Was passierte eigentlich mit all den linksradikalen Aktivistinnen und Aktivisten nach dem großen Revoltenjahr 1968? Wer nicht direkt den Marsch durch die Institutionen antrat oder in den Terrorismus abdriftete, schloss sich einer dogmatischen K-Gruppe an und landete irgendwann bei den Grünen. Dann gab es noch die Spontis: Joschka Fischer und Konsorten – auch die wurden Berufspolitiker. Anfang der 1980er Jahre fand dann die große Erneuerung der außerparlamentarischen Linken mit den Massenmobilisierungen durch die Neuen Sozialen Bewegungen statt: Anti-AKW, die Autonomen, die Friedensbewegung, Hausbesetzer, Antifa etc.
Auch wenn es so viel zu holzschnittartig erzählt ist, trifft es ein Stück weit eine gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung des „langen rot
langen roten Jahrzehnts“, wie Sebastian Kasper die Zeit zwischen 1968 und 1980 in seiner Geschichte der Spontis nennt. Und man trifft auf diese vereinfachte Lesart der 1970er Jahre mitunter sogar in der Forschung, schreibt Kasper.Die Zeit bei OpelDass aber in diesem roten Jahrzehnt die antiautoritäre radikale Linke mit 300.000 bis 600.000 Aktivisten, wie Historiker schätzen, ihr größtes Mobilisierungspotenzial entfaltete und die Spontis als Erben der Revolte von „68“ mit ihren Politpraktiken maßgeblich zur Herausbildung dessen beigetragen haben, was in den Neuen Sozialen Bewegungen passierte, geht bei dieser Sichtweise völlig unter.Selbst für die heutige radikale Linke, schreibt Kasper, stünden „linker Antisemitismus, autoritäre K-Gruppen, Proletkult“ bei der Auseinandersetzung mit den 1970ern im Vordergrund. Fast entsteht der Eindruck, als wären die gut zehn Jahre nach 1968 ein blinder Fleck in der Geschichte der außerparlamentarischen Linken. Dabei wurde kaum so viel und so radikal demonstriert, protestiert und gestreikt wie in den 70er Jahren. Für viele fällt das Ende von 1968 mit der Auflösung des SDS 1970 zusammen. Damals habe „ein regelrechter Gründungsboom von Parteiaufbauorganisationen, linksradikalen Zirkeln, Stadtteil-, Betriebs- und anderen Kleinstgruppen“ eingesetzt. Viele suchten nach dauerhaften Strukturen. Wenn sich auch viele 68er in Gewerkschaften oder in den Parteien der sozialliberalen Koalition wiederfanden und gleichzeitig die neoleninistischen und maoistischen Kadergruppen aus dem Boden schossen, trat mit den Spontis, die sich erst ab Mitte der 1970er selbst so bezeichneten, eine linksradikale Fraktion auf den Plan, die sich als direkte Nachfolgerin der antiautoritären, antistaatlichen Revolte der 68er verstand.Das Hauptbetätigungsfeld der frühen Spontis, die vor allem in Frankfurt, München und Hamburg eine Rolle spielten, war die Fabrikintervention. Das Konzept kam aus Italien und taucht heute in den biografischen Erinnerungen mancher Ex-Spontis wie Tom Koenigs als „die Zeit bei Opel“ auf. Die dazugehörige Theorie des Operaismus, der den migrantischen Arbeiter zum revolutionären Subjekt erklärte, brachte der Berliner Merve-Verlag unter die Leute, der erst einige Jahre später zur verlegerischen Institution für den französischen Poststrukturalismus wurde.Bei den Fabrikinterventionen ging es vor allem darum, zusammen mit migrantischen Arbeitern eine politische Kampfperspektive zu entwickeln, weniger sie von außen zu agitieren, wie das die K-Gruppen praktizierten. Ein Stück weit waren die Spontis damit auch erfolgreich und nahmen aktiv an den wilden Streiks zu Beginn der 1970er teil. Daneben waren abgesehen von im Kollektiv organisierten kulturellen Veranstaltungsorten vor allem die Zeitschriftenprojekte der Spontis wie der Pflasterstand in Frankfurt, das Blatt in München oder das zentrale Theorieorgan Autonomie. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft von großer Bedeutung. Kasper schlüsselt die Geschichte der Spontis als spannende Erzählung auf, dabei arbeitet er sich ausgiebig an Quellen ab, gibt aber auch einen konzisen strukturellen Überblick dieses bewegungsintensiven Jahrzehnts.Freunde im BioladenIn den 1970er Jahren gab es Überschneidungen mit anderen Bewegungen, vor allem mit dem Feminismus, aber später auch mit dem Kampf gegen Atomkraft, der aufkommenden Alternativwirtschaft (vom Bioladen bis zum kollektiven Handwerksbetrieb) und der noch jungen Umweltbewegung. In Frankfurt wurden die Spontis durch militantes Auftreten zum „Platzhirsch der radikalen Linken“ (Tom Koenigs) im Häuserkampf. Aus dieser Zeit stammt auch die „Putztruppe“, die Außenminister Fischer in seiner späteren Politikkarriere dann Probleme bereiten sollte.Am Ende des Jahrzehnts befanden sich die Spontis zahlenmäßig auf dem Höhepunkt, auch durch ihre Präsenz in den nun zu Massenuniversitäten ausgebauten Hochschulen. Aus dieser Zeit stammt auch das gängige Bild der anarchischen Spontis, die eher für ein subkulturelles Milieu als für eine politische Bewegung standen.Der Tunix-Kongress im Januar 1978 in West-Berlin gilt als ein Höhepunkt der Bewegung wie auch als Scharnier zu dem, was Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre entstand. Die Autonomen, ein Stück weit selbst Erben der Spontis, drückten ihre kritische Haltung gegen die in die Jahre gekommenen Politaktivisten in einem im Pflasterstrand 1981 abgedruckten Flugblatt unmissverständlich aus: die „jammernden Veteranen“ hätten sich längst in ihre „korrupten Konsumnischen“ zurückgezogen und wären bei den Jusos besser aufgehoben. Der Pflasterstrand wurde bald selbst zu einem Sprachrohr des grünen Realo-Flügels. Kaspers lesenswertes Buch schlägt einen weiten Bogen, um dieses vielschichtige und spannende Stück linksradikaler Geschichte zugänglich zu machen.Placeholder infobox-1