„Ringe der Macht“ und „House of the Dragon“: Fantasy als Gegenwartsbeschreibung
Streaming In Serien wie „Die Ringe der Macht“ und „House of the Dragon“ zeigt sich, dass die Katastrophen unserer Gegenwart am besten im Fantasy-Genre beschrieben werden
Fantasy spielt diesen Herbst im Streamingbereich eine große Rolle. Mit Die Ringe der Macht, dem Prequel zu Der Herr der Ringe, wartete Amazon mit der ersten Staffel der bislang teuersten Fernsehserie aller Zeiten auf. In direkter Konkurrenz dazu stand mit House of the Dragon (HBO/Sky) ebenfalls die erste Staffel eines Prequels zu Game of Thrones, der erfolgreichsten Fantasy-Serie der vergangenen Jahre. Gleichzeitig sind diese um Abonnenten buhlenden Prestigeserien nur Teil einer ganzen Welle von Fantasy-Produktionen, die weit mehr als fantastische Unterhaltung bieten, sondern auch sehr politisch sind, was oft übersehen wird.
So kämpfen regelmäßig in diesem Genre taffe Frauen gegen reaktionäre männliche Kräfte, etwa in Amazons im Vergleich zu Die Ringe
fte, etwa in Amazons im Vergleich zu Die Ringe der Macht deutlich kostengünstigerer Adaption von Das Rad der Zeit. Netflix bot schon im Sommer eine bombastische Staffel von Stranger Things, in der die Jugendlichen aus Hawkins gegen bornierte Kleinstadtfaschisten zu Felde ziehen. Auch in der von Netflix produzierten Adaption von Neil Gaimans bislang als kaum verfilmbar geltenden Graphic-Novel Sandman wird gegen Ausgrenzung, Unterdrückung und Missbrauch gekämpft. Dazu kommen mit Motherland Fort Salem und The Winx-Saga zwei Jugendserien über den feministischen Widerstand junger Magierinnen gegen das rechte Patriarchat. Und demnächst erscheint die dritte Staffel der BBC-HBO-Koproduktion His Dark Materials, in der Lyra Belacqua durch die Dimensionen schlitternd autoritären Strukturen die Stirn bietet.Feinde aus dem OstenTrotz Magie, Zauberei und Monsterwesen aus anderen Dimensionen fällt auf, dass die Serien mitunter sehr nah an den politischen Debatten unserer Zeit sind. Oft geht es um Feminismus, den Kampf gegen rechts, oder es lauert hinter dem Verblendungszusammenhang der Realität die Herrschaft finsterer Kräfte.J.R.R. Tolkiens Mitte der 1950er Jahre erschienene Roman-Trilogie Der Herr der Ringe, die wahrscheinlich einflussreichste Fantasy-Erzählung des 20. Jahrhunderts, galt den 68ern und anderen Nachkriegsgenerationen als antifaschistisches Narrativ. Sauron und die Orks standen für die Nazis, die schließlich besiegt wurden. Aus heutiger, von Ideologie- und Rassismuskritik geprägter Perspektive ist es schon schwieriger, in Tolkiens platter Gegenüberstellung von Gut und Böse und einer Welt, die sich über Volkszugehörigkeiten definiert, eine emanzipatorische Erzählung auszumachen. Auch in Die Ringe der Macht stehen weiße, blonde Figuren wie die ikonografische Elbe Galadriel (Morfydd Clark) in blitzender Ritterrüstung mit dem in den Himmel gestreckten Schwert knietief im Blut von nicht einmal menschlichen Feinden, die wie bei Tolkien üblich stets aus dem Osten kommen.Der Serie liegt keine direkte literarische Vorlage Tolkiens zugrunde, sie ist aus seinen anderen Schriften extrapoliert. Die Autoren mussten strenge Auflagen beachten, nachdem sich Tolkiens Erbengemeinschaft in einer Art Auktion für Amazons Gebot von 250 Millionen Dollar entschieden hatte. Die Ringe der Macht spielt nun 3.000 Jahre vor den Ereignissen der Herr-der-Ringe-Trilogie. Den Bösewicht Sauron gibt es bereits, und er wurde sogar schon einmal besiegt. So erzählt die Serie davon, wie eine kaum mehr reale Gefahr aus der fernen Vergangenheit plötzlich wieder zur akuten Bedrohung wird.Das führt zu verblüffenden Analogien, etwa wenn eine Gruppe von Elben, die einen Teil von Mittelerde militärisch schützen, in Zweifel zieht, ob es richtig sei, den Posten zu räumen, weil die Gefahr vorüber sei. Sie hören sich dann an wie westliche Politiker, die nicht über Sauron, sondern über Wladimir Putin und eine mögliche Wiederkehr des Krieges als festem Bestandteil politischer Praxis reden.Ganz ähnlich wie in den Debatten über Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine entwickelt das Tolkien’sche Narrativ von Gut gegen Böse eine ähnlich ein- wie ausschließende Dynamik: Wer nicht gegen Sauron und für die Befreiung von Mittelerde ist, kämpft auf der Seite des Bösen. Das inszeniert die Serie, die das Erbe Tolkiens durchaus zeitgemäß mit einem angenehmen Spritzer Diversity aufpeppt, gut mit den Fragen nach Bündnissen, Parteinahmen und dabei mitschwingenden imperialen Interessen. Die Southlands von Mittelerde werden zum großen Schlachtfeld, in dem das Böse schließlich sogar durch eine Art von magischem Bioengineering die Oberhand gewinnt und eine Zone klimavergifteter Zerstörung und autoritärer Zurichtung erschafft, die der Albtraum jedes emanzipatorisch denkenden Menschen ist. Insofern schafft es diese woke, teure und doch konservative Erzählung, sich an aktuellen politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Debatten abzuarbeiten – wenngleich alles unter der angestaubten Moral Tolkiens gehalten wird.Deutlich komplexer wird Politik in House of the Dragon verhandelt. Das Prequel zu Game of Thrones erzählt von höfischen Ränkespielen und einer dynastischen Ordnung, die stark an die mittelalterliche europäische Geschichte erinnert. Eine moralisierende Gegenüberstellung von Gut und Böse fehlt in diesem Fantasy-Kosmos. Vielmehr lotet die Serie detailliert und mit der popkulturell so erfolgreichen Mischung aus Splatter, Sex, und Krieg die Machtinteressen einer vielschichtigen Anordnung dynastischer Akteurinnen aus. Dabei mutet die stets im Vordergrund stehende Blutlinienlogik für heutige Verhältnisse zwar sehr befremdlich an, aber die Serie schafft es, politische Ränkespiele und geschlechterpolitische Fragen als ein Märchenspektakel zu inszenieren, dem gerade durch die fantastische Verfremdung zeitlose Aktualität innezuwohnen scheint.Wenngleich das Hauen und Stechen der Mächtigen in Die Ringe der Macht und House of the Dragon unterschiedlich inszeniert wird, kommt beiden Erzählungen in Zeiten großmachtpolitischer Auseinandersetzungen und dem drohenden Zerfall gültiger Ordnungen eine brisante Aktualität zu. Kann es sein, dass ausgerechnet Fantasy-Großwerke die adäquate Form bieten, unsere politische Gegenwart fiktional zu brechen?Was Yanis Varoufakis sagtAuch in Science-Fiction-Produktionen ist in den vergangenen Jahren im Film- und Serienbetrieb viel Geld gesteckt worden, mittlerweile greift aber das Fantasy-Genre die großen Töpfe ab. Nach Finanzkrise, Pandemie, dem Krieg in der Ukraine, Waldbränden, Flutkatastrophen und der einsetzenden Weltwirtschaftskrise bietet offenbar das Genre Fantasy den besseren Rahmen, um unsere Gegenwart zu fiktionalisieren. Die der wissenschaftlichen Aufklärung verpflichtete Science-Fiction – die Yanis Varoufakis unlängst noch als „beste Dokumentation unserer Gegenwart“ bezeichnete – erscheint in Zeiten zunehmend irreal wirkender Bedrohungen weniger passend, um Allegorien auf kollektive dystopische Ängste und Hoffnungen zu formulieren.Ein nicht unerheblicher Teil der Science-Fiction der vergangenen Jahre wie etwa die Tribute-von-Panem-Trilogie und die Weltraum-Serie Expanse erzählten vom kollektiven Aufbegehren „von unten“ gegen überkommene Ordnungen. Der derzeitige Fantasy-Hype orientiert sich dagegen eher an der Geschichte politischer Eliten, ihrem Versagen, dem persönlichen Scheitern historischer Akteure, den moralischen Ambitionen guter Herrschaft (Die Ringe der Macht) oder der Schlangengrube politischer Intrigen (House of the Dragon).Wobei die Bandbreite der Fantasy viel mehr bietet als nur spätmittelalterliche Groß-Epen. Empfohlen sei hier, sich Lyra Belaqua in His Dark Materials anzusehen oder eben auch die an eine linke Polit-Bezugsgruppe erinnernde Nerd-Truppe aus Hawkins in Stranger Things. Nicht zu vergessen die medial kaum beachteten subkulturell geprägten europäischen Low- Budget-TV-Perlen wie Leas 7 Leben oder Zero auf Netflix, mit Punk und migrantischem Hip-Hop untermalt. Die Fantasy hat gerade viel zu bieten.
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