Die Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen in True Detective: Night Country,angesiedelt in der fiktiven Kleinstadt Ennis irgendwo in Alaska, sind harte Knochen. Mit Verdächtigen oder Personen, die ihnen irgendwie in die Quere kommen, gehen sie nicht gerade zimperlich um. Das gilt für Polizeichefin Liz Danvers (Jodie Foster), die ihre eigene Teenager-Tochter Leah (Isabella LaBlanc) in der Zelle schmoren lässt, nachdem die an militanten Polit-Aktionen teilgenommen hat. Aber auch ihre Kollegin Evangeline Navarro (Kali Reis) lässt schon mal ihren Frust ab, indem sie nach Feierabend einen stadtbekannten Sexisten verprügelt. Und auf militante indigene Klimaaktivisten, die vor dem ortsansässigen Energiekonzern demonstrieren, prügeln die Riot-Cops der State Trooper
tate Troopers mit dem Schlagstock so lange ein, bis sie blutend am Boden liegen.Als dann aber ein halbes Dutzend nackte, wie auf der Flucht vor etwas Schrecklichem erstarrte Männerleichen im ewigen Eis der finsteren Polarnacht entdeckt werden, fällt auch diesen rücksichtslosen und mit allen Wassern gewaschenen Kleinstadtpolizistinnen und -polizisten erst mal nichts mehr ein.Jodie Foster war nicht der einzige Hollywood-Star am SetUnglaubliche zehn Jahre ist es her, dass die legendäre erste Staffel der inzwischen mehrfach prämierten HBO-Erfolgsserie True Detectice mit Matthew McConaughey und Woody Harrelson im Januar 2014 herauskam. Die vierte Staffel nun funktioniert nach altbekanntem, aber wirkungsvollem Schema: Die sechs jeweils einstündigen Folgen bilden eine in sich geschlossene Krimigeschichte mit reichlich sozialpolitischer und regional-kultureller Färbung und bieten darüber hinaus einen wohldosierten Tick ins Fantastik- und Horror-Genre, dazu warten sie mit bekannten Hollywood-Größen auf.Neben Superstar Jodie Foster beeindruckt in True Detective: Night Country aber auch die schauspielerische Leistung von Newcomerin Kali Reis, die im Zuge der Ermittlungen als taffe Polizistin mit den Psychosen in ihrer eigenen Familie auf ganz existenzielle Art konfrontiert wird.Kali Reis stammt aus Rhode Island und war Mittelgewichts-Boxweltmeisterin. Die Schauspielerei entdeckte die heute 37-Jährige 2021 mit dem Film Catch the Fair One für sich, in dem sie eine Boxerin verkörpterte. Ihr nächster Film Black Flies feierte 2023 im Wettbewerb von Cannes Premiere. Reis ist außerdem seit Jahren als politische Aktivistin für die Rechte indigener Gruppen aktiv. Genau darum geht es auch immer wieder in der neuen True-Detective-Geschichte.Denn die Bewohner von Ennis, viele von ihnen sind Indigene, kämpfen gegen die industrielle Verschmutzung ihres Wassers, das als dreckige graubraune Brühe aus der Wasserleitung kommt und wahrscheinlich auch für die hohe Babysterblichkeit verantwortlich ist, die seit Jahren verzeichnet wird. Chief Danvers, die sich eigentlich um den bizarren Mord an jener Gruppe von Wissenschaftlern aus einer örtlichen Forschungsstation kümmern muss, die man nackt und in Fluchtposition erstarrt im Eis fand, kämpft ihrerseits mit ihrer aufrührerisch-jugendlichen Stieftochter Leah. Die Teenagerin ist gerade dabei, ihr eigenes indigenes Erbe zu entdecken. Ein Prozess, bei dem sie sich zudem als lesbisch outet und eine radikale Politisierung erlebt. Zusammen mit ihrer Kollegin Navarro, die durch einen Jahre zurückliegenden Mordfall traumatisiert ist und sich obendrein um ihre an einer Psychose leidenden Schwester kümmern muss, versucht die Polizeichefin Licht ins Dunkel des Mehrfachmordes zu bringen. Ihr Vorgesetzter aus der Hauptstadt (Christopher Eccleston) will ihr den Fall aber schleunigst wegnehmen. Ist da irgendetwas im Busch?Die vierte Staffel „True Detecitve“ spielt mit Genre-GrenzenKann es sein, dass der vor Ort produzierende Energiekonzern seine Emissionswerte manipuliert? Und haben die ermordeten Wissenschaftler womöglich etwas damit zu tun? Je weiter Danvers und Navarro nachforschen, desto öfter stoßen sie auf jenen geheimnisvollen, Jahre zurückliegenden Mordfall an einer jungen Frau, der das Verhältnis der beiden damals ermittelnden Polizistinnen schwer belastet: True Detective: Night Country wartet nicht nur mit einem ausufernden Personal auf, sondern auch mit einer komplizierten Geschichte voller unerwarteter Wendungen.Egal ob es um die persönlichen Animositäten und karrierebedingten Eifersüchteleien im Polizeirevier geht, das Chief Danvers mit harter Hand regiert, oder um diverse abgründige Familiengeschichten, Ehestreitigkeiten der Kollegen, eine romantische Affäre von Navarro oder das Liebesleben von Danvers’ Tochter: Jedes dramaturgische Detail in dieser Serie ist auf die eine oder andere Art von Bedeutung für die Aufklärung der Mordfälle. Das alles passiert 150 Kilometer nördlich des Polarkreises um die Jahreswende in der nicht endenden Polarnacht, die der Serie ihren Untertitel Night Country verleiht. Mit fortlaufender Handlung wird die Geschichte immer gruseliger.Nicht nur, dass regelmäßig ein einäugiger Eisbär in der verschneiten Kleinstadt auftaucht. Auch längst tote Menschen werden immer wieder gesichtet – draußen auf dem zugefrorenen Meer oder irgendwo in den Tiefen der Polarnacht. Oder sind das die Fantasien und psychotischen Schübe verschiedener Charaktere, etwa einer alten Dame (Fiona Shaw), die ihren verstorbenen Ehemann herumgeistern sieht? Navarro selbst wird immer wieder von ihrer toten Mutter heimgesucht. Als Danvers und Navarro schließlich in eine unterirdische Eishöhle hinabsteigen, während oben in der Silvesternacht ein Blizzard tobt und eine Familienauseinandersetzung splattermäßig endet, glaubt man, einen ganz finsteren Horrorfilm zu sehen.Das Spielen mit den Genregrenzen ist das eigentlich Großartige und Besondere an dieser Serie, deren Auflösung man bis zum Ende kaum erahnen kann. Tatsächlich mündet diese komplexe und aberwitzige Geschichte in ein fulminantes Finale, das sich selbst Quentin Tarantino mit den Coen-Brüdern im LSD-Rausch kaum hätte ausdenken können.