Nach One More Time With Feeling (2016) hat Andrew Dominik einen weiteren Film mit und über Nick Cave gedreht. In This Much I Know to Be True spürt er der besonderen Kollaboration von Cave mit Warren Ellis nach und schwelgt in intim inszenierten Performances von Stücken der beiden jüngsten Alben. Und wieder reflektiert er auch Caves Art und Weise, mit Trauer und Verlust umzugehen. Nach der Berlinale-Premiere startet This Much I Know to Be True jetzt auf der Streamingplattform Mubi und ist weit mehr als eine Fingerübung vor Andrew Dominiks Rückkehr zum großen Erzählkino mit der für den Herbst heiß erwarteten Joyce-Carol-Oates-Adaption Blonde, in der Ana de Armas Marilyn Monroe spielt.
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der Freitag: Mr. Dominik, erinnern Sie sich noch daran, wann Sie zum ersten Mal von Nick Cave gehört haben?Andrew Dominik: Wann genau weiß ich nicht mehr, irgendwann Ende der 70er, da spielte mir ein Freund etwas von Nicks erster Postpunk-Band The Birthday Party vor. Ich komme wie er aus Melbourne, Nick Cave wurde bei uns wie Jesus verehrt. In Berlin ja auch eine Weile, als er 1982 dorthin zog, oder? Nick ist jedenfalls schon lange Teil meines Lebens. Persönlich haben sich unsere Wege erstmals 1986 bei gemeinsamen Drogendealern gekreuzt. Er war wie der Prince of Darkness und ich im Grunde ein unschuldiger Privatschulknabe. Später hatten wir eine gemeinsame Freundin. Erinnern Sie sich an den Song Deanna? Ich fing an mit Deanna auszugehen, etwa drei Monate nachdem sie und Nick sich getrennt hatten. Nick Cave war der Ex, der ständig anrief, so haben wir uns kennengelernt und trotz der merkwürdigen Situation gut verstanden. Über die Jahre wurden wir Freunde.Für Ihren Western „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ schrieb er dann 2006 den Soundtrack.Das war unsere erste Zusammenarbeit. Als 2015 sein Sohn Arthur mit 15 Jahren beim Sturz von einer Klippe ums Leben kam, bat mich Nick, One More Time with Feeling zu drehen. Er wollte keine Interviews zu seiner neuen Platte Skeleton Tree geben, weil die Journalisten ihn dann nach seinem toten Sohn gefragt hätten, der Film sollte sein Statement sein. Unsere Freundschaft besteht also seit mehr aus 30 Jahren und entwickelt sich immer weiter. Aber Fan war ich immer.Warum haben Sie mit „This Much I Know to Be True“ nun erneut einen Film über ihn gedreht?Ganz einfach: weil er mich darum gebeten hat. Es war Pandemie, er konnte mit den Alben Ghosteen und Carnage, die er mit seinem musikalischen Partner Warren Ellis aufgenommen hatte, nicht auf Tour gehen. Ihm fiel die Decke auf den Kopf, er wollte spielen. Und ich liebe Ghosteen, ich war schon dabei gewesen, als sie die Stücke aufgenommen hatten, weil Nick und ich damals in Los Angeles zusammenwohnten. Die Chance, diese Songs zu filmen, hat mich sofort begeistert, auch wenn es für mich in der Zeit alles andere als einfach war, dafür aus Kalifornien nach England zu kommen.Eingebetteter MedieninhaltAls er Sie anrief, waren Sie mitten in der Postproduktion Ihres Marylin-Monroe-Biopics „Blonde“. Wie hat das konkret funktioniert? Haben Sie einfach alles stehen und liegen lassen?Ich hatte gerade den Schnitt beendet und wartete auf die Rückmeldungen der Verantwortlichen. Ich hatte also ein paar Wochen Leerlauf, in denen ich etwas anderes machen konnte. Es musste dann alles recht schnell gehen, mir blieben zwei Wochen, den Dreh vorzubereiten. Und für den hatten wir dann fünf Tage. Wir drehten im Battersea Art Center in London, in einem wunderschönen, großen Saal, in dem wir die Musiker und Background-Sängerinnen mit einem ausgeklügelten Lichtdesign inszenieren konnten, ohne auf Tag und Nacht achten zu müssen.Wie haben Sie die Struktur des Films gefunden?Ich wollte einen Konzertfilm machen, aber mir war auch klar, dass dann die Musik schnell dominant wird. Und mir war wichtig, auch ein Gefühl für Nick Cave und Warren Ellis und ihr besonderes Verhältnis zu vermitteln. Das Tolle am Film ist die Intimität, Nick muss nicht wie auf einer Bühne für das große Publikum spielen, ich kann mit der Kamera nur ihn und seine Verbindung zum jeweiligen Song einfangen. Das passt zu diesen ruhigen, intimen Stücken.Placeholder authorbio-1Am Ende wurde es weit mehr als ein klassischer Konzertfilm …Schon beim Einspielen des Albums hatte ich den Eindruck, dass Nick neben den Songs fast noch mehr interessiert, auf seinem Blog The Red Hand Files lebensphilosophische Fragen seiner Fans zu beantworten. Im Laufe einer Woche hat er Sätze immer wieder überarbeitet, weil es ihm wichtig war, eine möglichst ausgereifte und verantwortungsvolle Antwort zu geben. So sah es zumindest aus. Tatsächlich machte er noch etwas anderes: Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, seinen Geist und seine Seele zu heilen. Dieser Prozess war für ihn mindestens ebenso wichtig wie für die jeweilige Person, deren Brief er beantwortete. Und er war glücklich in dieser Zeit. Das war schön zu sehen, so wenige Jahre nach Arthurs Tod. Mir war von Anfang an klar, dass unser neuer Film auch davon handeln würde, wie man eine solche Tragödie überlebt und damit weiterlebt.Sie zeigen, wie ernsthaft und zugewandt er die Fragen beantwortet. Er wirkt wie eine Art weiser Onkel, den Leute um Rat bitten.Er hat sich sehr gewandelt, kein Vergleich zum früheren, destruktiven Nick Cave. Die Menschen um ihn herum sind ihm wichtiger als sein Werk. Er ist geerdeter. Das zu sehen, ist sehr bewegend.Gleich zu Beginn führt Nick Cave ein weniger bekanntes Talent vor: seine Keramikfiguren, mit denen er das Leben des Teufels nachstellt. Warum wollten Sie sie im Film haben?Oh, das war gleich das erste, was mir Nick zeigte, als ich nach dem Flug in London bei ihm vor der Tür stand. Ich hatte zuvor von diesen Skulpturen nur gehört. Als ich sie dann vor mir sah und er sie erläuterte, wurde mir klar, dass er damit auch sein eigenes Dasein, die Endlichkeit des Lebens und seine Haltung dazu reflektierte. Es musste also in den Film. Und zum Glück vertraut mir Nick inzwischen genug, um mich machen zu lassen.Wie planbar ist ein Dreh mit Nick Cave?In diesem Fall kannte ich die Songs sehr gut und wusste schnell, wie ich sie drehen wollte. Aber wir hatten keine Zeit, groß zu grübeln oder umzuplanen. Und was Nick und Warren persönlich angeht, ließ ich mich von meiner Neugier leiten. Ich filme, was mich interessiert, in der Hoffnung, dass es anderen auch so geht. Ich wollte ihre Art der Zusammenarbeit einfangen, die vor allem darin besteht, dass Nick mit dem Flow von Warren umgehen muss, wie er versucht, seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Ihr kreatives Miteinander ist ein direktes Resultat ihrer Freundschaft und ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten. Diese Gegensätze sind befruchtend, aber auch immer wieder sehr lustig zu beobachten.Ein weiterer bewegender Moment ist der kurze Gastauftritt von Marianne Faithfull …Ich wollte sie unbedingt für diesen Song haben, Galleon Ship, der von Liebe und Verlust handelt und bei dem Mariannes Flüstern die perfekte Untermalung ist. Es war lange unsicher, ob sie kommen würde, wegen ihrer Gesundheit und auch wegen ihrer Persönlichkeit. Sie hat eine spröde Mischung aus Selbstvertrauen, Trotz und Verletzlichkeit, die unnachahmlich ist. Wie sie damit umgeht, sich dem Ende ihres Lebensweges zu nähern, hat etwas sehr Schönes und Berührendes. Im Film ist fast jede Sekunde ihres Besuchs zu sehen, von der Ankunft, ihren kurzen Fragen und Zweifeln bis zur Aufnahme des Stücks. Und gleich danach war sie auch schon wieder weg.Die Weltpremiere war auf der Berlinale im Februar, im Mai kam Nick Caves ältester Sohn Jethro ums Leben. Gab es Überlegungen, den Filmstart zu verschieben?Nein, zu keinem Zeitpunkt. Und wenn ich den Film sehe, spüre ich vor allem eins: Nicks mentale Stabilität, wie er mit Trauer und Verlust umgeht, das macht den Film durch den nachträglichen Kontext eher noch relevanter.Haben Sie trotz ihrer langjährigen Freundschaft beim Dreh etwas Neues über Nick Cave gelernt?Nick ist ein großartiger Künstler, aber noch mehr bewundere ich ihn als Mensch. Das ist mir wieder sehr bewusst geworden. Bei allem, was er durchgemacht hat, ist er nie zynisch geworden. Für ihn ist die Welt voller Hoffnung und Liebe. Zynismus ist einfach und faul und erfordert keine Anstrengung. Es ist besser, an das Gute zu glauben.Placeholder infobox-1