Denis Johnson und seinem literarischen Werk gerecht zu werden, ist nicht einfach. Im Mai vergangenen Jahres verstarb Johnson im Alter von 67 Jahren nach einer Leberkrebserkrankung in Nordkalifornien. Für das hiesige Feuilleton war der 1949 in München geborene Sohn eines für das US-Militär arbeitenden Geheimagenten seit anderthalb Jahrzehnten eine Art Lieblingskind. Regelmäßig wurde er als einer der wichtigsten Autoren der amerikanischen Gegenwartsliteratur gelabelt. Dabei hat er kaum Preise und Auszeichnungen abgesahnt, auch wenn er für sein Vietnam-Epos Ein gerader Rauch 2007 immerhin den National Book Award erhielt. Zur Verleihung schaffte er es nicht, da der auch regelmäßig für Zeitschriften (unter anderem Esquire) aus internationalen Kr
us internationalen Krisenregionen berichtende Johnson gerade auf Recherchereise im Irak unterwegs war. Nun ist postum ein Band mit fünf längeren Erzählungen unter dem Titel Die Großzügigkeit der Meerjungfrau erschienen, der die wichtigsten motivischen Stationen in Johnsons vielschichtigem Werk aufarbeitet.Die Liebe zu ManhattanNeben den Erzählungen Jesus’ Sohn über einen drogenverseuchten White-Trash-Antihelden namens Fuckhead, die ihn berühmt machten, hat Johnsons literarisches Vermächtnis aber mehr zu bieten als nur den Blick in die Abgründe der Unterschicht, die das bürgerliche Feuilleton so liebt. Das reicht von postapokalyptischer Science-Fiction, historischen Erzählungen über das Leben der Menschen an der Schwelle zur Moderne, ein epochales kalifornisches Subkultur-Epos, den schon erwähnten Vietnam-Roman bis hin zu genialen Campusdramen. Johnsons Drogensucht in seinen Zwanzigern und deren Fiktionalisierung waren seine Eintrittskarte ins literarische Universum. Dementsprechend finden sich in Die Großzügigkeit der Meerjungfrau zwei Texte über gescheiterte Existenzen, die im Strafvollzug sitzen und über ihr Leben räsonieren. Das ist gewohnt derb, dabei ungemein poetisch und genau in jenem sozialen Extrembereich angesiedelt, den Johnson so gerne mit wuchtiger Prosa auslotet. Nur gibt es noch drei andere Erzählungen in diesem Band über das Älterwerden, über Leidenschaften, das Sterben und Kunst, die weit näher an Johnsons jüngstem Alltag gewesen sein dürften als die in den 1970er und 1980er Jahren angesiedelten Hau-drauf-Storys um verzweifelte Mörder und Junkies.In Triumph über das Grab schreibt Johnson darüber, wie sein Alter Ego sich um einen sterbenden Schriftsteller-Kollegen kümmert. Wobei immer wieder Menschen, die ihm nahestehen, das Zeitliche segnen. Die Einschläge kommen näher: „Die Welt dreht sich weiter. Ihnen dürfte klar sein, dass ich in dem Moment, da ich das schreibe, nicht tot bin. Aber wenn Sie es lesen, vielleicht schon.“ Dabei läuft Johnson zu unglaublich ironischer Form auf, als er beschreibt, wie der Ich-Erzähler als junger Mann unter LSD-Einfluss einem berühmten Orthopäden vor versammelter Studentenschaft als Anschauungsobjekt für ein kaputtes Knie diente. Das kontrastiert mit Krankenhausgeschichten alter Männer, die vermessen, geprüft und deren Leiden diagnostiziert werden. Die einzelnen, verstreut wirkenden Anekdoten fügen sich zu einem kompakten, dichten Text, der stilistisch eindrucksvoll die handwerkliche Brillanz Johnsons unter Beweis stellt.Auch die titelgebende Erzählung setzt sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Erzählstränge zusammen. Es geht um einen alternden Werbefachmann aus San Diego, der zu einer Preisverleihung nach New York fährt. In der Rückschau wird die Werbeindustrie der 1980er Jahre lebendig, dann geht es um einen verstorbenen Freund, einen nicht sehr erfolgreichen Künstler, dessen Erbe unter anderem aus einem voluminösen Kochbuch besteht, und um die Reportage eines befreundeten Journalisten über ein Paar, das kurz vor der Hinrichtung des Mannes heiratete. In diesen fein ineinander verwobenen, mitunter bizarren Handlungssträngen auf 50 Seiten, die ebenso der Plot eines dicken Romans sein könnten, schimmert immer wieder eine ungeheure Sehnsucht nach New York durch. Als hätte es sich Johnson in seinem letzten Erzählband zur Aufgabe gemacht, Manhattan eine literarische Liebeserklärung zu machen. Die findet sich auch in der wahnwitzigen Geschichte über einen Schriftsteller und dessen jahrelange Freundschaft zu einem verrückten Dichter, der sich schließlich in Verschwörungstheorien über Elvis Presley verliert. Hier wird dann auch 9/11 literarisch verarbeitet. Als würde Johnson mit der ganzen Wucht und Hingabe, die sein literarisches Werk kennzeichnet, einen Abschiedsgruß voller Leben und inspirierender Ideen schicken.Placeholder infobox-1