch das politische Risiko ist, daran scheiden sich die Geister. Sicher ist aber: Diese Formen der Basisdemokratie könnten das politische System revolutionieren. Wenn sich die Zweifel an der Sicherheit ausräumen lassen, ermöglicht das Internet deutlich mehr Demokratie. Nicht nur bei den Piraten.
Wer es ganz konkret im Hier und Heute haben will: Über die Internetseite OpenAntrag.de können Bürger ihre Vorschläge in das zuständige Parlament einbringen – über die Piraten, die allerdings zuvor beraten, ob der Antrag in ihrem Sinne ist. Das ließe sich problemlos auch per Mail regeln, aber auf OpenAntrag.de können die Bürger genau verfolgen, ob ihr Antrag geprüft, eingebracht oder sogar schon beschieden wurde. 49 Piratenfraktionen aus ganz Deutschland beteiligen sich an dem Projekt.
Streit über Vorstandsgehälter
Auf dem Bundesparteitag steht auch die Diskussion an, ob der Bundesvorstand bezahlt werden sollte. Bislang arbeiten alle Spitzenpolitiker ehrenamtlich. Gehalt bekommen nur die Angestellten mit Verwaltungsaufgaben wie Buchhaltung oder IT. Der scheidende Piratenvorstand Klaus Peukert findet das richtig: „Das Geld gehört erst mal in die Hände derer, die die Partei am Laufen halten.“
Die politische Geschäftsführerin Katharina Nocun, die ebenfalls nicht erneut kandidiert, sieht das anders: Die Arbeit als Vorstandsmitglied müsse ebenfalls entlohnt werden. „Ich kann mir die Arbeit im Bundesvorstand unter den aktuellen Umständen leider gerade nicht mehr leisten“, hat sie der taz verraten.
Dahinter steht die Frage, wie viel Macht der Bundesvorstand bekommen sollte und ob das die Basisdemokratie gefährden würde. Schon jetzt kann der Vorstand durch die größere Präsenz in den Medien Debatten über die Ausrichtung der Piraten stärker beeinflussen als einfache Mitglieder. Wenn er nun auch noch mehr Zeit hat für die politische Strategieplanung, dann könnte er vollends zu einem Machtzentrum werden – zumal es keine Bundesfraktion als Gegenpol gibt.
Zwar verfügen die Piraten auch über mehrere Landtagsfraktionen mit viel Geld und Personal. Aber auf Bundesebene haben diese Fraktionen wenig zu sagen. Ein stärkerer Bundesvorstand würde die Machtbalance empfindlich beeinträchtigen und ist deshalb derzeit nicht unbedingt sinnvoll. Für die Darstellung in den Medien könnte es indes durchaus vorteilhaft sein, einen Vorstand zu haben, der nicht erst nach Feierabend Interviews geben kann.
Ein neues Wahlkampfteam
Ein ähnliches Problem zeigt sich bei der Zusammenstellung eines Spitzenteams für den Wahlkampf. Die Journalisten wollen zwei oder drei bekannte Gesichter – nicht mehr. Die Piratenpartei zog aber mit den Spitzenkandidaten aus allen 16 Bundesländern in den Wahlkampf. Und selbst das war wohl schon ein Kompromiss: Einige Piraten waren der Meinung, dass alle potenziellen Abgeordneten das gleiche Recht auf Medienpräsenz hätten.
Bei der Europawahl im kommenden Jahr zumindest dürfte es dieses Problem nicht geben. Ein Team aus nur fünf Personen wird wahrscheinlich alle potenziellen EU-Parlamentarier umfassen, denn bei dieser Wahl gibt es für jedes Prozent einen Sitz im Parlament – das zumindest sieht ein Antrag für den Parteitag vor.
Chaotischer? Transparenter!
Und was darf das Spitzenpersonal dann sagen? Früher bekamen Journalisten immer wieder den Satz zu hören: „Zu diesem Thema haben wir noch keine Meinung.“ Eine solche Aussage mag Wähler verunsichern, die sich klare Positionen wünschen – aber sie ist wenigstens ehrlich. Und sie zeigt, dass es die Piraten ernst meinen mit der Basisdemokratie: Nicht die Spitzenpolitiker geben über gut platzierte Fernsehstatements die Richtung vor, sondern die Basis. Und solange die sich nicht einig ist, gibt es eben auch keine klare Positionierung.
Zwar verfügen die Piraten inzwischen zu fast jedem wichtigen Thema über eine eigene Haltung. Zerstritten sind sie aber immer noch – und das ist gut so. Die Diskussionen sind essenziell für die Demokratie innerhalb der Partei.
Dass die Piraten als ein chaotischer Haufen wahrgenommen werden, liegt vor allem daran, dass vieles transparenter als bei anderen Parteien ist: Die Diskussionen der Piraten kann man im Internet verfolgen; in den Landtagen gibt es keinen Fraktionszwang, jeder kann seine persönliche Meinung äußern. Zudem fehlen Chefpiraten, die um jeden Preis dafür kämpfen, dass ihre Partei „geschlossen“ auftritt, und unliebsame Diskussionen unterbinden. Aber auf solch vermeintliche „Führungsqualitäten“ von Parteichefs sollten die Piraten weiterhin verzichten.
Die richtigen Fragen
Die Piraten können genug vorweisen, um sich als Partei mit einem ganz anderen Politikverständnis zu profilieren. Natürlich brauchen sie auch ihre Inhalte, sonst würde sie niemand wählen. Aber als Alleinstellungsmerkmal taugen die Inhalte nicht.
Es ist zwar nicht immer einfach, einen guten Kompromiss zwischen basisdemokratischem Ideal und politischer Realität zu finden, etwa wenn es um die Bezahlung des Vorstands oder die Größe des Wahlkampfteams geht. Aber selbst wenn die Piraten mal die falschen Antworten geben, sie stellen zumindest die richtigen Fragen. Und das ist viel wert.
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