Checkpoints mit Stacheldraht, Militär in Schutzanzügen und Straßenzüge voller Leichen. So präsentierte der Dystopie-Thriller Songbird ein Vierteljahr nach Ausbruch von Corona die Fiktionalisierung der Pandemie. Ein mutiertes und mittlerweile als Covid-23 bekanntes Virus mit einer Mortalitätsrate von über 80 Prozent verwandelte darin amerikanische Großstädte in postapokalyptische Wastelands.
Pandemie-Geschichten boomen jedoch in der Kulturindustrie nicht erst seit Covid. Seit Jahrzehnten schon sind sie ein zentraler motivischer Baustein des Fantasy- und Science-Fiction-Genres. Seien es die von einem Virus verursachten Zombies, die New York nach einer Seuche heimsuchen wie im 1954 erschienenen Roman I am Legend, der 2007 neu mit Will Smith verfilmt wurde, oder die zahlreichen Serien-Versionen der Walking-Dead-Comics. Oder ein starbesetzter Blockbuster wie Contagion (2011), der kurz nach der Schweinegrippe-Pandemie ins Kino kam. Oder auch Outbreak (1995) mit Dustin Hoffman, der quasi parallel zu einem Ebola-Ausbruch in Zaire (heute: DR Kongo) erschien. In jüngster Zeit legte der Boom um das Pandemie-Narrativ noch zu: Die ZDFneo-Serie Sloborn, deren zweite Staffel im Januar startete, wurde noch vor Corona konzipiert. Sowohl die Comic-Verfilmung Sweet Tooth auf Netflix als auch das Amazon-Remake des Verschwörungsthrillers Utopia und nun die auf Starzplay startende HBO-Verfilmung des preisgekrönten Romans Station Eleven handeln von Virusausbrüchen – und beruhen auf lang vor Covid geschriebenem Material. Mit Hanya Yanagiharas Zum Paradies (2022) ist gerade eben wieder ein Roman erschienen, der eine beklemmende Dystopie zukünftiger Pandemien beschreibt.
So viel tödlicher
Fast alle diese Fiktionalisierungen haben eines gemein: Die Verläufe der Ausbrüche ebenso wie die Sterblichkeitsraten liegen auf einem sehr viel höheren Niveau, als es in der jetzigen Corona-Pandemie der Fall ist. Etwas flapsig ausgedrückt: In der Kulturindustrie wird zweimal gehustet und dann schon gestorben. Leichen pflastern die Straßen, soziale und politische Ordnungen brechen innerhalb kürzester Zeit zusammen. Pandemie ist hier stets gleichbedeutend mit zivilisatorischer Apokalypse. Gemäß dem Hobbes’schen Diktum, jeder gegen jeden, überfallen etwa in der Serie Sloborn Rockergruppen ein Krankenhaus in Husum. Was sollte man auch sonst tun angesichts einer alles auslöschenden Pandemie? Als wäre Kooperation eine für Menschen ausgeschlossene Praxis, sobald die Autorität des Staates wegfällt.
Im Vergleich zu diesen drastischen Inszenierungen wirkt die Corona-Pandemie, unter der wir derzeit leiden, sehr viel harmloser. Woraus sich die Frage ergibt, ob nicht wenige Kritiker der Corona-Maßnahmen oder Covid-Verharmloser ihr Bild einer Pandemie womöglich sogar unbewusst den kulturindustriellen Produkten der letzten Jahrzehnte entnehmen und daran Charakter und Bedrohungspotenzial einer Pandemie messen. Die Bereitschaft mancher Menschen, die Querdenker-Diskurse mit zu übernehmen oder ihre krude (vermeintliche) Logik nachzuvollziehen, mag tatsächlich mit dem eskalativen Pandemie-Bild zu tun haben, das seit Jahr und Tag kulturindustriell reproduziert wird, aber doch so anders als die Realität aussieht, mit der wir konfrontiert sind und die uns dennoch so in Atem hält.
Oder lösen bei einigen Menschen Bilder wie die des Covid-Schockers Songbird einfach Ängste aus, die eine klare Analyse dessen, was gerade passiert, unmöglich machen? Fördern diese Bilder die eh schon starke Emotionalisierung des Themas noch weiter? Bei einem Film wie Contagion, der von einer Vogelgrippe-Pandemie erzählt und als mainstreamige Unterhaltung für ein breites Kinopublikum entsprechend actionorientiert angelegt ist, mag das ja noch angehen. Aber dass in der öffentlich-rechtlichen Serie Sloborn, die wenige Monate nach Beginn der Corona-Pandemie ausgestrahlt wurde, jede epidemiologische Binsenweisheit von der Schutzmaske bis zum Abstandhalten so gar keine Rolle spielt, verwundert dann doch.
An der Serie Sloborn wird noch ein anderer und weitaus problematischerer Aspekt deutlich, der für eine ganze Reihe gängiger Pandemie-Erzählungen charakteristisch ist: Sehr oft wird der Staat als jener autoritäre Desinformationsapparat inszeniert, den auch Querdenker in ihren Diskursen beschwören. So wirkt manches in Sloborn, als hätten Verschwörungstheoretiker direkt als Skriptberater mitgewirkt. Hier belügt und betrügt der Staat, genauer gesagt die Bundesregierung, die Bürger in einem fort und scheint einzig und allein daran interessiert, alle möglichst schnell in Quarantäne- und Internierungslager zu stecken, was epidemiologisch überhaupt keinen Sinn macht. Diese Vorstellung von Internierungslagern als fester Bestandteil einer autoritären Pandemie-Politik findet sich auch in der Amazon-Serie Utopia, in der überdies das Virus ein Produkt der Pharmaindustrie ist, die mittels Impfstoff nicht nur Geld verdienen, sondern auch die Bevölkerung kontrollieren will. Die subversiven Helden brechen irgendwann sogar in eine Lagerhalle ein und vernichten Unmengen an Impfstoff. Jeder Querdenker könnte bei dieser Szene genüsslich eine Flasche Sekt öffnen. Dabei ist Utopia das Remake einer vor der Corona-Pandemie noch von den Feuilletons über den Klee gelobten Kultserie aus Großbritannien.
Müssen also die Pandemie-Narrative mit Corona und den dazugehörigen gesellschaftspolitischen Debatten neu bewertet werden? Der Vorstellung einer allmächtigen Pharmaindustrie, die in der Kulturproduktion ebenso beliebt zu sein scheint wie bei den Querdenkern, liegt letztlich die Idee eines pharmazeutisch-industriellen Komplexes zugrunde, der mit dem Staat Hand in Hand geht. Diese Idee klingt fast wie eine simplifizierte Neuauflage der vor allem in der amerikanischen Linken gängigen Denkfigur des militärisch-industriellen Komplexes. Wobei es sich frei nach Marx über die Wiederholungen in der Geschichte bei der mächtigen Waffenlobby in den Vietnam- bis Golf-Kriegen dann um die Tragödie, bei der paranoiden Idee der allmächtigen Pharmalobby um die dazugehörige Farce handeln dürfte. Ein Echo dieser Ideen findet sich noch in einem so bodenständig linksliberalen Bürgerrechts-Film wie Outbreak, in dem der Staat das Virus zwar nicht selbst gezüchtet, aber im Labor zur waffentechnischen Nutzung gehortet hat. Von dort entkommt es dann leider. Wobei auch hier der Staat erst einmal bereit ist, alle möglichen demokratischen, rechtsstaatlichen und humanitären Regeln außer Kraft zu setzen, was sogar das Bombardement einer Kleinstadt mit einschließt. Hauptsache, das Virus wird eingedämmt.
So viel autoritärer
Die Pandemie-Eindämmung spielt auch in Hanya Yanagiharas Roman Zum Paradies, der aktuell vielleicht interessantesten Fiktionalisierung des Pandemie-Stoffes,eine ganz wichtige Rolle. Die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, ganze Regionen abzuschotten und ihrem Schicksal zu überlassen, um ein Containment zu gewährleisten, wird von den Figuren des Romans immer wieder kontrovers diskutiert. Dazu werden in diesem fiktiven Amerika der Zukunft im Zuge einer ganzen Reihe von Pandemien Internierungslager gebaut. Einer der dafür Verantwortlichen ist der Epidemiologe und Erzähler Charles Griffith, der dann im Lauf von Jahrzehnten dafür je nach politischer Lage zum Täter erklärt oder zum Helden hochstilisiert wird. Sein Sohn wiederum ist Verschwörungstheoretiker und wird Mitglied einer terroristischen Zelle.
Hanya Yanagihara arbeitet die Problematik sehr differenziert auf. Aber auch bei ihr ist die Sterberate der Pandemie weitaus höher als bei uns heute, wobei die antidemokratische Tendenz ihrer fiktiven Pandemie-Bekämpfung sicher auch als Verarbeitung der Demokratiefeindlichkeit der amerikanischen Rechten gelesen werden muss.
Wie lange wird es wohl dauern, bis eine den realen Bedingungen unserer Pandemie-Erfahrungen angemessene kulturindustrielle Aufarbeitung einsetzt? Kann das actionverliebte Hollywood so etwas überhaupt leisten? Oder findet das dann nur im randständigen Autorenkino statt? Eine Ahnung davon bietet die Amazon-Serie Solos (2021). In einem theaterhaften Setting reflektieren dort einzelne Figuren über Einsamkeit, Sterben, Verlustängste, verpasste Chancen und den Kampf um verlorene Erinnerungen. Auf sublimierte Art bietet Solos eine Auseinandersetzung mit der Realität von Quarantäne und Lockdown. Aber bis die Pandemie wirklich auch nur ansatzweise so erzählt wird, wie wir sie erleben, dürfte es noch eine ganze Weile dauern.
Kommentare 18
Si tacuisses, philosophus mansisses.
ist die film-produktion aus hollywood primär "aktions-verliebt"?
es kann mit vierlei mitteln das kino-publikum in den bann ziehen,
faszinieren, in eine andere welt beamen.
die geister-bahn auf dem rummel-platz ist für spezielle
geschmäcker, auch der zucker-watte-stand hat seine fans.
Ich habe Songbird gesehen und denke mir, so bescheuert wie die sich in dem Film benehmen, verhält sich kein Mensch in wirklichem Leben.
Und zu den Serien, die kann ich mit nicht ansehen. Das ist wie bei CSI Maimi Vice, mit. Die Täter tragen nur diese eine Kleidung über Wochen und waschen sich nicht, so das man Haare und andere Spuren nach Tagen findet, die dann den dummen überheblichen Täter überführen und die immer gleiche Gewalt, dass jeder schuldig ist und sofort jede Wohnung Besitz der Staatsmacht sei, die man stürmen und betreten darf, um Täter über Vorurteile gepaart mit Rassismus zu finden, damit man im Labor Arbeitsszenen drehen kann, wo alle dann 24/7 Stunden verhaftet sind, aber die Musik ist gut, die dabei läuft.
Soviel zu der Werbung von Serien.
meine these ist genau anders herum. das gros der binge watcher verlustiert sich mit dystopie in brot und spielen- in der echten welt sind die gar nicht mehr handlungsfähig. Während sie mit der virtuellen gun schiessen, sind sie eigentlich passiviert. die queerdenkerInnen in meinem bekanntenkreis schauen so was gar nicht, glauben nicht an qanon, reptilien und so weiter- sie arbeiten sich an der realpolitik ab. überhöhung als stlistisches mittel ist in fiktion erlaubt. und sorry die pharma industrie gehört leider nicht zu den good guys. aber schmid kann ja ne neue erzählung launchen.
haha... rote rosen ruft...
aus dem hollywood der heide, lüneburg...
aber:
die serien-produzenten sind dem geschmack des publikums
auf der spur des halb gibts jetze zucker-watte mit chili-pulver....
Das Publikum liebt den Kitzel, also bekommt es ihn. Die Kulturindustrie bedient ihren Markt nach bestem Wissen und Gewissen. Darüber muss sich niemand wundern.
Natürlich gibt es jenseits von Apkalypse die Möglichkeit der Menschen, zusammenzuarbeiten, solidarisch zu sein (ohne dazu von der Angst getrieben zu werden). Die Voraussetzungen dafür sind jedoch sehr viel schwieriger zu erfüllen bzw. zu verstehen. Das ist in der Tat nichts für Blockbuster.
Es stimmt aber nicht ganz, dass die Kultur darauf gar keine Antworten gäbe. In dem noch wenig bekannten Roman "Ronja tanzt" von Werner Knöfel (2021) erfahren die Protagonisten einiges über Ein- und Ausgrenzungen, darüber, wie Staaten und ihre Institutionen in der modernen kapitalistischen Welt funktionieren, ohne deshalb zu verzweifeln.
Was willst du damit sagen?
ich hab auch schon gehört, dass man das jetzt so macht, zumindest beim essen. bin aber total unbeleckt, was die deutsche kulturlandschaft betrifft. rote rosen ist mir nur eingefallen, weil eine mir bekannt autorin da mal schrieb....
das kann eine stellung auf lebens-zeit werden....
"Aber bis die Pandemie wirklich auch nur ansatzweise so erzählt wird, wie wir sie erleben, dürfte es noch eine ganze Weile dauern."Der finale Satz provoziert allerdings die Frage, worauf so eine Erzählung vom "wir" hinauslaufen sollte - wenn mit dem "Wir" keine Intensivstationsbelegschaft und deren Angehörigen gemeint sind. Das wäre doch in der Regel die Erzählung vom Masketragen, Kontaktbeschränkungen, einigen Lockdowns und viel Beschäftigungslosigkeit, während im eigenen Umfeld viel weniger Menschen erkranken, als vorausgesagt. Präventionsparadox hin oder her - den VerschwörungstheoretikerInnen könnt so eine Erzählun noch mehr in die Hände spielen, als die zugespitzten "Action-Erzählingen", welche, nebenbei bemerkt, gerade zu Beginn der Pandemie eher als Blaupause für die staatliche Kommunikation dienten. Damals hat so mancher Ministerpräsident sich mit Sätzen zitieren lassen wie "Es geht um Leben und Tod für uns alle!" während Christian Drosten ungehört kritisierte, dass das "individuelle Risiko, an Corona schwer zu erkranken" in der öffentlichen Kommunikation überbetont, aber das gesamtgesellschaftliche Risiko eher unterschätzt würde.
Ich weiß ja auch nicht so genau warum, aber: der Klee, über den so gerne gelobt wird, pflegt immer grün zu sein :-)
"Wie lange wird es wohl dauern, bis eine den realen Bedingunen unserer Pandemie-Erfahrungen angemessene kulturindustrielle Aufarbeitung einsetzt?"
Sind wir nicht schon mittendrin dabei aufzuarbeiten?
"Kann das actionverliebte Hollywolld so etwas überhaupt leisten?"
Nö, das Original ist nicht zu schlagen. Masochismus? Wer würde sich denn jetzt gerne einen Blockbuster über die Pandemie reinziehen?
Kein Bock auf Apocalypse auch nicht via Nefflix, sorry ...
Ich habe gerade die Gelegenheit den Fim "Contagion" im Fernsehen zu sehen und bin überrascht, wie nahe er an der realen Entwicklung rund um Covid ist. Wenn ich nicht wüßte, dass der Film schon Jahre vorher fertig gestellt wurde, würde ich denken, es ist der Film über Corona- Ich finde, dass zumindest dieser Film sehr gut auch die Stimmungen der Menschen darstellt, das Mißtrauen gegenüber Politiker*innen und Wirtschaft, der Glaube an irgendwelche Meldungen aus dem Internet. Da gab es doch den Dialog zwischen zwei Regierungsbeamten, wo der eine erklärte, dass die WHO mit der US-Regierung unter einer Decke steckt. Seine Gesprächspartnerin fragte, woher er das habe. Und er sagte, dass steht doch im Internet". Ich finde also, dass zumindest Contagion sehr wohl der richtige Film zur Corona-Pandemie ist. Die Mehrheit der Protagonist*innen hat allerdings mehr Mißtrauen in Politik und Wirtschaft als die meisten Linken zumindest in Deutschland. Aber, ob das gegen den Film spricht? Und meint Florian Schmid, wir bräuchten Filme, wo Linke auf der Straße stehen und "Wir impfen Euch alle" rufen?
Peter Nowak
Mir ging es bei der Erwähnung von dem Film "Contagion", der eine Pandemie und das Funktionieren staatlicher Stellen wie des CDC etc. sehr gut und durchaus realistisch inszeniert, vor allem um die ungemein hohe Mortalitätsrate des Virus. Die ist bei dieser fiktiven Influenza ungleich höher, die Ansteckung viel tödlicher und geradezu hollywoodesk in der Geschwindigkeit. Das unterscheidet sich deutlich von der Pandemie, die wir gerade erleben. So meine Einschätzung. Weitaus näher an "unserer" Pandemie-Wirklichkeit liegt Katie M. Flynns Roman "Companion", den ich wärmstens empfehlen kann.
Danke für die Rückmeldung Ja dieser Aspekt, mit der rasenden Verbreitung orientiert sich natürlch an den klassischen Kastrophenfilmen. Das Chaos in den Städten erinnert an ähnliche Filme zu Umweltthemen. Aber die Stimmung in Teilen der Bevölkerung, auch in den Staatsapparaten ist schon ganz wieder gegeben. Danke für den Tip mit Companion, schaue ich mir gerne mal an. Mal sehen, ob es ihn auf in Videotheken gibt.
Danke für die Rückmeldung Ja dieser Aspekt, mit der rasenden Verbreitung orientiert sich natürlch an den klassischen Kastrophenfilmen. Das Chaos in den Städten erinnert an ähnliche Filme zu Umweltthemen. Aber die Stimmung in Teilen der Bevölkerung, auch in den Staatsapparaten ist schon ganz wieder gegeben. Danke für den Tip mit Companion, schaue ich mir gerne mal an. Mal sehen, ob es ihn auf in Videotheken gibt.